unter nationalsozialistische Beaufsichtigung gestellt war und
kaum frei agieren konnte. Dennoch stellte die Kultusgemeinde
u.a. Bestätigungen für ihre Angestellten aus, um eine Rrist¬
erstreckung bis zu einer etwaigen Ausreise zu erwirken. Die
Intention der Nationalsozialisten war zunächst auch, möglichst
viele Juden zur Auswanderung zu bewegen, das „Palästina¬
Amt“ war eine der bedeutendsten Anlaufstellen für Auswan¬
derungswillige. Mitarbeiter des Palästina-Amtes konnten mit
einer Unterstützungserklärung des Leiters, Dr. Alois Rothen¬
berg, rechnen:
Es liegt in unserem höchsten Interesse, die Arbeitskraft I...]
ungeschmälert zu erhalten, was nicht gewährleistet werden
kann, wenn er von der schweren Wohnungssorge nicht befreit
wird ...
Es war nicht immer möglich, eine neue Unterkunft in der
gewährten Frist zu finden:
Dies umso weniger, als zur Gültigkeit eines Bestandver¬
trages gegenwärtig die Zustimmung der zuständigen Behörden
und der Parteiinstanzen notwendig ist: dieses Verfahren er¬
fordert naturgemäß längere Zeit, ist im Endresultat ungewiß
und es muß, wenn die Genehmigung der genannten Stellen für
eine bestimmte, bereits ausfindig gemachte Wohnung versagt
wird, wieder eine längere Zeit verstreichen, bis eine andere
freie, noch zu genehmigende Wohnung ausfindig gemacht
wird.
Diese Einwendung macht deutlich, welchen Schikanen die
Bedauernswerten ausgesetzt waren. Arbeits- und mittellos,
mußten sie sich auf eine praktisch aussichtslose Wohnungs¬
suche begeben, gleichzeitig ihre Ausreise betreiben, verschie¬
denste Dokumente beschaffen, Geldmittel auftreiben. Dies
alles zu einem Zeitpunkt, da sie aufgrund ihrer jüdischen Her¬
kunft von allen Seiten Benachteiligungen erfuhren.
Vielen Ansuchen um Rücknahme der Kündigung oder Frist¬
erstreckung des Räumungstermins legte man zu seiner eigenen
Argumentation auch noch unterstützende Bestätigungen ver¬
schiedenster offizieller Stellen, Organisationen oder früherer
Arbeitgeber bei. Glaubte man doch, mit derartigen zusätzli¬
chen Nachweisen, seine Redlichkeit und Loyalität zum Hei¬
matland unter Beweis stellen zu können. Einige Vereine und
Organisationen halfen den Betroffenen und nahmen den un¬
gleichen und in den meisten Fällen auch vergeblichen Kampf
mit den NS-Stellen auf.
Der „Hilfsverband der jüdischen Kriegsopfer, Invaliden,
Witwen und Waisen in Wien“ mit Sitz im 8. Bezirk, Daungasse
la, bemühte sich in unzähligen Schreiben an das Wohnungs¬
amt der Gemeinde Wien, den Bitten der Gekündigten Nach¬
druck zu verleihen. Zumeist wird in diesen der Frontdienst der
Weltkriegsteilnehmer hervorgehoben, eine Aufzählung der
Einsatzorte, Verwundungen und Auszeichnungen als Ergän¬
zung angeführt. In der überwiegenden Zahl der Betroffenen
und Hilfesuchenden handelte es sich um Invalide, wie bei Fer¬
dinand Novak, der aus seiner Wohnung, 2., Jungstraße 5,
Stiege 6, Tür 10 , bestehend aus Zimmer, Küche und einem
Vorraum, gekündigt wurde. Im Schreiben an die Magistrats¬
abteilung 21 vom 14. Oktober 1938 heißt es:
Der Kriegsbeschädigte Ferdinand Novak wohnt im Ge¬
meindebau 2. Jungstraße 5/10. Er soll am 18.10. 1938 delo¬
giert werden. Wir bitten, dem Kriegsbeschädigten, der lungen¬
leidend ist und zwei Schußverletzungen hat, einen Delogie¬
rungsaufschub gütigst bewilligen zu wollen.
