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Wichtigste: die Satire derer, die als Österrei¬
cher in aller Welt unterkamen, weil sie das
deutsche NS-Regime fliehen mußten. Es
sollte über österreichische Schriftsteller und
Intellektuelle — die Zahl der hinterlassen
Schriften ist ja sehr groß — gesprochen wer¬
den, die aus Gründen rassistischer und/oder
politischer Verfolgung Österreich verlassen
mußten und die sich der „Satire“ im weiteren
Sinne als Überlebenskunst, als Ausdruck der
Revolte, des Kampfes oder als Zeugnismittel
bedienten, um in der ganzen Welt, dort, wo
sie sich gerade aufhielten, die Zwangsemi¬
gration, die Annexion, den nationalsozialisti¬
schen Antisemitismus, den „imperialisti¬
schen“ Krieg und die „Endlösung“ zu denun¬
zieren. „Satire“ und „Exil“ mußten definito¬
rischen Kriterien entsprechen, die nicht
immer vorsichtig genug beachtet werden:
Anne Saint-Sauveur leistete Originelles mit
einem Beitrag über Fritz Kalmar; Johannes
Feichtinger wies auf die Schwierigkeiten der
Akkulturation hin, Regina Thumser auf das
„Lachen als Katharsis“, auf kollektive
Unterstützung von „außen“ am Broadway.
Unser (abgestecktes) Forschungsfeld des
Exils ist so weit gewesen, daß diese öster¬
reichische „Kulturdiaspora“ [J.B.] sozusagen
eine frühe aber sonderbare (Kultur) ‚Globa¬
lisierung“ [J.B.] vorwegnimmt. Die Zer¬
streuung der Exilanten in der ganzen Welt hat
eine austriazistische Forschung unter den
Germanisten aller Kontinente ausgelöst, was
auch die Tagung reflektieren wollte. Nur der
1936 in Österreich verstorbene Karl Kraus
nimmt da — wie immer — eine Sonderstellung
ein, aber Kraus’ mehrmonatiges Schweigen
löste Reaktionen von außen aus (Franz
Leschnitzer und die „Fackel“ von Gerald
Stieg). Auch Österreich selbst und Italien wa¬
ren eine Zeit lang Fluchtziele (Sonderfall:
Benno Geiger).

Die üblichen Untersuchungen wurden auf der
Tagung durch das Heranziehen veschiedener
Künste, durch Verwendung der Presse und li¬
terarischer Werke, durch ein anthropologi¬
sches und soziologisches Erkunden der
Exilbedingungen, durch das Aufspüren von
Vernetzungen, durch die Bestimmung des
„Identitären“ erweitert. Die Folgen der
Emigration/Immigration, die geo-politischen,
linguistischen Optionen dieser Schriftsteller,
Künstler oder Intellektuellen nach 1945, ent¬
weder in Österreich als Remigranten oder als
(un)glückliche Assimilanten in ihrem „Adop¬
tivland“ wurden fokussiert. Von diesem Ge¬
sichtspunkt aus war der politologische Blick
Alfred Pfabigans, der bei R. Berczeller eine
„quasi ‚gebrochene? satirische Identität“ ent¬
deckte, weil er sich spät assimilierte, als Arzt
auf Englisch schrieb und dabei stets den Anti¬
semitismus anprangerte, besonders scharf.
Ein drittes entscheidendes Moment war si¬
cher das Erfassen der genealogischen Nach¬
kunft der früheren Exilanten. Es stellt sich
heraus, daß die Enkel - eine dritte Generation
— schon das Erbe der Älteren verwalten
(Harry Mulisch, Jakov Lind, Doron Rabi¬

novici). Diese Schreibdiachronie bringt not¬
wendig Änderungen mit sich: ein Reformu¬
lieren der Topoi, ein Umstrukturieren des
Hypertextes, eine Suche nach andersartiger
Identität, ein Wille, sich von den Traumen zu
erholen und vielleicht eine qualitativere
Literatur, d.h. eine geläuterte, fiktionalisier¬
tere. Was sie an zeitlicher (Sofort)Authen¬
tizität verliert — d.h. an persönlichem Erlebnis
der Emigranten —, kompensiert sie durch die
Aufgabe, ein Sprachrohr an Stelle der
„Opfer“ zu sein und durch das Wachhalten
der Erinnerung.

Welche Beziehung hatten diese früheren
Österreicher in aller Welt zum annektierten
Österreich und später zur Zweiten Republik?
Wir konnten nur punktuelle Antworten geben,
aber die Pluridisziplinarität hat uns erlaubt, die
Thematik originell und teilweise doch synthe¬
tisch zu behandeln, die intellektuellen, institu¬
tionellen, ökonomischen Mechanismen zu
verstehen, das Bild eines ungewöhnlichen
„virtuellen Österreich“ zu entwerfen, beson¬
ders zwischen 1938-45, als nicht mehr die
„Nation“ — im Sinne von souveräner Gemein¬
schaft und Staat — sprach, sondern einfache
Ausgeschlossene, die, zu Parias geworden, die
österreichische Fahne und Fackel hochhielten.
Die Identität, ob persönlich, zivil, literarisch
stand immer im Mittelpunkt des Schreib¬
diskurses. Dazu gesellt sich die Problematik
der Alterität. Wie wird man in einer
Extremsituation mit dem „Anderen“ fertig?
Es ist ein Beitrag — natürlicherweise ein un¬
vollständiger — zur Literaturgeschichte
„Österreichs“ in einer Ausnahmesituation,
zur Erforschung der Satire, die bei den jüdi¬
schen Autoren oft zu einer Weiterentwicklung
einer „Witzkultur“ führt (Jeanne Benay). Die
Auseinandersetzung mit dem Fremden, die
Grenzerfahrungen, die schwierige (Re)Assi¬
milation förderten eher die Kleinformen, das
Theater und besprachen sehr friih, ohne
Tabuisierung, thematisch die Shoah, die kol¬
lektive Erinnerung sowie das Uberwinden der
Traumata.

