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Vorläufer hat. Angeregt durch die Lektüre Rudyard Kiplings
und anderer einschlägiger Dschungelliteratur, verwandelte ich
mich in meinen Wunschträumen in einen schwarzen Panther,
geballte Kraft, die sich dem Unrecht widersetzte und dabei,
wie man sich denken kann, einigermaßen liquidatorisch ver¬
fuhr.

Der Panther erkletterte mühelos die vier Stockwerke des
Hauses in der Innsbrucker Tempelstraße, in dem wir wohnten,
brauchte also keine Haustorschlüssel und war an die verord¬
nete Nachtruhe nicht gebunden. Sanft und lautlos bewegte er
sich im Dunkel der Nacht, überwand jedes Hindernis; durch
diese Traumidentität fühlte ich mich selbst zur Einübung eines
geräuschlosen, katzenhaften Ganges verpflichtet.

Doch blieb der Panther leider immer für sich, denn in der
Stadt Innsbruck lebten keine oder sehr wenige Panther. So gab
ich ihn mit der Zeit auf und holte ihn bei immer selteneren
Gelegenheiten hervor, wie ein aufblasbares Gummitier. Die
Anregung zu der Pantherphantasie verdankte ich übrigens dem

Schäferhund in der Nachbarschaft, der uns Kinder immer an¬
knurrte und terrorisierte: Der Schäferhund war selbstverständ¬
lich das erste Opfer der nächtlichen Streifzüge des Panthers.

Wenn ich so, mit Wolf Biermann zu reden, mein Herz auf
den Tisch lege, möchte ich kein biographisches Interesse an
mir erwecken und auch niemandem die Lektüre von Sigmund
Freuds Fallstudie „Die Straßenangst des kleinen Hans“ erspa¬
ren. Ich verwende die Umrisse meines eigenen Selbst nur dazu,
das, was ich meine, nicht allzu direkt sagen zu müssen. Und
außerdem ist es ein Plastikherz, das ich auf den Tisch lege, ein
modernes Stück Industrie, verziert mit ein paar vormodernen
Ornamenten.

Konstantin Kaiser, Mitherausgeber von ZW und Vorsitzender
der Osterreichischen Gesellschaft fiir Exilforschung, arbeitet
derzeit an einer Erzählung, in der jener „aufblasbare Panther“

eine zentrale Rolle spielt, und an einer Sammlung neuer
Gedichte.

Ich möchte mit einem Zitat beginnen:

SIE

Vor jeder Erinnerung das Wissen: Alle Sätze in dieses Ge¬
stern können nur Brücken zu Inseln sein, was sie verbinden, es
bleibt für immer getrennt.

Am Anfang, sagt sie, war ich wie gelähmt — und ich habe
nichts getan, als meine Ohnmacht auszuschreiten, hin und her,
hin und her... Es war wie ein Sog, dieses Gefühl, versagt zu ha¬
ben, ich war beherrscht von diesem Wort — und keine Hilfe,
kein Zeichen, an das du dich hättest halten können, du mußtest
selbst aus ihr hervorkriechen, ja kriechen, langsamer als in
diesen ersten Monaten habe ich mich nie bewegt... Und wer
hat schon gelernt, auf sich zu vertrauen, und es lernt sich nicht
unbedingt leichter in braunen Zeiten... Dann bin ich ange¬
kommen bei der Frage: Wo habe ich eigentlich gelebt, in wel¬
chen Traum bin ich geflüchtet, was ließ mich glauben, in
Wahrheit seien alle Menschen wie ich, wollten sie alle keinen
Faschismus, keinen Krieg, wagten es nur nicht, die Stimme zu
erheben gegen die Mächtigen... Der Traum war plötzlich zu
Ende, war zu Ende angesichts des Jubels in den Gesichtern
beim Einmarsch der Nazis, ja, es war Jubel in vielen
Gesichtern, und andre waren lebendiger, als ich sie je zuvor
gesehen... Da fing die Ohnmacht an... In ihr war auch
Geborgenheit, ich wollte geborgen sein, kurze Zeit wollte ich
nur geborgen sein... Bis die Stille in mir vollkommen war, bis
sie groß genug war, mich zu erschrecken - so ein Leben ist kein
Leben... Da wußte ich wieder, ich kann nicht blind werden, ich
muß mein Teil tun, egal, was die anderen tun, es war mein
Leben, ich würde es mir nicht nehmen lassen, von ihnen nicht,
von niemandem... Das schwierigste war, sagt sie, sich Tag für
Tag und Nacht für Nacht immun zu machen gegen die
Faschisten — keine Haustür sperrte sie aus, kein Schlaf, in den

sie nicht ihre Arme streckten -; die Banalität des Alltags war
nur noch eine Erinnerung an eine Vorzeit, an ihre Stelle war
eine Wachsamkeit getreten, du warst ein gespannter Bogen,
Jahrelang, und es war fast eine Erleichterung, wenn sie an dir
zerrten, wenn sie kamen, um dich zu holen für den Dienst an
ihren Verbrechen. Und die Dienste waren meist kleine Dienste,
du solltest für ihr Winterhilfswerk sammeln gehen, du solltest
ihre Häuser putzen, ihnen ihre Mahlzeiten kochen, du solltest
ihren Organisationen beitreten, du solltest das Kind in ihre
Uniform stecken — ja, es war fast eine Erleichterung, nein sa¬
gen zu können, ein ganz konkretes Nein sagen zu können...

Neben den alltäglichen Neins gab es die großen Neins —
eine fremde Stimme sagt dies, die kein Staunen zum Schweigen
bringt, die weiterredet, als wäre sie aufgefordert dazu: SIE hat
1940 eine Frauendemonstration zur Freilassung einer Ge¬
nossin organisiert, und die Genossin wurde freigelassen - sie
hat mir belgischen Kriegsgefangenen ihr Essen geteilt; einer,
der keine Wunder ertragen konnte, hat sie angezeigt... SIE
schafften das Unmögliche, aber wer konnte noch an das Un¬
mögliche glauben, die Frauen gingen wieder nach Hause und
vergaßen, daß die Nazis besiegbar...

Dies sagt eine Widerstandskämpferin gegen den Nationalsozia¬
lismus am Anfang meines Buches Komm über den See. Ohn¬
macht also gegenüber einem politischen System, aber auch
durch Illusionen. Aus dem Bewußtwerden der eigenen Ohn¬
macht kann Handlung entstehen, im besten Fall.

Von den Fakten her ist Helene von Druskowitz, meine Hel¬
din aus Sakkorausch, wohl die ohnmächtigste Figur von all
meinen Frauengestalten, die in diesem Fall biographisch be¬
legbar sind. Es ist kein typisches Frauenschicksal aus der Zeit
des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts, da es nur wenige
Frauen — mit Hilfe ihrer Mütter, wie im Falle von Helene von
Druskowitz — schafften, zu maturieren und zu studieren - in ei¬

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