Vor drei Tagen habe ich vom Dorf geträumt. Und auch von
meiner Jugend, von Gesichtern. Ich träume jede Nacht immer
vom Dorf und von der Donau, von meiner Jugend und von
Freunden, von Frauen, die lachen. Diese Träume, die gehen
mir nicht aus dem Kopf. Diese Nacht habe ich wieder ge¬
träumt. Ich war auf einer Straße, einer meiner Kindheits¬
freunde kam mir entgegen, beinahe so, als wär nie eine Zeit
zwischen uns gestanden. Er trug ein verwaschenes altes Hemd,
auf dem zwei Lämmer eingestickt waren, und in einer Hand
hatte er ein zerscherbtes Glas, die andere war blutrot. Ein an¬
derer kam auch noch, und der sagte nichts, schaute nur abwe¬
send auf uns, und dann war da ein alter Mercedes mit dem
Stern auf der Haube, wie früher. Um diesen Stern scharten sich
die Kinder, und ich mußte dauernd aufpassen, daß sie ihn nicht
abbrachen und wegrissen. Die Kinder liefen zum Mexikoplatz,
um weitere Spielkameraden zu holen. Wir zwei saßen da auf
dieser unserer Jugendstraße und lächelten uns wortlos zu.
Und dann lief er über die Felder. Das zerbrochene Stück
Glas warf er in die Luft und alles wurde heller. Es dämmerte
am Mexikoplatz. Ich rannte hinter ihm her. Die Stelle, wo wir
uns wieder trafen, schien mir wie aus dem Schulatlas bekannt.
Er trug einen ganzen Stoß davon bei sich. Alte Atlanten, die
jetzt nur noch einen Sammelwert, wenn überhaupt, besaßen.
Wir sprachen darüber, so viel ich mich noch erinnern kann: Ein
Sammelwert für diejenigen, die ihre Staaten verloren haben.
Ich nahm ihm einen der Atlanten weg und wollte ihn zerreißen.
Dann kam der dritte und sagte: „‚Wer von euch beiden wünscht
sich ein neues Hemd? Und wer wird schon wissen, wo die
Staaten herkommen?“ Die blutige Hand des Freundes lag auf
meiner Schulter. Wir rauchten. „Es ist schon lange her, sehr
lange, daß wir uns das letzte Mal gesehen haben“, sagte er
lächelnd ohne Vorderzähne. Er war böse geworden, dieser
mein damaliger bester Freund. Dann sagte ich mit einer Stim¬
me, die ich nicht kannte: „Jetzt führt uns diese Straße neben der
Donau von hier, aus Velika Kamenica, zum Mexikoplatz, ist
das nicht merkwürdig?“ Und der Freund erwiderte, daß er
schon so lange nicht mehr am Mexikoplatz gewesen sei. Ich
schlug vor, daß wir uns hinsetzen sollten. Rundum waren Ge¬
treidefelder und roter Mohn. Er griff mit seiner verwundeten
Hand nach einer der Blüten, sank daneben auf die Erde und
blieb dort sitzen. Und ich habe geträumt, daß die Straße, die
nicht asphaltiert und nach dem Regen voller Pfützen war, uns
umschlang. Wir waren bei einer Kreuzung angelangt. „In vier
Richtungen, vier lange Wege“, sagte mein Freund, „diese
Wege, die im regenlosen Sommer oft trocken wie Ziegel sind.“
Diese Nacht habe ich von ungefähr zehn meiner Kindheits¬
freunde geträumt, weiße Hemden, Augen wie damals, Freude
im Gesicht. Ich ging zu allen hin, manchem verschwand mit
der Nähe das Lachen, mancher versteckte sich hinter seinem
Auto, und ein oder zwei wurden bleicher und umso durch¬
sichtiger, je näher ich kam. Und den meisten sagte ich, daß ich
in Wien bin, am Mexikoplatz und nicht allein, es sind so viele
von den unsrigen dort. Sie redeten weniger, meine Freunde.
Das Bild jedenfalls, das ich sah, als ich in ihre Nähe kam, war
ein anderes als das, das sich mit der Ferne, wo ich sie nur ver¬
mutete, zeigte. Sie trugen dänische Salzstreuer in den Händen,
solche, wie derjenige am Tisch vor uns, den mir mein Schwa¬
ger aus Hillerod aus seiner Fabrik geschenkt hat, Tuborg Bier
lag auf den Autohauben. Münchener Autokennzeichen waren
zu sehen und ein Kind, eines von denen, die ich nicht mehr
kannte, sprach Französisch „Oui mon dieu!“ Wir lächelten und
umarmten uns. Es gab kein Wasser in unserer Nähe auf dieser
Straße. Das Kind wollte trinken und alle haben sich da getrof¬
fen, um diesen kindlichen Durst zu stillen, so kam es mir vor.
Noch ein Mal, wie sie sagten.
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