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scheidet mich von Kain, der in Österreich viel zu lange keine Chance hatte, wahrgenommen zu werden. Und wenn, dann mit der rubrizierenden Abwertung, er schriebe mit Hammer und Sichel. Abgesehen von der hanebüchenen Bildlogik, die haarscharf danebengeht, war der Schriftsteller Franz Kain auch in seinen frühesten Texten nie Illustrator von Parolen oder von parteipolitischen Programmen. Geschichtsbewußt und sozialkritisch war er hingegen von Anfang an. Es wird heute sehr oft, mir zu oft, von Identität und Identitätsfindung gesprochen. Die Sache, um die es geht, hat Kain um so nachdrücklicher, konsequenter verfochten, gelebt und gestaltet. Wenn er über sich schrieb, schrieb er über seinesgleichen. Was an Theodor Kramers von mir schon oft zitierten Satz denken läßt: Für die zu schreiben, die ohne Stimme sind, also denen es an Ausdrucksvermögen mangelt. Und so läuft auch in seiner autobiographisch durchsetzten, durchtränkten Erzählprosa ein langer Gestaltungsfaden mit. Fast immer sind es Leute von unten, die ihm ihre Geschichten zugespielt haben. Wäre das Wort „Volksschriftsteller‘ nicht gar so zeitentlegen und abgegriffen, könnte es auf ihn passen. Aber auch das engt ein und etikettiert. In dem Roman „Am Taubenmarkt“, weitgehend autobiographisch, der zu einem bilanzierenden Lebensbuch geworden ist, findet sich als resümierende Sentenz, die er einem der sechs mitlaufenden Kommentatoren in den Mund legt, und zwar dem Kommunisten, der wohl doch dem Autor sehr nahesteht, wenn er es nicht gar selbst ist: „Ihr begrabt die eigene Tradition vor lauter Bravsein. Nichts bleibt von selbst erhalten, wenn es nicht mehr im Lesebuch oder wenigstens in der Zeitung steht und wenn es keinen Gedenkstein mehr gibt. Die Menschen am Rande geben besser Auskunft über die Beschaffenheit einer Gesellschaft als die faule ‚goldene’ Mitte. Laßt der Zeit ihre Verzweiflung.“ Da hore ich im Unterzug Theodor Kramer mitreden. Ohne zu ahnen, daß ich bei Franz Kain expressis verbis darauf gestoßen werde, was es mit dem Rand, mit den Rändern eines Gesellschaftsgefüges auf sich hat, ging es vor einigen Monaten in einem Gespräch mit Ludwig Hartinger, das in Slowenien geführt wurde, eben darum. Ich hatte in einer Rede kritisch geäußert, bei einem Verlust der Mitte eine Schwächung der Demokratie zu befürchten. Das war in diesem Zusammenhang ausschließlich im Hinblick auf zunehmende gefährliche Tendenzen rechtsextremistischer Gruppierungen gesagt, angekreidet, der für mich wie Franz Kain mein Österreich verkörpert, personifiziert. Und ich habe seither darüber nachgedacht. Wenn das alles so einfach und klar ist, kann es damit sein Bewenden haben. Falls es aber noch andere geben sollte, denen dieses Phänomen zu schaffen macht, sollten wir darüber reden. Eines weiß ich aber mit Sicherheit, ich bin ein Randständiger im Sinne von Franz Kain. Allein deshalb, weil man vom her Rand besser, schärfer beobachten kann. Was ist Rand? Was ist Mitte? Vielleicht liegt es daran, daß die Begriffe eine beträchtliche Streubreite haben und nicht scharf zu fassen sind. Besser komme ich mit sozial determinierten Vokabeln zurecht. „Von unten auf“ heißt eine kurz nach 1900 angelegte Anthologie, die sich lange gehalten hat und zu einem Standardbuch der Arbeiterbewegung wurde. Dieser im Titel angedeutete Gestus des Aufsteigens im Sinne von Bewußtwerdung, von Selbstgestaltung im lebenslangen Prozeß der Bildungsaneignung läßt sich exemplarisch an der Biographie Franz Kains und seiner literarischen Gestaltung, die auf das eine Buch hin läuft, das Becher als Ideal vorschwebte, festmachen. Die kleinen, nicht immer, wie gern postuliert, ganz so einfachen Leben 44 kollidieren mit Geschichte, erhalten von ihr Brand- und Würgemale. Und die Geschichte, die sich in der Provinz abspielt, steht pars pro toto für Weltgeschichte. Aber gerade durch die Bodenhaftung, durch das Eingebundensein in eine genau ausgeleuchtete Landschaft bekommen sie ihre Eindringlichkeit und Glaubwürdigkeit. Bereits 1970 bemerkte Peter Kraft: „Kain liebt den Ort, wo die Dorfgeschichte in die Weltgeschichte übergeht.