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Bruno Kreisky „aufgrund [der] Erfahrungen in Schweden gewisse politische Ideen sehr viel realistischer ..., als sie es vorher waren.“ (S. 100). Thomas Kiem schuf mit dieser knappen Studie eine gute Basis für Forschungen über österreichisches Exil in Schweden, sie läßt aber noch viele Fragen offen. Ursula Prutsch Thomas Kiem: Das österreichische Exil in Schweden 1938-1945. Innsbruck-WienMünchen-Bozen: Studien-Verlag 2001, 136 S. (Bruno Kreisky International Studies 4). Kladovo - ein Flüchtlingstransport 1939-1942 Dieses Buch, das zugleich als Begleitbuch einer Ausstellung im Jüdischen Museum Wien 2001 diente, beruht auf der Fotodokumentation von Ehud Nahir, einem der 200 Überlebenden des insgesamt 1.252 Menschen fassenden Flüchtlingstransportes. Es dokumentiert den bitteren und verzweifelten Rettungsversuch der „Mossad le Alija Bet“ (Organisation zur Rettung der europäischen Juden in Palästina) und der „Hechaluz“ (zionistische Organisation, die junge Pioniere für die Einwanderung nach Palästina vorbereitete), von Wien auf dem Schiffsweg die Donau abwärts bis zum Schwarzmeerhafen Sulina zu fahren, um von dort aus nach Palästina zu gelangen. Zwei Drittel der Flüchtlinge waren Kinder und junge Leute der Hechaluz. Kladovo, ein kleiner serbischer Donauhafen vor dem „Eisernen Tor“, abgelegen im Dreiländereck zwischen Jugoslawien, Bulgarien und Rumänien, war der weiteste Punkt, den die im Dezember 1939 losgefahrenen „illegalen Flüchtlinge“ erreichen sollten. Bis September 1940 blieben sie dort, während des Winters angehalten, das Schiff nicht zuverlassen, um dann wiederum donauaufwärts nach Sabac an der Save, nahe Belgrad, gebracht zu werden. Bis zur Eroberung Jugoslawiens durch die deutsche Wehrmacht saßen sie hier fest. Als Zwangsarbeiter zunächst interniert, wurden alle Männer als „Sühne“ für 21 im Gefecht mit Partisanen gefallenen Wehrmachtssoldaten erschossen, die Kinder und Frauen im Frühjahr 1942 durch Abgase von Wehrmachts-Lastkraftwagen getötet. Oberster Wehrmachtsbefehlshaber in Serbien war der aus Zeltweg in der Steiermark stammende General Franz Böhme, das Lager in $avic stand unter dem Kommando des Kärntner Generals Dr. Walter Hinghofer, in dessen Infanteriedivision mehrheitlich Österreicher eingesetzt waren. Allein für 200 Mitglieder der „Jugend-Alija“ langten rechtzeitig Zertifikate ein, durch die sie in letzter Sekunde auf dem Landweg nach Palästina abreisen konnten. Die Fotos zeigen nicht die große Katastrophe, sondern junge Menschen, die eine Baracke errichten, sie zeigen eine Küche, eine Bäckerei, ein Spital, eine Schule; sie berichten von jüdischen Festen und Hochzeiten — dokumentieren all das, was den erbärmlichsten Bedingungen zwischen Hoffnung und Verzweiflung abgetrotzt werden konnte. Alisa Douer hat ein ehrenvolles Buch gestaltet, der Beitrag von Gabriele Anderl und Walter Manoschek klärt die historischen Fakten und Hintergründe, verweist auf die kalte Politik Großbritanniens gegenüber jüdischen Flüchtlingen bis zu der in die Gegenwart reichenden verzweifelten Frage: Warum konnten sie nicht gerettet werden? Siglinde Bolbecher Alisa Douer: Kladovo. Eine Flucht nach Palästina. Englische Übersetzung von Karin Hanta-Davis. Wien: Mandelbaum Verlag 2001. 