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Gomperz wie viele andere Sachen auch über den Sohn Rudi in
fremde Hände geriet. (Im Film kommt neben Zeitzeugen und
Felix Mitterer auch Peter Sichrovsky zu Wort, der in St. Anton
vergeblich nach dem Verbleib der silbernen Lokomotive ge¬
forscht hat.)

Ist damit die Rehabilitierung des Wintersportpioniers von
St. Anton gelungen, wie Harry Sichrovsky in einem Bericht
über die Enthüllung dieses Denkmals schrieb?’ Leider nicht in
dem Maße und in der Art, wie es in den Vorworten zu Kein
schöner Land am Arlberg glauben gemacht wird (ein unfrei¬
willig entlarvender Titel übrigens): Viele von denen, die sich
heute in die Reihe jener stellen, die das Wirken dieses Mannes
lobpreisen und sein tragisches Ende bedauern, hätten im
Rahmen ihrer öffentlichen Funktionen und Ämter Ing. Rudolf
Gomperz spätestens ab 1977 erwähnen müssen. Doch sie ha¬
ben trotz Dokumentation, Denkmal und dramatischer Bear¬
beitung seinen Namen bei einschlägigen offiziellen Anlässen
nie über ihre Lippen gebracht. Alle, die zu Kein schöner Land
am Arlberg ihre Vorworte abgeliefert haben, waren auch dabei,
als bei der Alpinen Ski-WM 2001 in St. Anton der hundert¬
jährige Bestand des SCA gefeiert wurde. Und keinem von ih¬
nen ist es offenbar aufgefallen, daß bei der Aufzählung der
verdienstvollen Mitglieder dieses Clubs der Name des ehema¬
ligen Präsidenten und Ehrenpräsidenten Ing. Rudolf Gomperz
aufs neue fehlte. (Die Versuche des Verfassers dieses Beitrags,
mediale Unterstützung für die Veröffentlichung dieses Skan¬
dals zu erhalten, waren vergeblich. Alle Hinweise darauf wur¬
den und werden vom offiziellen St. Anton als böswillige
Einmischung von außen abgetan.)

Im Sinne einer ehrlichen Befassung mit dem Leben und
Sterben dieses Mannes im Kontext zur Geschichte des Ortes
und der Region Arlberg von 1938 bis 2002 wäre es notwendig,
die lokalen Hintergründe für diese hartnäckige Vergeßlichkeit
öffentlich auszuleuchten. Eine im Vorspann zur Premiere des
Stückes Kein schöner Land vom Historiker DDr. Roman Spiss
moderierte einstündige. Diskussion mit Zeitzeugen (im
Nachhinein euphemistisch als Gomperz-Symposion bezeich¬
net) befaßte sich mit den Ursachen dieser (bewußten)
Vergeßlichkeit, durch die ein Mensch nach dessen physischer
Vernichtung auch aus dem kollektiven Gedächtnis gelöscht
werden soll, leider nur am Rande.

Der Umstand, daß diese neuerliche Verweigerung, Gomperz
Namen zu nennen, nicht als Skandal erkannt worden ist,
kann/muß auch als Hinweis darauf gewertet werden, daß vie¬
le Aussagen zum Fall Gomperz nur Lippenbekenntnisse sind.
Es hat den Anschein, das offizielle St. Anton betrachte sich als
aus der Pflicht des Erinnerns an Leben, Wirken und Tod dieses
Mannes durch dessen skulpturale Fixierung und dramatisierte
Darstellung entlassen.

Was Ing. Rudolf Gomperz nach 1945 mit der Tilgung aus
der Namensliste der Toten dieses Ortes angetan worden ist und
angetan wird, kann man auch als Gewaltausübung aus
Schwäche sehen. Die vollständige Überwindung dieser Schwä¬
che durch wahrhaftes Gedenken in Form der selbstverständli¬
chen gedanklichen, mündlichen und schriftlichen Einbe¬
ziehung des jüdischen Mitbürgers Rudolf Gomperz in die
Gemeinschaft aller Lebenden und Toten von St. Anton wird
wohl erst späteren Generationen möglich sein.