‘ Am Ende wird das Lebensbuch, an dem er geschrieben hat, zu einer österreichischen Landeskunde, gezogen auf eine Vielzahl wahrer Geschichten, die das Leben geschrieben hat, auf anekdotisch zugespitzte Kalendergeschichten, die unaufgesetzte Gleichnisse mitgeben, nicht zuletzt aber auf den eigenen simplicianischen Lebenslauf, der Franz Kain widerfahren ist in Österreich, in Europa, in Nordafrika, in den USA, in Berlin. Dieses Lebensbuch entstand in einem langen Schreibprozeß, in dem er sich freischrieb von dem, was ihm unter den Nägeln brannte, was ihm auf der Seele lag. Zwei Aspekte im Schreiben und Weltverständnis zeichnen Franz Kain für mich als Rezipienten besonders aus. Zum einen meine ich seine vom „Saft des Populären“ (Walter Benjamin) gespeiste, aufgeladene Sprache als das Unverwechselbare und als unverzichtbares Charakteristikum der Landschaft. Dieses Kolorit, das am stärksten im „Taubenmarkt“ zum Tragen kommt, hilft präzisieren und modulieren. Als ich 1992 Stadtschreiber in Salzburg war und mich ein anderes Lebensgefühl anwehte, das sich zu artikulieren wußte, legte ich mir ein „Wörterbuch der österreichischen Besonderheiten“ zu als Appendix zum Duden. Jetzt, während der Kain-Lektüre, lag dieses Hilfsbüchlein neben mir. Hin und wieder klärte es mich auf, aber in vielen Fällen verweigerte es die Auskunft. Vermutlich habe ich mir doch nicht das richtige Buch zugelegt. Als Belegstelle für die aufgenommenen Austriazismen wird so manche österreichische Autorin, so mancher Autor herangezogen, nur nicht Franz Kain. Und in diesem Falle finde ich das Ausgespartwerden besonders grotesk. Hätte der Autor des Wörterbuchs, übrigens ein Linzer namens Jakob Ebner, nur mal bei Kain nachgelesen, sein Buch wäre erheblich umfangreicher geworden. Vielleicht hat er es späterhin nachgeholt. Mag sein, daß ich nicht auf dem neuesten Stand bin. Die regionale Verankerung wird aber nicht allein durch blanke Vokabeln erreicht. Dazu gehören ebenso Redewendungen, Spruchgut, auffällig viele Lieder, Rebellengesänge, Spottverse, kurzum alles, was der Volksmund verbreitet und populär gemacht hat. Zu Peter Rühmkorfs Kompendium „Über das Volksvermögen“ hätte Franz Kain so manches verbale Zeitgeistprodukt beisteuern können. Zweitens kenne ich keinen Autor, der so kundig und facettenreich über das Handwerk des Holzfällers zu erzählen weiß wie eben Franz Kain. Ja, er ist von diesem Metier mit all seinen Tücken, Härten, Schwierigkeiten so durchdrungen, daß die Holzkunde, die er so detailreich vermittelt, zu einer beeindruckenden Lebenskunde gerät. Gern gab er sich als Bergbauer und Holzknecht, auch da an Oskar Maria Graf erinnernd, für den Camouflage ein beliebtes Mittel ironisch gebrochener Selbstdarstellung war. Immer, wenn es um Wald, um Arbeit im Wald ging, konnte Kain mitreden. Und was er dazu zu sagen hatte, aus der beruflichen Erfahrung heraus, die er bei der Knochenarbeit gewonnen hatte, mußte bis ins letzte Detail hinein stimmen. Da war er penibel. Aus der Perspektive des Holzknechts, also auch da von unten auf, entwirft er seine Waldbilder. Er weiß seinen Stifter wohl zu schätzen als glänzenden Landschafter und Naturschilderer, aber er weiß auch,