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Am 25. April 2002 wird in der Minoritenkriche Krems-Stein ein „Fest für Fred Wander“ stattfinden. Fred Wander wird, so hat der Vorstand der Theodor Kramer Gesellschaft am 7.11. 2002 einstimmig beschlossen, der Träger des Theodor Kramer Preises für Schreiben im Widerstand und im Exil im Jahre 2003 sein. Der Preis ist — mit Unterstützung des Landes Niederösterreich und der Kunstsektion des Bundeskanzleramtes — mit Euro 7.300,- dotiert. Er wird in Zusammenarbeit mit dem Unabhängigen Literaturhaus NÖ in Krems verliehen. Wander, geboren 1917 in Wien als Fritz Rosenblatt, schlug sich vor der Annexion Österreichs in diversen Berufen in mehreren Ländern durch. Im Mai 1938 gelang ihm die Flucht über die Schweiz nach Paris. Dort wurde er nach Kriegsbeginn als „feindlicher Ausländer“ interniert. 1940 flüchtete er in die nicht-besetzte Zone Frankreichs, nach Marseille. Im September 1942 versuchte er vergeblich, in die Schweiz zu fliehen. Er wurde von der Schweizer Polizei in Ketten der Gestapo ausgeliefert, ins Lager Rivesaltes überstellt und über Drancy nach Auschwitz deportiert, von dort nach Groß-Rosen und Buchenwald, wo er im April 1945 die Befreiung erlebte und nach Wien zurückkehrte. Sein Vater, seine Mutter und seine Schwester Renée wurden 1942 in Auschwitz ermordet. In Wien arbeitete er als Zeichner, Fotograf, Reporter, Essayist und Feuilletonist fiir Zeitungen. Auf Einladung des Johannes R. Becher-Instituts kam Wander 1955 in die DDR. Gemeinsam mit seiner Frau, der aus Wien stammenden Schriftstellerin und Fotografin Maxie Wander, lebte er lange Jahre als freischaffender Schriftsteller, Publizist und Theaterautor in der DDR. 1983 kehrte Wander nach Wien zuriick. „... mein Thema ist das Überleben“, schreibt Fred Wander und meint damit nicht einfach die eigene physische Person, sondern den Typus: „den Flüchtling, den Andersartigen und Außenseiter, den Mißachteten und Gehaßten“, die besser als die „in der Geborgenheit des Stammes“ Ansässigen geeignet sind, „in sich die Menschheit als Ganzes zu erleben.“ Dieser hohe ästhetische Anspruch ist ganz besonders in Wanders umfangreichstem Erzählwerk „Hötel Baalbek“ erfüllt. Der Roman spielt 1940-42 in Marseille, der Stadt der Flüchtlinge in der nicht-besetzten Zone Frankreichs. In „Hötel Baalbek“ fließen neue historische Erfahrungen ein, eine neue Perspektive, in der lebendige Gegenwart wird, was am Rande der Vernichtung stand, ja an ihm erst entstand. Wander hat diesen Widerstand gegen das Faktum der Vernichtung schon in seiner großen Erzählung „Der siebente Brunnen“ (1971) artikuliert. „Wenigstens einige Namen aufrufen, einige Stimmen wiedererwecken, einige Gesichter aus der Erinnerung nachzeichnen“, schrieb Christa Wolf 1972 über die Intention des Werkes, das 1972 mit dem Heinrich-Mann-Preis ausgezeichnet wurde. Fred Wander, über den in dieser Zeitschrift u.a. Klemens Renoldner und Stephan Steiner geschrieben haben, ein eigenes Kapitel gewidmet ist, hat in ZW 1997 auch einige Schriften veröffentlicht, die gewissermaßen seine Poetologie darlegen: eine Poetologie der Verteidigung des Nicht-Identischen gegen seine Identifizierung, die meist Ausgrenzung und Verfolgung bedeutet. Das vorliegende Heft enthält ein kleines, von Bruni Blum zusammengestelltes Dossier