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tunismus, aber auch Beispiele von beachtlichem Mut und menschlicher Größe, das ergreift und ist durchaus geeignet, den Blick ganz allgemein auf die verzweifelte Situation unterdrückter Völker zu richten, in diesem Fall auf die rumänischen Bevölkerung und damit auch auf die seit Jahrhunderten in Rumänien ansässigen Siebenbürger Sachsen. Für den im Westen nachforschenden Detektiv gestaltete sich das Aufspüren verdeckter Wahrheiten gefährlich und keinesfalls schmerzlos. Die Beschäftigung mit der Vergangenheit steigert seine Beklemmung und sein Mißtrauen bis ins Unerträgliche; bis in die nächste Generation setzt sich die nachwirkende Zerstörung von Gefühlen fort. Rosemarie Schulak Richard Wagner: Miss Bukarest. Roman. Berlin: Aufbau Verlag 2001. 190 S. Euro 16,50 Aufzeichnungen in einem australischen Internierungslager 1940/41 Wie demiitigend die verfolgten Menschen im Nationalsozialismus behandelt wurden, zeigte schon der erschiitternde Auszug des Eckfeld-Berichtes im ZW-Schwerpunktheft „Kindheit im Rauch der Flammen“ (Nr. 3/2001) auf. Wie ohnmächtig sie sich gegenüber dem Machtapparat fühlten berichtet uns Reinhold Eckfeld in seinen Aufzeichnungen. Der Mut und die Ausdauer, mit der er um sein Überleben, um die Ausreise aus dem zur Ostmark gewordenen Österreich gerungen hat, nötigen uns heute allen Respekt ab. Nun ist der ungekürzte Bericht mit einem ausführlichem Bild- und Anmerkungsteil erschienen und am 10. April 2002 im Jüdischen Museum der Stadt Wien vorgestellt worden; Georg Auer, Schicksalsgenosse und Freund Reinhold Eckfelds erzählte aus seinen Erinnerungen und SchülerInnen des Gymnasiums, das Eckfeld seinerzeit besucht hatte, musizierten. Der neunzehnjährige Reinhold Eckfeld schrieb seine Erinnerungen an die Erlebnisse in Wien vom 9. November 1938 bis zum 26. August 1939 in den australischen Internierungslagern Hay (New South Wales) und Tatura (Victoria) nieder, wo er Anfang September 1940 von England nach einer abenteuerlichen Überfahrt auf der „Dunera“ von England ankam. Eckfeld berichtet von seiner Verhaftung am 10. November 1938 auf der Straße, den Massenverhaftungen jüdischer Männer, den Transporten und Verhdren durch die Nationalsozialisten an den Tagen danach. Im Detail aufmerksam und mitfiihlend, beschreibt er seine Begegnung mit dem Terror. Diesmal wird er freigelassen, weil er erst siebzehn Jahre alt ist. Doch er ist davon tiberzeugt, sich der Verfolgung durch eine 80 Ausreise entziehen zu miissen und beginnt alle dafiir notwendigen Vorbereitungen zu treffen. Von den administrativen und menschlichen Schwierigkeiten dabei handeln die weiteren Passagen des Berichts, der dem Leser die unerhörten Schikanen der damaligen Machthaber, die Verhöhnung und Verleumdung durch die Mitbürger und die politische Ausweglosigkeit der Verfolgten vor Augen führt. Die Bemühungen um den Erwerb eines Passes, eines Visums, einer Steuerunbedenklichkeitsbescheinigung, einer Fahrkarte, einer Zieladresse, eines Affidavits, einer Ausreisebewilligung wurden durch Rathaus, Finanzamt, Polizeikommissariat, Konsulate, Menschenschlangen und Vorschriften ein Überlebensspiel zwischen Bangen und Hoffen. Besondere Beachtung verdient das umfangreiche Kommentar von Martin Krist. Seine ausführlichen historischen Angaben ergänzen Eckfelds Erzählung, erweitern die Perspektive und verbinden soziale und historische Kompetenz. Das individuelle Erleben und Erzählen Eckfelds bekommen somit einen gesellschaftlichen und politischen Gesamtbezug, was vor allem dem jungen Leser das Verständnis erleichtert und ihm möglicherweise an seine eigene Verantwortung für gesellschaftliches Handeln denken läßt. Bruni Blum Reinhold Eckfeld: Letzte Monate in Wien. Aufzeichnungen aus dem australischen Internierungslager 1940/41. Hg. von Martin Krist. Wien: Turia + Kant 2002. 