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unbekannt. Fest steht jedoch, daß er sich der Resolution nicht anschließen mochte und dafür von Jacob brieflich getadelt wurde. Klaus Amann hat darauf hingewiesen, daß man die damalige Spaltung der österreichischen Literatur unter dem Standpunkt eines politischen Geschäfts betrachten kann. Und Politik war für Zweig tatsächlich ein morastiger Handel, von dem er sich nach Möglichkeit fernhalten wollte. Daß aber gerade er, dem als weltbekannten Autor Tür und Tor für einen öffentlichen Einspruch gegen den Despotismus des Nationalsozialismus offen stand, die Notwendigkeit des Protestes nicht begreifen wollte, ist wirklich schwer nachvollziehbar - selbst für mich. 1934 siedelte Zweig nach einer polizeilichen Durchsuchung seines Salzburger Hauses nach London über. Ab 1940 trifft man ihn in New York und ab August 1941 in Brasilien. Es war für Zweig, trotz erfolgreichen Schaffens, die Zeit des Verlorenseins und der Rastlosigkeit. Nicht nur die Politik, sondern auch seine Beziehungsprobleme trugen dazu bei. In Brasilien weilte er übrigens schon einmal 1936, als Zwischenstation auf dem Weg zum PEN-Kongress nach Buenos Aires. In Rio wurde er empfangen wie ein Staatsgast. Seine geographische Liebe galt fortan Brasilien, dem er eine öffentliche Liebeserklärung in Form des Buches „Brasilien — Land der Zukunft“ widmete. Nicht ohne Ironie wirkt es aus heutiger Sicht, daß er mit diesem Werk dem Regime des Diktators Getülio Vargas, der ideologisch zunächst Hitler und Mussolini bewunderte, eine Art Propagandaschrift in die Hand drückte. Andererseits versprach sich Zweig durch Verhandlungen mit Vargas die Aufnahme jüdischer Flüchtinge in dem großen Land und überschaute dabei nicht, daß Vargas bereits ab 1937 eine antisemitische Einwanderungspolitik in seinem „Estado Növo“ betrieb. Gerade als das Werk 1941 erschienen war, bezog Zweig mit seiner zweiten Frau Lotte ein Häuschen in Petröpolis, in den Bergen bei Rio. Es folgte das Angebot, eine Vargas-Biographie zu schreiben, was Zweig allerdings ablehnte. Den Vargas-Mythos bediente dann 1943 paradoxerweise — als nützlicher Handlanger — Paul Frischauer mit seinem „Presidente Vargas“; ausgerechnet Frischauer, der noch 1933 in vorderster Front gegen die „Völkischen“ im österreichischen PEN kämpfte.” Am 22. Februar 1942 beging Zweig mit seiner Frau Lotte in Petröpolis Selbstmord, um eine letzte Lebenslast abzustreifen. Seit dem Jahre 2000 liegt der 3. Band der von Ihnen herausgegebenen Briefauswahl Zweigs seit 1897 vor. Eine unglaubliche Quellenedition, die Zweigs geschöntes Selbstbild aus der „Welt von gestern“ durch den leidenschaftlichen Briefschreiber selbst in das Licht eines ambivalent stetig Zerrissenen rückt. Was wird der abschließende 4. Band für den Zeitraum 1933 bis 1942 bringen? Zunächst sei erwähnt, daß ich diese Briefe gemeinsam mit dem wunderbaren Freund Knut Beck, Herausgeber der Werke Zweigs und einer seiner profundesten Kenner, bearbeite und ediere. Ohne Beck und seiner Kompetenz wäre dieses epistolographische Corpus keinesfalls denkbar. Gerade der Zeitraum des letzten Bandes hält noch eine Vielzahl aufregender Novitäten bereit. Es geht um die Gewaltherrschaft des Nationalsozialismus, Verfolgung und Emigration. Ein Schwerpunkt unseres Gesprächs liegt ja auf dieser unseligen Zeit. Nicht nur das von Ihnen mehrfach erwähnt Ambivalente, Hans-Albrecht 28 Koch sprach sogar einmal vom Chamäleonhaften in Zweigs Charakter, wird zur Geltung kommen, sondern auch das durch und durch Sympathische an ihm. Und es wird buchstäblich um „Die letzte Partie“ in Leben und Werk von Stefan Zweig gehen. Eine abschließende Frage: Professor Klaus Zelewitz aus Salzburg sagte anläßlich des Gründungskongresses der neuen „Internationalen Stefan-Zweig-Gesellschaft“, deren Wissenschaftlichem Beirat Sie angehören, daß „die Position Zweigs in den USA sichtbar zurückgegangen“ sei, und machte dafür den „Rückgang der Bedeutung von deutscher Sprache und Literatur in den USA“ verantwortlich. Können Sie dem zustimmen? Diese Positionierung stimmt teilweise: Richtig ist, daß die deutsche Sprache in den USA bedauerlicherweise rückläufig ist, wodurch kuriose Sachverhalte entstehen wie dieser, daß immer weniger Mitarbeiter amerikanischer Archive in der Lage sind, Nachlaßkorrespondenzen und anderes deutschsprachiger Emigranten zu lesen, weil sie der Sprache nicht mächtig sind. Das führt zu einer Verkümmerung der Arbeit am Nachlaß und fördert das Vergessen. Um Stefan Zweig sollten wir uns hingegen noch keine Sorgen machen. Seine Werke sind in den Buchhandlungen der USA präsent, was mit zum Verdienst der Verlegerinnen Sonja Dobbins und Lindi Preuss zählt und natürlich dem des S. Fischer Verlages. Literaturwissenschaftlich „lebt“ Zweig in den USA sowieso. Schauen Sie nur in Randolph J. Klawiters Addendum für den Zeitraum 1991 bis 1996 zu seiner Zweig-Bibliographie. Dieser Nachtrag umfaßt über 500 Seiten und viele der aufgeführten Sekundärtitel sind von US-Amerikanern verfaßt. * Die Beweggründe Frischauers zu seiner Vargas-Biographie werden von Ursula Prutsch und Klaus Zeyringer in „Die Welten des Paul Frischauer. Ein ‚literarischer Abenteurer’ im historischen Kontext. Wien — London — Rio — New York — Wien“ (Wien, Köln, Weimar 1997) diskutiert. Frischauer handelte, wie es scheint, im Einverständnis mit dem britischen Secret Service, dem an einer Beeinflussung des brasilianischen Diktators zugunsten der Alliierten gelegen war. - Anm. der Red. Die ‚Internationale Stefan Zweig Gesellschaft“ fördert die kritische Auseinandersetzung mit Leben und Werk Stefan Zweigs; besonders wird seine pazifistische Haltung und sein Vorkämpfertum für die „geistige Einheit Europas“. Die Gesellschaft versteht sich als Gemeinschaft von ZweigLeserInnen, Interessierten, Sammlern, WissenschaftlerInnen. Sie veranstaltet Ausstellungen, Lesungen und Symposien. Dem Vorstand gehören u.a. an: Hildemar Holl, Adolf Haslinger, Jeffrey B. Berlin, Gennadij Kagan. Adresse: Institut für Germanistik, A-5020 Salzburg, Akademiestr. 20. E-mail: hildemar.holl@sbg.ac.at. Homepage: www.sbg.ac.at/ger/zweig