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bar sehr Bekannten, das er aus einigen gewohnten Urteilen löst. Daß „Hangmen Also Die“, Fritz Langs Film zum HeydrichAttentat und zum tschechischen Widerstand, kein gelungener Film sei, liest man bei Brecht, der sich als Mitautor hineingelegt fühlte und es auch wohl wurde. Viele haben sich diesem Urteil angeschlossen, obwohl kaum jemand unberührt von der schauspielerischen Leistung des genialen Alexander Granach geblieben ist. Aber Asper hält fest, daß „Brecht trotz seiner negativen Äußerungen wesentlichen Anteil daran“ hatte, den Film zu einem der „ernsthaftesten Anti-NaziFilme Hollywoods“ werden zu lassen (447). Das zeigt sich im Vergleich mit den oft schablonenhaften Anti-Nazi-Filmen, die sonst geboten wurden. Bekanntlich waren die darin vorkommenden Nazi-Rollen eine Möglichkeit für exilierte Schauspieler, ein Engagement zu bekommen. Die von Asper präsentierten Dokumente zeigen, wie die exilierten Schauspieler Genugtuung über ihre Aufgabe, aber auch Unbehagen über die trivialen Plots empfanden. Ein unerhörter Mangel dieser Filme ist dabei hervorzuheben, er wird bis heute oft übersehen, obwohl er bereits damals erkannt wurde. „Are Jewish Themes ‚Verboten‘?“ lautete 1943 ein Artikel im „Aufbau“ (er ist im Buch in Übersetzung abgedruckt), darin heißt es eingangs: „Es gab viele Filme über Amerika im Krieg. Es gab Filme über England im Blitzkrieg, Frankreich, Holland und Tschechoslowakei unter dem NaziStiefel. Es gab Hollywood-Darstellungen unserer Alliierten (...). Aber bisher gab es keinen Film über die Juden. (...) [E]s [gab] keine Schilderung auf der Leinwand von der größten und schrecklichsten Tragödie, die die Geschichte in vielen Jahrhunderten erlebt hat, der Ermordung der Juden Europas“ (595). Das Schicksal der Vertriebenen wird somit auch der Tatsache gegenübergestellt, daß die Filmindustrie Hollywoods sogar in der Phase als antifaschistische Themen gesucht waren, keine oder kaum Notiz von der Verfolgung der Juden nahm. Die Blendung des historischen Gedächtnisses durch die glitzernde Filmwelt Hollywoods kann in der Frage des Exils verschiedene Auswirkungen haben. Bei den Prominenten kommt das Exil in den gängigen Darstellungen kaum vor und die weniger Erfolgreichen werden gleich ganz vergessen, ihre Biographien enden mit der Vertreibung aus Hitlerdeutschland, unbekannt bleibt, daß sie sich nach Hollywood durchschlagen konnten. Im vorliegenden Buch aber sind die jeweiligen Umstände von Verfolgung, Flucht und vor allem Exilsituation stets zum Ausgangspunkt der Studien genommen. Welche Geschichten Asper dabei nicht nur in den Archiven, sondern auch durch zahlreiche Gespräche entdeckt hat, läßt sich an einem Kapitel des Buches andeuten, das den Titel „Der Zauberer und seine Brüder. Paul, Frederick und Walter Kohner in Hollywood“ trägt. Der Filmagent Paul Kohner (die Auswertung seines Nachlasses in der Stiftung Kinemathek Berlin hat wesentlich zum Quellenreichtum des Buches beigetragen) war mit der von ihm gegründeten Hilfsorganisation European Film Fund die „erste Adresse und Anlaufstelle nahezu aller aus Europa geflüchteten Filmemigranten“ (222). „Lebensretter“ nannte ihn sein Bruder, der Schriftsteller und Drehbuchautor Frederick Kohner. Dieser — der übrigens in Wien studiert hatte, dort mit Karl Kraus in Kontakt gekommen war und mit einer der ersten Dissertationen über den Film promoviert hatte — veröffentlichte einen Lebensroman über seinen Bruder Paul und schrieb gemeinsam mit seinem jüngeren Bruder Walter und dessen Frau Hanna ein Buch über die Geschichte ihrer Liebe: Walter Kohner hatte nach dem Krieg seine Verlobte Hanna BlochBenjamin wiedergefunden, die Auschwitz und den Transport in das KZ Vöcklabruck überlebt hatte, als Displaced Person über viele Stationen durch Europa geirrt und schließlich von holländischen Freunden aufgenommen worden war. Die Kenntnis über das Filmexil in Hollywood wurde uns vielfach von Schriftstellern und Schriftstellerinnen überliefert, die ihre Existenz durch das Schreiben von Drehbüchern sichern mußten. Es sind oft verzweifelte, manchmal ironische Schilderungen einer als sinnlos empfundenen Tätigkeit. Das vorliegende Buch widerspricht ihnen nicht, geht aber differenziert den unterschiedlichen Erfahrungen und Einschätzungen nach. „Paradies, Lügenfabrik oder Vorhölle?