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Hier am Mexikoplatz hat nie einer von uns einen Arbeitsplatz
gehabt, weil wir dafiir nicht die Papiere haben. Wir sind im all¬
gemeinen Pfuscher; Männer am Bau und für Wohnungs¬
renovierungen; die Frauen als Putzfrauen. Manchmal findet
einer von uns für einige Zeit eine feste Stelle: aber immer nur
so lange, bis die Arbeit fertig ist, und wenn sie dir dann den
Laufpaß geben, bist du wieder auf einen Job für einen Tag an¬
gewiesen. Dann wird erzählt, wie das so war, für längere Zeit
Geld zu bekommen. Vor ungefähr zehn Jahren gab es mehr von
uns; deswegen kamen die Polizisten und kontrollierten ständig,
weil sie nicht wollten, daß wir hier sind: für uns war es nötig,
uns zu verstecken. Manche schafften das nicht, wurden aufge¬
griffen und abgeschoben, manche von ihnen wiederum kamen
wieder. Die Freude beim Wiedersehen ist groß, aber es ist dann
auch immer einer mehr, der die Arbeit haben will.

Als uns die Polizisten dauernd besuchten, sahen wir aus den
Fenstern runter auf die Straße, wo sie protzig mit ihrer Stimme
„Ausweis!“ riefen. So wie in den Partisanenfilmen aus unserer
Kindheit, standen sie da, diese Schwaben, und spielten die
Hauptrollen. Aber unsere Filme sind nicht die ihrigen. In un¬
seren Filmen schossen sie Menschen nieder und wurden letzt¬
lich besiegt, hier aber herrscht ihr Film, sie schießen nicht, sind
ständig hinter dir her mit Kontrollen, Razzien in den Woh¬
nungen, und wenn sie dich erwischt haben, weisen sie dich
raus. Also keine Toten. Es ist ihr Film, in dem wir keine, nicht
einmal die Statistenrolle, spielen dürfen.

Die Kontrollen waren unvermeidlich: denn es gab zu viele
von uns hier an diesem Platz: Zigeuner, Polen, Türken, Russen,
Wlachen, Armenier, Albaner... alle hierher gekommen auf der
Suche nach Glück. Arbeit war nur eine Art davon. Manche hat¬
ten Verwandte da, manche wiederum kamen nicht allein, son¬
dern gleich als ganze Gruppe auf einmal, und viele kamen nur
tagsüber hierher wegen der Möglichkeit, hier etwas zu arbei¬
ten zu finden, in der Nacht suchten sie ihre Schlafstellen ir¬
gendwo in dieser Stadt. Wie gesagt, es gab viele von uns und
der Platz wurde eng. Ohne Arbeit, wartend auf eine, saßen wir
immer zu zehnt da: dort genau zehn Meter von der Ecke war
unser Platz. Zu einer Mischung unter den Gruppen kam es nie,
zu Konflikten auch nicht, wozu auch, um was hätten wir denn
streiten können, um die Armut und die hungrigen Augen, die
uns alle gezeichnet haben?

Wir wohnten in engen Häusern, nur mit kaltem Wasser und
Klo am Gang und in einem Raum zu viert, zu fünft, je nach¬
dem, manchmal auch mehr: wenig Raum. Die meisten dieser
Wohnungen wurden von den Österreichern verlassen, oder
aber die alten Menschen, die alleine dort lebten, starben aus.
Manche dieser Wohnungen waren, seit sie gebaut worden sind,
sicher vor hundert Jahren, nicht mehr ausgemalt, geschweige
denn mit irgendetwas Neuem ausgestattet worden. Zum
Kochen hatten wir die kleinen Kochplatten, die man überall
kaufen kann, oft aber aßen wir kalt, die Extrawurst, die man
beim Hofer in großen Stangen kaufen kann. Manchmal aßen
wir auch gemeinsam, wenn einer von uns ein Paket von zu
Hause bekommen hatte. Zum Sitzen hatten wir wenig Platz,
um den Tisch herum nur drei kleine Sessel, aber das störte
nicht sehr viel, denn tagsüber waren die meisten von uns nicht