109 S. Euro 10,— Der Abschluf der Werkausgabe von Soma Morgenstern Der vorletzte Band der Werkausgabe in Einzelbänden enthält neben zwei frühen, satirischen Dramen Morgensterns einfühlsame, noch heute lesenswerte Feuilletons, in denen er zum Beispiel über die Judengasse in PreBburg, das ,,Erpresserblatt“ Die Stunde von Imre Bekessy, das Wiener Kaffeehaus oder die von Witwen bewohnten Villen von Alt Hietzing schrieb. Der letzte Teil des Buches enthält unter anderem ein Fragment gebliebenes Romankapitel mit einer besonders schönen Schilderung des jüdischen Purimfestes. Im letzten Band der Werkausgabe sind Soma Morgensterns auf über 700 Seiten gesammelte Kritiken, Essays, Briefberichte und Tagebücher nachzulesen. Beeindruckend ist im ersten Teil die Bandbreite von Morgensterns Interessen. Als Kritiker berichtete er über Konzerte, Sängerfeste, Filmaufführungen und neue Bücher. Im Berliner Tageblatt schrieb er nach dem Tod Franz Kafkas über Ludwig Hardt, der den Dichter bekannt machte und als Rezitator eine heute vergessene Kunstgattung pflegte, „eine Art akustischer Geisterzitierung“. Er rezensierte die Bücher des „feinsinnigen“ jüdischen Erzählers Schalom Asch und die Autobiographie Kindheit im Exil des aus Rußland gebürtigen zionistischen Führers Shmarya Levin, der darin eine klassische ostjüdische Kindheit, die „in der Welt der Bibel und der Propheten mehr als in der Realität beheimatet“ war und daher als ein „Leben im Exil“ empfunden wurde, beschrieb. In einem von mehreren unveröffentlichten Essays über Franz Kafka beschrieb Morgenstern dessen Faszination durch das jiddische Theater, an dessen Aufführungen in Wien er sich auch selbst erinnerte und er rezipiert ausführlich Evelyn Torton Becks diesbezügliche Studie. Im weiteren Verlauf dieses Essays erwähnte Morgenstern auch Friedrich Heers Buch Gottes erste Liebe, dessen Geschichte des christlichen Antisemitismus er sehr lobte und als eine Genugtuung empfand: „Er hat den Mut, eine Chronik der Sünden zu veröffentlichen, die die Kirche gegen die Juden im Laufe der Jahrhunderte begangen hat. Den Juden sagt er nichts Neues, es sei denn denjenigen Juden, die die Geschichte ihres eigenen Volkes nicht kennen, als vielleicht der Majorität der Juden.“ Der interessanteste Teil des Bandes sind Morgensterns Tagebücher. Um so mehr bedauert man, daß laut Auskunft des Herausgebers die Tagebücher zwischen 1945 und 1949 verloren sind. Morgenstern erinnerte sich in ihnen an seine Familie und besonders an seinen Vater, aber auch an einige Wiener Kollegen; er berichtete von seinen Gesprächen mit Abraham Jehosha Heschel oder über den israelischen Rabbiner Zair. An zwei Stellen wird die Ambivalenz seines Lebens im New Yorker Exil besonders deutlich, wenn er schrieb: Ich habe mich in die Deutschen so verhaßt, daß ich auch die deutsche Sprache nicht lieben kann. Und ein Schriftsteller, der seine Sprache nicht liebt, hat keine Sprache. Und: Ich habe mein Leben falsch eingerichtet ... Ich liebte das Dorf und ich lebte nur in der Stadt ... Ich haßte die großen Städte und ich sehnte mich nach dem Dorf. Über Wien hingegen sagte er im Widerspruch dazu in einem Gespräch aus dem Jahr 1975: „When I reached Vienna I thought it was the greatest city in the world ... I had a love affair with Vienna until the Nazis came.“ Zu dieser Ambivalenz kam auch noch seine Kritik an den zeitgenössischen Juden, die er in aller Schärfe formulierte: „I find Jews in New York appealing and disappointing in about the same measures as in Europe.“ Auch Morgensterns Briefberichte iiber Robert Musil, Ernst Weiß und Walter Benjamin, den er im französischen Exil traf, sind überaus wichtige und authentische Zeugnisse. Seine Briefe an Gershom Scholem aus den 70er Jahren über Benjamin sind kein Erstdruck, da sie bereits 1999 im dritten Briefband Scholem publiziert wurden.