ORPHEUS IN DER ZWISCHENWELT
Chöre, das klingt so großartig, es waren kleine Gruppen von
Männlein und hauptsächlich Weiblein, die zum Vergnügen ge¬
sungen haben. Da haben wir tolle Sachen gemacht. Zum Bei¬
spiel in Bexley Heath während des Krieges eine Konzertauf¬
führung der Verkauften Braut von Smetana.
Was war eigentlich die Motivation von Ernst Schoen und
dir?
Die Motivation war, die Chance, sagen wir so, bestand dar¬
in, daß die BBC keine Opernabteilung hatte zu dieser Zeit und
wir dachten, da müsse doch etwas möglich sein. Wir hatten den
Wunsch, gute Oper, einschließlich der Moderne, das ging also
bis Alban Berg, wir haben Renard von Strawinsky, Le pauvre
matelot von Milhaud aufgeführt.
Von Berg?
Exzerpte aus Lulu, Prolog und erste Szene, alles konzertant.
Wir sind einmal sogar auf die Bühne gekommen aber das war
eine Ausnahme — mit einer englischen Operette von Charles
Dibdin, den man nicht so genau kannte — und Purcells Dido ha¬
ben wir auch auf der Bühne gemacht. Bei der BBC bekam ich
das BBC-Orchester zu dirigieren, was eine große Plage war,
denn ich hatte ja keinerlei Routine. Dirigieren besteht zu 90
Prozent aus Routine und die hatte ich nicht. Aber ich kannte die
Stücke genau. Ich habe also Mozart aufgeführt, wir haben die¬
se zwei Ensembles aus Villanella rapita aufgeführt, die Mozart
ein Jahr vor dem Figaro komponiert hat, herrliche Dinge, die
hat kein Mensch gekannt. Die haben wir bei der BBC aufge¬
führt. Also solche Sachen haben wir gemacht.
Beim Paul Abraham hattest du ja keine Schwierigkeiten.
Da gibt es auch keine. Aber dirigier einmal die Ouverture
zum, was habe ich denn damals gemacht, Schauspieldirektor
von Mozart und zu Figaro
Hattest du damals noch die Perspektive, Dirigent zu wer¬
den?
Schwer zu sagen. Ich glaube, ich wußte schon, daß man
außerhalb Deutschlands diesem Beruf nicht wird nachgehen
können.
Die Zusammenarbeit mit Ernst Schoen, wie lange hat die
gedauert?
Ein paar Jahre. Es kam zu einem Ende, glaube ich, als die
BBC selbst eine Opernabteilung gegründet hat.
Er war ein sehr lieber Mann. Was ich damals nicht wußte,
ist, daß er mit Walter Benjamin eng befreundet war, er hat den
Namen gar nicht genannt. Ich hatte damals den Eindruck, daß
er den E. H. Meyer und mich etwas mit väterlich-freund¬
schaftlicher Distanz behandelt hat und ich habe später kapiert,
daß das theoretische Klima, aus dem er kam, nämlich da doch
offensichtlich die Gespräche mit Walter Benjamin auf einem
ganz anderen Niveau gewesen sein mußten, als alles was wir
zu bieten hatten. Das ist natürlich eine spätere Erkenntnis, als
ich versuchte, unser Verhältnis und so gewisse Äußerungen,
die er gemacht hatte, zu verstehen. Er fand uns offensichtlich,
er hat das nicht so ausgesprochen, aber nachträglich erscheint
es mir so, er fand uns naiv, jugendlich bewegt von irgendwel¬
chen politischen Ideen, die er nicht abgelehnt hat. Er hat sich
ja selbst als Kommunist bezeichnet. Aber das, was wir zu bie¬
ten hatten an Vorstellungen und theoretischen Erkenntnissen,
das schien ihm - verständlicherweise, wenn er aus der
Diskussion mit Walter Benjamin kam — ihm unzulänglich. Er
selbst hatte so einen sarkastisch überlegenen Ton an sich, der
viele Leute abgestoßen hatte — zumal er selbst schwere
Sprachhemmungen hatte, er hat sie versucht zu überspielen; er
war ein sehr komplizierter, man kann nicht sagen schwieriger
Mann, er war ein schwieriger Charakter, aber er hat seine
Schwierigkeiten nicht auf seine Beziehungen zu Menschen
übertragen, im Gegenteil: er hat sich sehr zivilisiert, sehr
freundschaftlich verhalten. Wir lebten ja damals alle am Rand
der Armut, und wenn beispielsweise jemand krank war, so ging
Ernst Schoen für ihn einkaufen, er hat uns geholfen, wo er
konnte, obwohl er selbst auch nicht in viel besserer Lage war
als wir.