‘“ lautet ein Kapitel, das u.a. die Arbeit von Bertolt Brecht, Leonhard Frank, Alfred Döblin, Vicki Baum, Gina Kaus und Friedrich Torberg für die Hollywood-Studios beschreibt. Asper weist nach, daß manche Autoren und Autorinnen nicht nur darunter litten, „Raubbau an ihrem Gehirn zu üben“ (Alfred Döblin), sondern auch an bedeutenden Filmen mitarbeiten konnten. Wie sehr die Schriftsteller und Schriftstellerinnen aber auf die Wendungen des Filmmarktes angewiesen waren und wie wenig dabei nach persönlichen Intentionen zu fragen war, macht ein Zitat von Gina Kaus deutlich, die ja durchaus zu den erfolgreichen Drehbuchautorinnen gezählt werden kann: „Ich nahm jeden Job an, den ich bekommen konnte“. (446). „„...etwas besseres als den Tod findest du überall“, ruft in Grimms Märchen „Die Bremer Stadtmusikanten‘“ der Esel dem Hahn zu. Der Titel des Buches ist aber einem Exil-Brief entnommen, denn dort schrieb der exilierte Regisseur Max Nosseck eben diesen Satz an den Schauspieler Curt Bois und forderte ihn damit auf, nach Hollywood zu gehen, wo dieser auch Arbeit fand. Eine Be- sonderheit des Buches liegt in der Vielzahl von genau recherchierten Lebensgeschichten — und es ließe sich lange fortfahren, sie hier alle nachzuerzählen. Im Kontext der Exilforschung erweist sich ferner, dass Helmut G. Asper mit seiner Arbeit zum Filmexil ein Thema gründlich behandelt hat, das noch immer relativ wenig Beachtung findet und oft als Nebengebiet betrachtet wird. Dabei ist es ihm gelungen, die Ergebnisse seiner langjährigen Forschungen so zu formulieren und zu präsentieren, daß das Buch weit über den Kreis der akademischen Leseautomaten hinaus sein Publikum finden wird. Einmal damit angefangen, wird man das Buch nicht mehr aus der Hand legen wollen, ehe man es zu Ende gelesen hat. „Und der das zuletzt erzählt hat“, heißt es bei den „Bremer Stadtmusikanten“, „dem ist der Mund noch warm“. Wir dürfen auf neue Erzählungen Helmut G. Aspers über das Filmexil warten. Peter Roessler Helmut G. Asper: „Etwas Besseres als den Tod ...“ Filmexil in Hollywood. Portraits, Filme, Dokumente. Marburg: Schüren-Verlag 2002. 680 5. mit zahlr. Abb. Euro 34,80 Studien zum DDRAntifaschismus „Eine kleine Gruppe von Antifaschisten, die das Land regierte, hat ihr Siegesbewußtsein (...) auf die ganze Bevölkerung übertragen. Die ‚Sieger der Geschichte’ hörten auf, sich mit ihrer wirklichen Vergangenheit, der der Mitläufer, der Verführten, der Gläubigen in der Zeit des Nationalsozialismus auseinanderzusetzen. Ihren Kindern erzählten sie meist wenig oder nichts von ihrer eigenen Jugend. Ihr untergründig schlechtes Gewissen machte sie ungeeignet, sich den stalinistischen Strukturen und Denkweisen zu widersetzen.“ Christa Wolfs kritische Charakterisierung des zur Formel und zur Floskel gewordenen offiziellen Antifaschismus der DDR - in ihrem 1989 veröffentlichten Beitrag „Das haben wir nicht gelernt“ - ist unverändert gültig. Vielfältige und biographisch untermauerte Belege dafür finden sich in zwei ausgezeichneten und spannend zu lesenden Aufsatzsammlungen, die sich mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit, mit den Kontinuitäten wie mit den Brüchen des Antifaschismus in den 40 Jahren DDR-Geschichte auseinandersetzen. Hier wird nicht neuerlich ein angeblicher „Mythos“ beschworen, hinter dessen glatter Fassade die individuellen Schicksale und Lebensläufe verschwinden. Es geht in den 26 Beiträgen vielmehr ganz konkret um Einzelschicksale und um Opfergruppen, um eine Erinnerungspolitik, die Vieles ausklammerte, und es geht dabei auch, von Annette Leo einfühlsam, eindringlich und mit großer Genauigkeit beschrieben, um die „gebrochenen Biographien“ und Lebenswege deutscher Antifaschisten, die in die Mühlen der stalinistischen Säuberungen gerieten. Nachdrücklich zuzustimmen ist der nüchternen Fest59