Die nichtjüdische Ehegattin, Sophie, schrieb wenige Tage
später an den Reichskommissär Gauleiter Josef Bürckel:
Endesgefertigte Sophie Novak Arierin Frau eines Kriegs¬
invaliden geboren in Nieder-Donau zuständig nach Wien, ge¬
schieden, zwei Kinder im Alter von 8 — 10 Jahre, ersucht
höflichst, da die Wohnung auf den Namen meines gewesenen
Mannes lautet, wurde sie auch mir gekündigt, stehe vor der
Delogierung, möchte höflichst bitten, mir die Wohnung auf
meinen Namen zu überlassen. Da ich arbeitslos bin, sonst mit
meinen Kindern die Katholisch erzogen sind, obdachlos wäre.
[Schreibweise des Originals].
Dieses Schreiben zeigt die trostlose Situation, in der sich die
Betroffenen in mehrfacher Hinsicht befanden, sehr deutlich:
zumeist handelte es sich bei den gekündigten Mietern um
Personen, die mit schwierigsten sozialen Problemen zu kämp¬
fen hatten, zum Teil schon über einen längeren Zeitraum ar¬
beitslos oder sogar „ausgesteuert“ waren; viele waren krank
und nicht fähig, so ohne weiteres eine neue Wohnung zu su¬
chen, und schon gar nicht in der Lage, den mühsamen und oft
unfinanzierbaren Weg in die Emigration zu versuchen. Hinzu
kam bei vielen Mischehen die irrige Überlegung, ob nicht eine
Trennung vom jüdischen Partner für alle Beteiligten am besten
wäre, um wie hier in diesem Fall, wenigstens den Wohnraum
für Frau und Kinder zu retten.
In den seltensten Fällen kam es aber tatsächlich zu einer
Überschreibung auf den „arischen“ Partner; als die Deporta¬
tionen begannen, war der allein gebliebene jüdische Ehepartner
schutzlos.
Während auf der einen Seite durch Interventionen Versuche
unternommen wurden, der Kündigung entgegenzuwirken, gab
es aber andererseits auch Vorstöße von Parteistellen, Woh¬
nungsräumungen zu beschleunigen: mit einem Dienstzettel
vom 4. Juni 1938 wurde um Kündigung des Juden Schiller, der
angeblich geflüchtet sein sollte, gebeten. Der Schauspieler
Isidor Schiller, dessen Kleinwohnung sich im städtischen
Wohnhaus, 2., Jungstraße 5, Stiege 6, Tür 25 befand, wurde für
den 31. Juli 1938 gekündigt. Über den Verbleib und das wei¬
tere Schicksal Isidor Schillers ist nichts Näheres bekannt.
In einem anderen Fall bemühte sich die NSDAP Ortsgrup¬
penleitung Vorgarten in der Ybbsstraße 21 um die Kündigung
der Familie Friedmann:
Wir teilen Ihnen mit, daß im Gemeindebau 2., Ybbsstraße
15-21, 4. Stiege, Tür 2 die Jüdin Charlotte Friedmann, Schnei¬
derin, seit dem Jahre 1924 keinen Gewerbeschein besitzt und
natürlich auch keine Steuer bezahlt. Es finden in dieser Woh¬
nung sich täglich sehr viele Juden ein und wir sind auf obige
Tatsache durch eine überraschende Hausdurchsuchung darauf
gekommen. Wir bitten dringendst die Kündigung gegen den
Juden Friedmann auszusprechen, damit dieses staatsfeindliche
Judennest endlich verschwindet. Heil Hitler! [sic!]
Familie Friedmann zog nach ihrer Kündigung zunächst in
die Große Mohrengasse 40, von wo sie sich im September
1938 ins Ausland abmeldete.
Die vom Wohnungsamt der Stadt Wien vorgegebene Vor¬
gangsweise führte in kürzester Zeit zum gewünschten Er¬
gebnis: Bis Mitte September 1938 waren bereits 1.225 Woh¬
nungen frei, insgesamt konnten aufgrund des untersuchten
Aktenbestandes 2.064 Kündigungen nachgewiesen werden.
Parallel zu den eben beschriebenen Wohnungskündigungen
gingen die nationalsozialistischen Behörden auch gegen ein¬
zelne Berufsgruppen vor: so wurden jüdische Hauswarte ge¬
kündigt, die mit einem Schlag Arbeit und Wohnung verloren,
und es wurde eine Aktion, die auf die Ordinationsräume jüdi¬
scher Ärzte zielte, durchgeführt.