124 S. Hans Raimunds Essayband „Das Raue in mir“ Das Buch ist nicht nur schön gebunden und gedruckt (und leider auf neue Rechtschreibung umgestellt — das „Raue‘“ anstelle des „Rauhen“ im Titel befremdet), es ist vor allem auch in einer Sprache geschrieben, der man sich getrost überlassen kann. Der leicht schmierende Kugelschreiber, der einem als ewigen Lektor und Korrektor schon mit den Fingern verwachsen dünkt, bleibt unangetastet, der Sack voller Beistriche, der wie der winterliche Sandstreukasten des Wiener Straßenbahners unter dem Schreibtisch bereit steht, unaufgeschnürt. Die Sätze, die Hans Raimund bildet, sind sich selbst durchsichtig, die Wörter, die er gebraucht, hat er in ihren Nuancen erfaßt. Immer findet er die Balance zwischen der gelassenen Darlegung des Faktischen und dem vorwärtstreibenden Schwung, den seine Essays gleichwohl nicht vermissen lassen. Die Essays zeichnen sich durch große Instruktivität aus, welche bei den Autorinnen und Autoren, die er uns vorstellt, oder bei den spezifischen Aspekten eines Werks, auf die er eingeht, auch erforderlich scheint. Denn Raimunds Ort ist so wenig der philosophierende Gemeinplatz als die Schleppe der Prominenz, an die sich andere hängen. Er schreibt über Lucio Piccolo, Sandro Penna, Umberto Saba, Scipio Slataper, Natalia Ginzburg, Virgilio Giotti, über Wulf Kirsten, Hedwig Katscher und Hermann Hakel, dem er persönlich und als Mitarbeiter der Zeitschrift Lynkeus sehr verbunden war. Leseund Lebenserfahrung durchdringen sich: Somit ist es nur konsequent, daß dem Band auch einige autobiographische Skizzen beigefügt sind. „Nachricht von einem, der auf Hartlebigkeit baut“, gibt Erich Hackl in seinem genauen, liebevollen Vorwort. „Durch Raimunds Werk“, meint Hackl, „zieht sich die Spur einer schmerzhaft klaren Verzweiflung, wonach Jeder für sich dahingehe, es zu spät sei, Platz zu machen für Neues, Heutiges ...“ Vielleicht liegt in dem, was ein Hans Raimund, der eben keinen Roman, immer ‚nur’ Lyrik, Kurzprosa, Essays geschrieben hat, versäumt hat, worüber er sich ausschweigt, eine Wahrheit, die er uns nur auf diese Weise mitteilen, deren Kontur er nur durch ihre Aussparung zeichnen kann. In seinem Essay über Natalia Ginzburg ordnet Raimund dieser „Charakteristika der Schreibweise“ zu, die auch für ihn gelten könnten: „... die unbedingte Ehrlichkeit im Umgang mit der nur auf der eigenen Anschauung basierenden Wirklichkeitserfahrung und deren Wiedergabe durch das Wort und die soziale Gewissenhaftigkeit in Form der dezidierten Hinwendung zum Mitmenschen und der Hintanstellung der eigenen Person ...“ An anderer Stelle, in einer Reflexion über das Übersetzen, notiert er über sich: „Sowohl als Dichter wie als Übersetzer bereite ich ein schon vorhandenes Material — Wirklichkeit, Gedanken, Sprache... — auf möglichst kreative Weise zu.“ Und in einem schönen, Igor Strawinsky entlehnten Bild bezeichnet er sich als den, der den Glockenstrang zieht — „... was klingt, das ist die Glocke, was klingt, das bin nicht ich ...“ In den Charakteristika realistischen Schreibens, die er der nach katholischem Ritus bestatteten Ginzburg und mit gewissem Vorbehalt auch sich zuordnet, findet er „eminent Jüdisches“: Hierin liegt das große Hemmnis für Raimund, der sich machtvoll zu dem Jüdischen hingezogen fühlt, sich zugleich aber als ein Nachgeborener der erbarmungslosen Verfolger der Juden beschämt zurücknimmt. Die „unbedingte Ehrlichkeit‘ (eine Wendung übrigens, derer sich auch Theodor Kramer bedient hat) läßt Raimund immerzu fragen, worauf er wirklich bauen kann. Mit großem Gewinn können wir dem Essayisten Raimund dabei über die Schulter schauen. Konstantin Kaiser Hans Raimund: Das Raue in mir. Aufsätze zur Literatur und Autobiografisches 1981-2001. St. Pölten: Literaturedition Niederösterreich 2001. 343 S. 61