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da. Gekommen sind wir, um zu arbeiten, und das taten wir je¬
den Tag; um fünf in der Früh aufstehen, zufrieden sein, wenn
es klar war, daß der Weg zur Arbeit führt, erwartungsvoll, wenn
wir uns am Mexikoplatz versammelten. Stundenlang wartend,
daß einer mit dem Auto vorbei kommt und „Arbeit“ ruft. Selten
haben wir andere Plätze aufgesucht, im 16ten Bezirk manch¬
mal, aber hauptsächlich hier. Ich weiß selber nicht warum. Im
Winter war es leichter, da konnten wir die ganze Nacht Schnee
schaufeln um vierzig Schilling in der Stunde, nicht viel, aber
dafür jeden Tag, mit Vorarbeitern, die auch unsere Sprachen
beherrschten und immer wie sonst auch: das Geld in die Hand
nach getaner Arbeit — ein Staatsbetrieb ist das. Manchmal wur¬
de einer von uns krank, eher selten, dann blieb er in der
Wohnung und versuchte, gesund zu werden. Zum Arzt gingen
wir nie. Wenn jemand wirklich krank war, dann fuhr er nach
Hause. Wir begleiteten ihn, soweit es die Zeit erlaubte, mei¬
stens zum Bus. Raus aus Österreich darf man über den offizi¬
ellen Übergang gehen, manchmal bestrafen sie einen, aber da
wir nie Geld bei uns haben, lassen sie uns einfach passieren.
Was sollen sie auch mit uns im Gefängnis machen? Wir haben
doch niemanden getötet.

Jetzt sind die Frauen auch da. Sie sind später, nachdem wir
zu lange weg waren und es dort unten nicht besser wurde, ge¬
kommen. Manche Frauen sind nachgekommen und manche
waren schon da. Mit der Zeit haben sich die Menschen kennen¬
gelernt, und es sind Beziehungen entstanden: die Wlachen mit
Rumäninnen, Serben mit Tschechinnen, Russen mit Polinnen.
Es gibt viele solche Paare. Manche bleiben länger, wenige für
immer zusammen. Manche haben schon Kinder die in die
Schule gehen. Sie trauen sich gar nicht mehr zu sagen, daß sie
keine Papiere haben, uns auch nicht, weil sie mehr Angst ha¬
ben. In die Schule dürfen die Kinder gehen, aber auch da gibt
es Probleme. Mancher Direktor, besonders in den Neunzigern,
verlangte von seinen Schülern Ausweise und diejenigen, die
keinen Aufenthalt hatten, meldete er der Polizei. Diese Angst
hat man, aber darüber reden wir nicht. Mit unseren Familien le¬
ben wir jetzt auch nicht mehr zu mehreren in einer Wohnung.
Jetzt hat jeder ein Zimmer-Küche-Kabinett. Meistens mit Klo
am Gang, aber man weiß, wer der Nachbar ist, mit dem das ge¬
teilt wird. Ich weiß nicht mehr, ob es noch viele, so wie uns
früher, gibt. Am Mexikoplatz sehe ich keinen mehr. Vielleicht
erkenne ich sie auch nicht mehr, aber es ist eher so, daß es zu
gefährlich ist. Dieser Platz ist zu bekannt. Ich arbeite zur Zeit
in einem großen Gemüselager am Stadtrand, ohne Papiere,
aber es geht mir sehr gut: regelmäßiges Geld und zusätzlich
Gemüse und Früchte für die Familie. Die Frau hat am frühen
Vormittag einige Ordinationen und am Abend mehrere
Wohnungen zu putzen. Schwierig ist es mit dem Kind. Es geht
noch nicht in die Schule. Wenn keiner zu Hause ist, bringen wir
ihn zu der Nachbarin, einer jungen rumänischen Frau, die in ei¬
ner Nachtbar arbeitet. Sie liebt ihn und paßt sehr gern auf ihn
auf.