Auf der Basis der oben beschriebenen Bemühungen wird
die wahrhaftige Rehabilitation dieses Mannes zum guten Ende
aber doch gelingen.

Anmerkungen

1 Der Ski Club Arlberg wurde am 3. Jänner 1901 im Hospiz St.
Christoph gegründet. Das Gründungsdokument war ein Tischtuch.

2 Hans Thöni: Kein schöner Land am Arlberg. Das Schicksal von
Ing. Rudolf Gomperz, Wegbereiter für St. Antons Fremdenverkehr.
Hg. vom Verein für die Arlberger Kulturtage, erschienen im Mai 2002.
— Der Titel ist als Anlehnung an Felix Mitterers Stück Kein schöner
Land zu verstehen.

3 Thomas Albrich (Hg.): Wir lebten wie sie. Innsbruck: Haymon
Verlag 1999.

4 Harry Sichrovsky (im Frühjahr 2002 verstorben) schrieb über
Heinrich von Sichrovsky, seinen Urgroßonkel väterlicherseits und
Rudolf Gomperz’ Großvater mütterlicherseits, das Buch Mein Urahn,
der Bahnbrecher (Wien: Braumüller 1988).

5 Der 1922 geborene Sohn Rudolf führte, 1948 aus russischer
Kriegsgefangenschaft heimgekehrt (die Mutter war kurz vorher ver¬
armt, vereinsamt und verbittert in St. Anton gestorben) ein unstetes
Leben, das er 1966 durch Suizid beendete. Sohn Hans (geb. 1925)
diente als überzeugter Nationalsozialist in der SS-Division
Hitlerjugend und fiel bei den Kämpfen nach der Landung der
Alliierten im Juni 1944 bei Caen in der Normandie.

6 Als Autor wird Hannes Schneider genannt.

7 Nach Erscheinen der Gomperz-Biographie meldete sich bei Hans
Thöni in Bludenz eine gebürtige St. Antonerin, die behauptete,
Gomperz im Herbst 1942 in Lemberg als Straßenkehrer getroffen zu
haben. — Frau Gomperz sagte nach dem Krieg, die letzte Nachricht
von ihrem Mann habe sie 1943 aus Minsk erhalten.

8 Arnold Fanck, und Hannes Schneider: Wunder des Schneeschuhs.
Ein System des richtigen Skilaufens und seine Anwendung im alpi¬
nen Geländelauf. Mit 242 Einzelbildern und 1000 kinematographi¬
schen Reihenbildern. Hamburg: Gebriider Enoch Verlag 1927. —
Arnold Fanck (1889-1974) trug mit Filmen wie Der weiße Rausch
(1930) wesentlich dazu bei, St. Anton international bekannt zu ma¬
chen. — Hannes Schneider (1890-1955) wurde noch in der Nacht des
„Anschlusses“ verhaftet. Nach 26 Tagen wurde er freigelassen, durf¬
te aber nicht mehr nach St. Anton zurückkehren. Bei Rechtsanwalt Dr.
Karl Rosen in Garmisch Partenkirchen fand er vorübergehend
Aufnahme. Durch einen Deal mit dem deutschen Reichsbankpräsi¬
denten Hjalmar Schacht erreichte der US-amerikanische Banker
Harvey Gibson schließlich die Ausreiseerlaubnis für die Familie
Schneider nach North Conway, dem Heimatort Mr. Gibsons, den
Hannes Schneider zum Wintersportplatz machte. (Hans Thöni:
Hannes Schneider zum 100. Geburtstag des Skipioniers und Be¬
gründers der Arlberg-Technik. Innsbruck: Tyrolia 1990). Erstmals ver¬
öffentlicht im Gemeindeblatt St. Anton in drei Folgen (November
1976, Jänner und März 1977), später auch im Gemeindeblatt für den
Bezirk Landeck.