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Der Großvater besaß ein Bauernhaus, den Haaghof, in Neu¬
lengbach, Niederösterreich, ein altes, verfallenes Haus mit
großem Garten, riesigen Birnbäumen, aus deren Früchten Most
gepreßt wurde. Der Großvater war Uhrmacher gewesen in
Wien. 1938 wurde er zum Verkauf gezwungen, 1939 übersie¬
delte er in das jüdische Altersheim in der Seegasse in Wien.
Die Insassen wurden deportiert und ermordet; nichts erinnert
heute daran. Bruno Schwebel war inzwischen mit seinen Eltern
nach Frankreich geflüchtet, von wo er 1942 über Portugal nach
Mexiko kam.

Der große Mann, der mir im Cafe Sperl gegenübersitzt, war
1959, mit 31 Jahren, Schachmeister der Millionenstadt Mé¬
xico, D.F.; er hat sich auch jetzt, bei seinem Wienaufenthalt, in
den Kaffeehäusern umgesehen: Im schnellen Spiel mit der Uhr
schienen ihm manche schwer zu schlagen. Nach Wien ist er ge¬
kommen, um bei einer Gedenkfeier „anläßlich des Protestes
gegen den Anschluß Österreichs (März 1938)“ aus seinen
Büchern zu lesen. Schwebel schreibt spanisch, derzeit an ei¬
nem Erinnerungsbuch, für das sich ein österreichischer Verlag
interessiert, und hat eine neue Sammlung von Geschichten aus
den letzten 20 Jahren zusammengestellt, „Comida corrida“.
Eine Auswahl seiner Erzählungen, „Die andere Michaela“,
wurde 1999 in Zürich verlegt; die Übersetzung besorgte er zu¬
sammen mit der Deutschlektorin Karin Voigt.

Während seine Eltern in Ciudad de Mexico ein Lebens¬
mittelgeschäft betrieben (der Vater war eigentlich Violinist, die
Mutter Malerin), besuchte Schwebel das mexikanische Pen¬
dant der Graphischen Versuchs- und Lehranstalt, absolvierte
dann die Technische Hochschule mit dem Fachgebiet Elek¬
tronik und war lange Jahre als Fernsehtechniker tätig. Daneben

arbeitete er weiter als Graphiker und Maler, stellte aus, erhielt
Preise für seine Kurzgeschichten und trat in zahlreichen Spiel¬
und Fernsehfilmen auf. Auch in Werbespots ist Schwebel häu¬
fig zu sehen. Die besondere Liebe dieses äußerst vielseitigen
Mannes gilt dem Theater. Zuletzt inszenierte er ein Einper¬
sonenstück mit dem 1972 aus Chile geflüchteten Schauspieler
und Freund Patricio Castillio, ein Monolog Albert Einsteins.

In seinen Erzählungen, deren Protagonisten fast ausschlie߬
lich einfache Arbeiter, Verkäuferinnen, Bauern sind, zeigt sich
Schwebel dem Leben am Rand, dem Leben in den Vororten
und in der mexikanischen Provinz, solidarisch verbunden.
Ohne Hektik entwirft er mit sparsamen Strichen ein kleines
Panorama der jeweiligen Lebensmöglichkeiten und -erwar¬
tungen. Die Vorgänge, die er beschreibt, erstrecken sich meist
über eine Anzahl von Jahren, eine ausgedehnte Gegenwart, in
der bestimmte Bedingungen der Lebensgestaltung bestehen
und schließlich wieder vergehen. Durch die Eröffnung einer
Fabrik etwa entsteht ein neues Gemeinwesen mit ganz beson¬
deren Typen und Erinnerungen. Wird die Fabrik wieder still¬
gelegt, zerstreuen sich die Arbeiterinnen und Arbeiter mit ihren
Familien, müssen an einem anderen Ort wieder von vorne be¬
ginnen. Das ganze offene Land scheint aus solchen unterge¬
gangenen oder noch aktiven Erinnerungsinseln zu bestehen,
und die große Bewegung, die alle zusammenfaßt, ist bloß das
Weiterwandern und Weitersuchen der abermals brotlos ge¬
wordenen Menschen. Der Abendzug (El tren de la tarde) ist in
diesem Sinne eine für Bruno Schwebel klassische Geschichte.
Die, die abhängig sind, haben noch kein Recht auf Geschichte.
Schwebel erzählt ihre Geschichten.

Ölbild von Bruno Schwebel

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