aus Anlaß des 60. Todestages Stefan Zweigs, die von Gerhard Scheit redigierte Musikbeilage Orpheus in der Zwischenwelt, die nun schon zu einer regelmäßigen Bereicherung unserer Zeitschrift geworden ist und uns daran erinnert, daß die Erforschung des Exils nicht auf das Gebiet der Literatur beschränkt bleiben darf. Die neugegründete Österreichische Gesellschaft für Exilforschung wird ab 2003 hoffentlich dafür sorgen können, daß ein Einblick in die Exilforschungen auf den verschiedensten Gebieten einem gröBeren Kreis als den jeweils Eingeweihten ermöglicht wird. U.a. will sich diese Gesellschaft für eine große Exil-Ausstellung im Jahr 2005 einsetzen. Sie finden weiters eine Dokumentation der bei der Verleihung des Theodor Kramer Preises 2002 an Alfredo Bauer und Fritz Kalmar gehaltenen Reden; die Beiträge zum Franz KainKolloquium 2001 werden in Nr. 4/2002, die leider erst im Februar erscheinen kann, nachzulesen sein. Das von Marcus G. Patka und Regina Thumser herausgegebene Schwerpunktheft zum Exilkabarett wird als Nr. 1/2003 herauskommen; als Nr. 2/2003 folgt ein Album der schönen Unbekannten mit Beiträgen über die Schriftstellerin Vicky Baum, den Musiker Otto Janowitz, die Malerin Diana Kurz und die Lyrikerin Tamar Radzyner. Weitere in Planung und Diskussion befindliche Schwerpunktthemen sind: Ästhetische Qualität, Verdrängung und Erinnern; Exil in Ungarn; Schreiben im Exil in Österreich heute; Galizien... Wir bitten unsere LeserInnen und Leser um Anregungen, Vorschläge, Hinweise. Ein besonders tragisches Kapitel der jüdischen Massenflucht aus dem von Hitlerdeutschland annketierten Österreich ist die Geschichte des Kladovo-Transportes, auf die sich die Schriftstellerin Hazel Rosenstrauch in „Mein neuer Großvater“ bezieht. Die jüdischen Organisationen mußten das Risiko solcher ins Ungewisse führender Flüchtlingstransporte auf sich nehmen, weil die im Juli 1938 vom Präsidenten der USA, Franklin D. Roosevelt, zur Regelung der Flüchtlingsfrage einberufene Konferenz im französischen Badeort Evian das Gegenteil von dem erreicht hatte, was man erwartete. Vertreter von 31 Staaten (ohne Sowjetunion, Irland, Luxenburg; Polen und Rumänien waren nicht eingeladen) erörterten eine gemeinsame Vorgangsweise in der nach der Okkupation Österreichs verschärften Flüchtlingsfrage. In dreiminütigen Abständen durften Vertreter von über 30 Hilfsorganisationen die verzweifelte Lage der verfolgten und entrechteten Juden im Großdeutschen Reich darlegen. Die Quotenregelungen, allen voran die der USA, wurden bestätigt; die westlichen europäischen Länder, einschließlich der Schweiz, erklärten, „das Boot sei voll“; man könne allenfalls nur so viele Menschen aufnehmen, als man durch Abwanderung verliere. Die Neugründung eines Intergovernemental Committee on Political Refugees änderte nichts an der zunehmend restriktiven Aufnahmepraxis der einzelnen Länder. In Evian setzte sich ein neuer politischer Umgang mit Verfolgten durch: Man demonstrierte öffentlich das Bemühen um eine Lösung, ohne wirkliche Hilfe zu bieten. Für die Bedrohten bedeutete das die Unmöglichkeit legaler Emigration, bedeutete: Bestechung von Beamten, gefälschte Papiere, sich Schleppern anvertrauen oder auf überfüllte Schiffe gehen, die in keinem Hafen mehr anlegen konnten. Siglinde Bolbecher, Konstantin Kaiser