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sten die Weiterreise nach Übersee gelingt, bleibt die Familie Kurzweil in einem Dorf bei Montauban. Griinde diirften einerseits Visaprobleme gewesen sein — alle Flüchtlinge kämpften ständig um den Erhalt bzw. die passende Datierung der Visen, Durch- und Einreisepapiere und der französischen Ausreiseerlaubnis —, andererseits aber womöglich auch ein zu großes Vertrauen zum französischen Staat. Dazu kam noch das eingefleischte „legalistische“ Verhalten des Vaters, der sich noch 1941 als Jude registrieren ließ. Wie man weiß, dienten solche Register vielerorts später als Deportationslisten. Das Kind Adele besucht in dieser Zeit noch das Gymnasium. Als im Frühjahr 1942 die Razzien zunehmen, bemüht sich die Familie Kurzweil intensiver um eine Ausreise. Zu spät. Am 26. August wird die Familie verhaftet und in das Lager Septfonds gebracht. Im September wird sie nach Drancy und dann nach Auschwitz verschickt. Das Gepäck der Deportierten wird in einem Magazin Gemeindeamtes eingelagert... 1990. Ein Geschichtestudent inventarisiert die Kabinenkoffer der Kurzweils. Zu Tage kommen u.a. ein Anzahl Dokumente und Korrespondenzen. Eine französische Gymnasialklasse unternimmt im Rahmen eines pädagogischen Projekts Nachforschungen. Sie erhält dafür 1994 sogar einen Preis der Sorbonne in Paris. Hanna Papanek, eine Kindheitsfreundin Adeles, 1939 ebenfalls im OSE-Heim, arbeitet mit den Archivdokumenten, die inzwischen im „Musee de la resistance et de la deportation“ in Montauban hinterlegt wurden. 1999 entsteht die Idee eines Schüleraustausches Graz-Montauban. 2001 reisen 16 Gymnasiasten aus Graz nach Montauban. Aus der gescheiterten Flucht der Familie Kurzweil und ihrer 1990 begonnenen Aufarbeitung ist ein Biichlein entstanden, ein Projekt der ARGE Jugend gegen Gewalt und Rassismus in Kooperation mit Clio, Verein fiir Geschichts- und Bildungsarbeit. Es kommen darin neben offiziellen Persönlichkeiten und Förderern die Projektleiter und Herausgeber zu Wort. Heimo Halbrainer (Obmann von Clio) zeichnet in einem längeren Aufsatz die Lebensstationen der Familie nach. Hanna Papanek setzt insbesondere den OSE-Kindern ein Denkmal, Bettina Ramp (ARGE) spürte eine der wenigen noch bei Montauban lebenden sozialistischen Österreicherinnen auf. Vor allem aber spannen die 16 Schüler aus Graz über die Ereignisse in Graz 1900-38 und das tragische Ende der Familie Kurzweil hinaus einen Bogen zur heutigen Flüchtlingssituation in Frankreich und Österreich. Krista Scheuer-Weyl Der Koffer der Adele Kurzweil. Auf den Spuren einer Grazer jüdischen Familie in der Emigration. Hg. von ARGE Jugend gegen Gewalt und Rassismus: Christian Ehetreiber, Heimo Halbrainer, Bettina Ramp. Graz: Clio, Verein für Geschichts- und Bildungsarbeit 2001. 132 S. Euro 5,— Franz Zeders Standardwerk „Thomas Mann in Österreich“ „Liebenswert und höchst unentbehrlich“ sei das österreichische Volk, dieses „Europäertum von süddeutscher Volkhaftigkeit und mondäner Bildung“ (S. 11), urteilt Thomas Mann in einem Brief an Paul Amann aus dem Jahre 1915. Sicherlich ist es auch diese Sympathie für die österreichische Lebensart, die den großen Literaten und Nobelpreisträger in den nächsten Jahrzehnten zwanzigmal bevorzugt in Wien und Salzburg weilen läßt. Franz Zeder, Gymnasialprofessor in Graz, rekonstruiert in seinem Werk „Thomas Mann und Österreich“ alle Aufenthalte des Literaten in Österreich vom Sommer 1896, als der junge unbekannte Autor in Wien nach seinen Vorbildern Schnitzler, Bahr und Hofmannsthal fahndet, über höchst erfolgreiche Vortragsreisen, Festspiel- und Erholungsaufenthalte in Monarchie, Erster Republik und Ständestaat bis zum November 1952, als der gefeierte, nun greise Remigrant in Wien wegen seiner Neutralitätshaltung im Wien des Kalten Krieges wenig gelitten ist. Könnte man zunächst glauben, hier erfolge eine deskriptive Abhandlung über die Aufenthaltsorte des Literaten in der Alpenrepublik, täuscht man sich: Die Darstellung liest sich spannend und steckt voll herrlicher Anekdoten, Anspielungen und Deutlichkeiten über prominente und weniger prominente Zeitgenossen Manns aus dessen so akribisch geführtem