Um die Geschichte mit Schoen, was hierzu ganz interessant
ist, zu Ende zu erzählen, nach ‘45 wollte er unbedingt in die
DDR kommen, also in die sowjetisch besetzte Zone, und konn¬
te es nicht verstehen und war auch sehr gekränkt, als das nicht
ging. Man wollte ihn nicht hereinlassen, man kannte ihn nicht.
Das war natürlich eins von den sektiererischen Dingen, an de¬
nen die DDR so reich war, schon damals. Er kriegte also nicht
die Erlaubnis hierher zu übersiedeln. Er hat in Westberlin ge¬
lebt, hat dort irgendeine Brotarbeit gehabt und hat — ich bin
nicht mehr ganz sicher in welcher Form — aber er hat hier - in
der DDR - mit Verlagen zusammen gearbeitet. Er wollt unbe¬
dingt mitarbeiten, und ich habe, glaube ich, immer noch ein
oder zwei Briefe von ihm, in denen er sich bitter darüber be¬
klagt, warum er nicht akzeptiert wird. Er sei zwar nicht in der
Partei, aber er sei doch mit uns. Ich habe mich auch dafür ein¬
gesetzt, und es gelang nicht. [...]
Einmal haben wir versucht, als Broterwerb Schlager zu
komponieren. Ernst Schoen hat die Texte und ich die Musik
geliefert. Aber das ging natürlich nicht. Wir waren damit auch
irgendeinmal bei einem Verleger und haben unsere Produkte
vorgeführt — aber das führte zu nichts.
Das war in London, englische Schlager also?
Ja. „Every morning, when I clean my teeth,/ I’m feeling
some emotion underneath/ It’s not in the weather,/ it’s all to¬
gether,/ it’s my ever ever changing mood,/ sometimes very bad
/ and sometimes good.“
Das ist ja nicht so schlecht.
Und ich habe die Musik dazu gemacht: [singt]
Es ist aber nicht gut angekommen.
Nein, es ist nicht angekommen. Es ist nichts daraus gewor¬
den. Wir haben das auch mit innerer Reserve gemacht.
Albert Fuchs hast du erst im Exil näher kennen gelernt?
Ja. Was ich am besten in Erinnerung habe, sind Abend¬
stunden, wenn er zu mir in mein möbliertes Zimmer kam - die
Zeit, in der ich mich regelmäßig mit ihm getroffen habe, war
die Zeit, nachdem ich mich von meiner Frau getrennt hatte. Ich
lebte dann in einem möblierten Zimmer bei englischen
Genossen und da hat mich der Albert öfters besucht und hat
vorgelesen aus seinen Arbeiten. Darüber haben wir viel ge¬
sprochen. Seine Arbeiten sind dann auch zumindest zum Teil
veröffentlicht worden. Es waren Beiträge zu einer österreichi¬
schen Literaturgeschichte, die du kennst. [...] Das waren un¬
sere Gesprächsthemen — und was wir in Österreich tun würden.
Er hatte also mindestens drei verschiedene Möglichkeiten. Es
hätte ihn schon gereizt, als Anwalt zu arbeiten. Die Nazi¬
vergangenheit anzupacken und solche Dinge. Dann wollte er
also weiter schreiben und wollte an dieser österreichischen
Literaturgeschichte weiterarbeiten, und drittens hat ihn die
Kleinkunstbühne sehr interessiert. Da war er eigentlich vor sei¬
ner Emigration am tiefsten verstrickt, in diese Klein¬