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schauen, wählen aus... zum Abschluß dieser Prozession kommen sie zur Kassa und zu mir, der sich dahinter versteckt. Je langsamer desto zufriedener. Mit dem Tag Tempo halten, am besten zwischen den Blicken der ersten Menschen in der Früh und dem täglichen Kauftraining der Nachbarinnen. Nie dagegen sein und auch nie ganz dafür. Menschen mögen das nicht. Die Gesichter und die Hände der Menschen im Auge behalten. Die sagen am ehesten, wie man sich an diesem Tag verhalten soll. Ein menschlicher Blick gleicht der Berührung seiner Hände, und wenn sie beide zittern, dann ist ihnen Respekt zu zeigen. Denn auch sie haben es, wie ich, nicht leicht, aber auch für sie wird es, wie für mich, noch andere Tage geben. Es gibt Momente in menschlichen Begegnungen, wo man nicht gesehen werden will, und solche, die einen vollen Blick, einen Kommentar, eine Aneinanderreihung von Sätzen wie Perlen auf der Halskette, brauchen. Gemüse verkaufen hat eine eigene Faszination. Mit dem Hammer in der Hand auf der Baustelle, würde ich mich spätestens nach drei Wochen langweilen. Das weiß ich. Obwohl ich mir jahrelang, als ich ohne Papiere war, so eine Dauerhaftigkeit wünschte. Geworden bin ich etwas anderes. Hier bei einem solchen Stand kann dir nichts passieren. Schwarzarbeit überall in der Stadt erfordert Konzentration und Nerven, du mußt die Regeln der Bedrohlichkeit kennen, die Polizisten, die Kontrolleure... Hier an diesem Platz, als derjenige, der als Gemüsehändler gebraucht wird, war ich immer sicher. Jahrelang ohne Papiere. Allein das Unternehmen, das Gemüse, hat mich vor den Verfolgungen gerettet. Und auch dazu geführt, daß ich jetzt alle die Papiere, eine Aufenthaltsberechtigung, eine Konzession habe... Eine sehr lange Zeit hat das gedauert. Aber die Rechtsanwälte müssen auch von jemandem leben. In die Zeit will ich nicht mehr zurück. Trist und unsicher war alles rundherum. Viele meiner damaligen Freunde leben hier noch immer so. Was bleibt ihnen übrig? Wohin sollen sie gehen? Mit der Zeit gewöhnt man sich an einiges. Und heute sitze ich da am Mexikoplatz inmitten einer Gemeinschaft. Eine Menge um mich herum, ohne daß ich viel dazu tun muß. Der erste Mensch, der heute vorbeischaute, meinte mit einem mitfühlenden Lächeln: Heute ist kein schönes Wetter, um am Markt zu sein. Ich glaube, ich hörte diesen Satz heute Vormittag mindestens noch fünf Mal. An solchen Tagen bieten die Menschen einander Schutz. Es ist düster draußen, das ist wahr. Die Wolken sind sehr niedrig, kaum fünfzehn Grad und der Regen wetteifert mit dem Wind. Ideales Verkaufswetter, frische Luft für mich, feucht für das Gemüse. Die Nässe, die auch die Menschen froh und gesprächig macht, auch wenn sie das nicht merken. Ich antworte auf alle diese Sätze unterschiedlich und die Menschen merken bald, daß auch ein solcher Tag schön ist. Ich sage immer: Die Menschen brauchen Worte und Gemüse. 59