Tagebuch. Zudem erhellt sie einige in der Forschung bisher nur rudimentär aufgearbeitete Aspekte von Manns Wirken in Österreich. Zu nennen ist hier die interessante Episode einer Annäherung des gefeierten großbürgerlich-liberalen Autors an die österreichische Sozialdemokratie - nachdem Mann ab 1929/ 30 auch in Deutschland mehrere Sympathiebezeugungen für den Sozialismus abgegeben hatte. Die Kontakte zu österreichischen Sozialdemokraten gipfelten in einer Rede im Herbst 1932 — nach einem Vortrag über Goethe in der Hofburg im Frühjahr — im Ottakringer Arbeiterheim über das „Zukunftsfähige des Sozialismus“. Zustande kam diese vorübergehende Konvergenz durch die persönliche Freundschaft Manns mit dem sozialdemokratischen Wiener Bürgermeister Karl Seitz, aber auch durch den spezifisch bürgerlichen Charakter des 'roten' Wien. Die großbürgerliche Attitüde Manns konnte damit aber nicht grundsätzlich verwischt werden, wie in einem Brief an Hans Reisiger kurz nach seiner Rückkehr deutlich wird: „Mir war es eine Freude, diesen schlichten Seelen, die von einer triumphierenden Reaktion bestürmt werden, zu zeigen, daß sie nicht verlassen sind. Und wie dankbar sie sich erwiesen! Es ist mir unvergeßlich!“ (S. 152). Am spannendsten wird die Lektüre von Zeders Werk in den Kapiteln über Manns Kontakte zu Repräsentanten des Ständestaates (1934-38) und seine Überlegungen, nach Wien zu emigrieren und die österreichische Staatsbürgerschaft anzunehmen. Manns Sympathie zu Österreich ließ ihn, wie aus Tagebuchaufzeichnungen deutlich wird, bereits 1933, nach seiner Flucht aus Deutschland, über eine Niederlassung in Wien nachdenken. Wegen der dortigen unruhigen politischen Lage bezog die Familie aber vorerst ein Haus am Züricher See. Zunächst brachte es Mann nicht fertig, sich öffentlich gegen den Nationalsozialismus auszusprechen: Weil er sich — auf Anraten seines Verlegers Gottfried Bermann-Fischer — vom Engagement seines Sohnes Klaus und dessen Emigrantenzeitschrift „Die Sammlung“ distanzierte, fiel Mann auch bei der österreichischen Sozialdemokratie in Ungnade. Das ungewöhnliche Bündnis mit dem Sozialismus fand damit rasch sein Ende. Als im Februar 1934 die Sozialdemokratie im sich formierenden Ständestaat blutig zerschlagen wurde, notierte Mann in sein Tagebuch: „Es scheint Wahnsinn, daß eine dem Nazitum gegnerische Regierung ihren natürlichen Verbündeten vernichtet, und die Haltung des Bürgertums ist idiotisch, wie sie es in Deutschland war.“ Wenn es aber gelänge, Österreichs Einverleibung durch Deutschland zu verhindern, „so kann es auch unter einem katholischen Fascismus eine deutsche Hoffnung bleiben“ (S. 181). Während Mann mit Ehefrau Katia im Januar 1935 sowohl beim österreichischen wie tschechischen Konsulat in Sachen Einbürgerung vorsprach, gleichzeitig aber auch auf den Ablauf der Aufenthaltsfrist für eine mögliche Schweizer Staatsbürgerschaft wartete, wurde die Angelegenheit von Freunden in Österreich forciert: Alma Mahler, Franz Werfel und der gefeierte Dirigent Bruno Walter, ebenfalls ein Emigrant aus Deutschland, strickten Verbindungen zu Vertrauten Schuschniggs und konnten die offizielle Zusage des Kanzlers im Frühjahr 1936 vermelden. Warum ließ sich Mann dennoch nicht in Wien nieder? Zum einen waren seine Zweifel an der Richtigkeit einer Übersiedlung nach Österreich noch immer nicht ausgeräumt: In einem Brief an Bruder Heinrich berichtet er: „Auch bei Schuschnigg war ich, aber nur in einer etwas unergiebigen Audienz, die ich hatte nachsuchen müssen, weil er sich zu unserer sofortigen Einbürgerung bereit erklärt hatte, wenn wir nach Wien zégen... Aber kann man das?“ (S. 207) Vielleicht gewichtet Zeder diese grundsätzlichen Bedenken Manns, die hauptsächlich auf die instabilen politischen Verhältnisse in Österreich zurückgehen — schließlich war er bei einem Besuch in der Wiener Staatsoper selbst Zeuge eines Stinkbombenattentats der illegalen Nationalsozialisten geworden — zu gering gegenüber einem anderen Moment, das gewiß auch eine Rolle spielte: Die österreichische Regierung stand einer Einbürgerung im Grunde skeptisch gegenüber, waren doch Emigranten — mit Ausnahme von wenigen katholisch-kon8l