Im Jahre 1933 verließ ich zusammen mit meiner Familie
Deutschland. Während meine Eltern versuchten, sich in Prag
eine neue Existenz aufzubauen, wohnte ich bei meiner
Großmutter in einer südböhmischen Kleinstadt. Aus einer
größeren Stadt des Rheinlandes kommend, fand ich das Leben
in der Tschechoslowakei äußerst komisch. Ich verstand kein
Wort tschechisch und die Leute, mit denen ich jetzt in Be¬
rührung kam, sprachen nicht deutsch.
Als ich dann die ersten Grußworte auf tschechisch lernte,
wunderte ich mich über die großen Unterschiede, mit denen
die verschiedenen Leute angeredet wurden. Während man sich
in Westdeutschland allgemein mit einem „Guten Tag“ be¬
grüßte (allerdings je nach dem Grad der Bekanntschaft bis zu
einem kurzen „tach‘“ abgewandelt), gingen in der Tschechei
die verschiedenen Nuancen der Grußform von einem indiffe¬
renten ,,Maucta‘ (meine Ehre) bis zu einem wohlartikulierten
„mä poklona üctiva“ (meine ehrfürchtige Verbeugung). Den
Damen wurde die Hand geküßt — von einem indifferenten ,,...
kulibam“ bis zu einem sorgfältig ausgesprochenen „ruku
libam“ (küß die Hand).
Als ich einige Jahre später einmal nach Wien kam, merkte
ich, wie einheitlich die Anreden in der ehemaligen k.u.k.
Monarchie gewesen sein mußten. Dort merkte ich auch, woher
die mir so komisch anmutenden Ausdrücke herkamen, die
meine Großmutter anwandte, wenn sie mit mir deutsch sprach:
Ich solle meine Kleider in den Kasten legen... Womit sie den
Schrank meinte. Ihren Worten nach saß ich auf einem Sessel,
auch wenn es meiner Ansicht nach ein gewöhnlicher Stuhl
war. Die Waschschüssel war ein Lavoir, die Tasse war ein
Tablett, dagegen wurde aus einem Tüpferl getrunken. Zum
Kaffee gab es ein Kipferl, das ich als Hörnchen kannte. Immer
von neuem wunderte ich mich, daß ich von meinem Vater nie
diese Ausdrucke gehört hatte; allerdings wohnte er schon mehr
als zehn Jahre im Rheinland, als ich geboren wurde.
Schon nach einigen Tagen in der neuen Heimat lernte ich
noch weitere Unterschiede zwischen dem westlichen Deutsch¬
land und den Ländern der ehemaligen Habsburger Monarchie
kennen: Ich wollte zu einem Tischler (bei uns Schreiner ge¬
nannt) in die Lehre gehen, doch man sagte mir, daß man zu
diesem Handwerk nie jemanden mit Augengläsern nehmen
würde. (Das Ding auf meiner Nase kannte ich bisher nur als
Brille.) Ich solle doch Tapezierer lernen. Doch paßte es mir gar
nicht, den ganzen Tag in einem farbenbeschmierten Kittel her¬
umzulaufen, da ich bis dahin nur Tapezierer und Anstreicher
kannte. Als man mir aber erklärte, daß hier die Hauptbe¬
schäftigung eines Tapezierers das Polstern von Möbeln sei,
war ich mit dem Vorschlag einverstanden. Schon am nächsten
Montag fing ich meine Lehrzeit in der Tapeziererwerkstatt des
größten Möbelgeschäfts der Stadt an.
Es arbeiteten dort noch drei Gesellen und ein Lehrling, der
aus einem deutschen Dorf der Umgebung stammte und der mir
die wichtigsten Ausdrücke in tschechisch beibringen konnte.
Allerdings blieben noch einige Sprachschwierigkeiten beste¬
hen, da ich seinen deutschen Dialekt nur schwer verstand.
Am 7. Juni 1967, dem dritten Tag des Sechstagekrieges, stand
ich als Kriegsberichterstatter an der Westmauer des Tempels in
Jerusalem mit den israelischen Fallschirmjägern, die soeben
diese Tempelmauer und die Altstadt von Jerusalem erobert hat¬
ten. Zum ersten Mal, seit die Römer den Tempel im Jahr 70
zerstörten, also zum ersten Mal nach 1897 Jahren, war die
Tempelmauer, die heiligste Stätte der Juden, wieder in jüdi¬
schem Besitz. In der Altstadt wurde in unserer Nähe noch ge¬
schossen. Viele Fallschirmjäger in ihren Stahlhelmen und
Tarnuniformen weinten. Es war eine Stunde mit der sich nichts
in der gesamten Weltgeschichte vergleichen läßt.
Der graubärtige Oberrabbiner der israelischen Streitkräfte
Schlomo Goren, in Generalsuniform, blies stürmisch das
Schofar, das nur in den feierlichsten Momenten der jüdischen
Religion in der Synagoge geblasen wird. Dann rief er laut auf
Hebräisch die Worte des 118. Psalms: „Dies ist der Tag, den
der Herr gemacht, freut euch an ihm, laßt uns fröhlich sein!“
Ich war dort nur, weil ich schon am Tag vorher als Kriegs¬
berichterstatter mit den Fallschirmjägern nach Ost-Jerusalem
gekommen war.
Am Nachmittag des ersten Kriegstags fuhr ich unmittelbar hin¬
ter dem Außenminister Abba Eban, dessen Frau und ihren zwei
Teenager-Kindern nach Jerusalem. Später schenkte ich ihm be¬
sonders dramatische Bilder von meinem Acht-Millimeter¬
Film, die zeigen, wie im damaligen Jerusalem-Korridor sein
Wagen an israelischen Panzern vorbeifuhr, deren Kanonen die
jordanische Armee beschossen, und an israelischen Infantrie¬
soldaten, die gegen die jordanischen Stellungen vorrückten.
Als wir nach Jerusalem kamen, lag West-Jerusalem unter
dem Feuer jordanischer Geschütze. Hinter Eban fuhr ich durch
die leeren Jerusalemer Straßen zur Knesset. Dort stand ich ne¬
ben dem neuen Verteidigungsminister General Mosche Dayan
auf der Terrasse, und wir sahen zu, wie israelische Kampf¬
flugzeuge die jordanischen Geschütze angriffen, von denen die
Knesset gezielt beschossen wurde.
Wenige Minuten später traf ich im Knesset-Foyer den ehe¬
maligen Premierminister David Ben Gurion, der in freudiger
Hochstimmung war. Um von ihm exklusive Worte für meine
Story zu bekommen, fragte ich ihn, wie er diesen ersten
Kriegstag mit dem Unabhängigkeitskrieg von 1948 verglei¬