Zuletzt muß noch hinzugefügt werden, daß
die Tagung von vielen unterstützt wurde, die
mit unserem herzlichen Dank rechnen dürfen:
Gedankt sei also dem Conseil Regional de
Lorraine, der Mairie de la Ville de Metz, der
Université de Metz (CS) und der UFR Lettres
& Langues, dem Centre de Recherche sur les
Périodiques de Langue allemande (zu wel¬
chem das CITA gehGrt), der Université de
Paris III, dem Service des Relations interna¬
tionales von Paris III, dem Centre de
Recherche du Departement d’allemand d’As¬
niéres, dem Centre d’Etude et de Recherche
Autrichienne de Rouen, der Kulturabteilung
der Stadt Wien — Wissenschafts- und For¬
schungsförderung, den Universitäten Wien
und Graz, dem CNRS (Paris) und dem Erich
Schmidt-Verlag aus Berlin. Die deutschspra¬
chigen Akten des Symposions werden 2003
bei Peter Lang in Bern publiziert.

Jeanne Benay lehrt an der Universität Metz.

* Siehe Gilbert Ravy, Jeanne Benay : Satire —
Parodie — Pamphlet — Caricature en Autriche
a l’Epoque de Frangois-Joseph (1848-1914).
Rouen: PUR 1999.— Jeanne Benay, Gilbert
Ravy : Ecritures et langages satiriques en
Autriche (1914-1938)/Satire in Österreich
(1914-1938). Bern: Lang 1999.- Jeanne
Benay, Gerald Stieg: Osterreich (1945-2000).
Das Land der Satire. Bern: Lang 2000. — In
Vorbereitung: Jeanne Benay, Alfred Pfabigan,
Anne Saint-Sauveur: Österreichische Satire
(1933-2000): Exil — Remigration — Assimila¬
tion. Bern: Lang 2003.

„Franz Kain lebt in der
Zwischenwelt“

Wien, Literarisches Quartier in der Alten
Schmiede, Donnerstag, 13. Februar 2003:
Siglinde Bolbecher, Eugenie Kain und Erika
Wimmer präsentieren die Ergebnisse der bis¬
herigen Franz Kain-Kollogien in einer von
Konstantin Kaiser zusammengestellten Text¬
montage. Im Vorspann wird der Film
„kainDenkmal“ von Alenka Maly gezeigt.
Erinnerlich ist Brechts Geschichte von dem
Herrn Egge, der den Agenten der Tyrannei
wortlos bei sich aufnimmt und verköstigt und
„Nein!“ erst sagt, als dieser verstorben ist.
Die alte Frage war, ob man nach Faschismus
und Nationalsozialismus einen Menschen in
den Umrissen eines Österreichers darstellen
kann.

Franz Kain, geboren 1922 bei Bad Goisern in
Oberösterreich, gestorben 1997 in Linz, wur¬
de im „Ständestaat“ und im NS-Staat glei¬
chermaßen als Widerstandskämpfer verfolgt.
Im Gefängnis begann er zu schreiben. Man
kann sein Werk neben das von Michael Gut¬
tenbrunner und das von Fred Wander stellen:
Gemeinsam ist ihnen nicht nur die persönli¬
che Erfahrung von Widerstand und Verfol¬
gung in der NS-Zeit, sondern auch das An¬
schreiben gegen die physische und geistige
Vernichtung, auch nach der NS-Zeit.

Damit luden die Initiatoren, Erich Hackl,
Konstantin Kaiser und Walter Wippersberg
1999 erstmals zu einem Franz Kain Kollo¬
quium mit dem Thema Möglichkeiten und
Grenzen des Schreibens gegen den Faschis¬
mus ,einst’ und ‚jetzt’ nach Wien. Kolloquien
in Linz (Gegenwart und Abwesenheit des
Mitleids in der Literatur) und Innsbruck (Die
Ohnmacht in der Literatur) folgten. Außer
den Initiatoren beteiligten sich mit eigenen
Beiträgen: Hans Augustin, Siglinde Bolbe¬
cher, Eugenie Kain, Wulf Kirsten, Walter
Kohl, Anna Mitgutsch, Barbara Neuwirth,
Vladimir Vertlib, Elisabeth Reichart, Andreas
Tiefenbacher, Erika Wimmer.

Die Ergebnisse sind bisher in zwei Supple¬
ments von ZW und 99 publiziert; sie kon¬
frontieren mit Grundproblemen des Schrei¬
bens heute. Das Supplement mit den Er¬
gebnissen des Innsbrucker Kolloquiums er¬
scheint mit ZW Nr. 4/2002.

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