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Karl Müller

„Österreichische
Schriftstellerinnen und
Schriftsteller des Exils

seit 1933. Texte und
Kontexte“

Online-Projekt

Internet-Adresse: http://www.literaturepo¬
chen.at/exil

Seit Juli 2002 ist nach arbeitsintensiven
Entwicklungsjahren diese literatur- und kul¬
turgeschichtliche Internet-Plattform kostenlos
freigeschaltet, die in enger Zusammenarbeit
mit der Theodor Kramer Gesellschaft ent¬
standen ist. Ausgewählte Forschungsergeb¬
nisse zum österreichischen Exil sind auf diese
Weise international zugänglich.

„Wer das Exil kennt, hat manche Lebens¬
antwort erlernt, und noch mehr Lebensfragen.
Zu den Antworten gehört die zunächst trivia¬
le Erkenntnis, daß es keine Rückkehr gibt,
weil niemals der Wiedereintritt in einen
Raum auch ein Wiedergewinn der verlorenen
Zeit ist.“ (Jean Amery: Wieviel Heimat
braucht der Mensch. In: Jenseits von Schuld
und Sühne. Bewältigungsversuche eines
Überwältigten, 1977) — „Wer uns in Fahrt
bringt, macht uns erfahren,/ Wer uns ins
Weite stößt, uns weit./ Nun danken wir alles
den fahrenden Jahren,/ und nichts der
Kinderzeit.“ (Verse von Günther Anders
1943, vorangestellt der Autobiographie von
Elisabeth Freundlich: Die fahrenden Jahre,
1992)

Als 1998/99 das österreichische Wissen¬
schafts- gemeinsam mit dem Unter¬
richtsministerium eine offene Ausschreibung
für die Produktion von „Multimedialen
Bildungsmaterialien“ mit dem Ziel veranstal¬
tete, Online-Anwendungen im Bereich der
höheren Bildung zu entwickeln, war ein Team
von Literatur- und Kulturhistorikern der
Universitäten Salzburg und Klagenfurt ge¬
meinsam mit der Theodor Kramer Gesell¬
schaft (Wien), mit Informatikern der TU
Wien und einem jungen Wiener Design-Biiro
eines der vielen Bewerber.

Die Verhandlungen mit dem Ministerium er¬
gaben, dass das „Exil-Projekt“ Teil einer
größeren Einheit mit dem Titel „Österreichi¬
sche Literatur und Kultur im historischen
Prozess“ wurde. Dadurch wurde die Grund¬
lage dafür geschaffen, dass zentrale Epochen,
Phänomene und Leistungen der österreichi¬
schen Literatur- und Kulturgeschichte seit
dem 18. Jahrhundert sukzessive für die inter¬
essierte Öffentlichkeit aufbereitet werden
können. Auch Beiträge zur Entwicklung von
Online-Fernstudien sollen geleistet werden.

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Von der neu eingerichteten Domain-Adresse
http://www.literaturepochen.at aus ist es
möglich, derzeit die beiden Teilbereiche,
„Literatur in der Wiener Moderne“ und das
„Exil-Projekt“, zu erreichen und zu studieren.
Es gibt bisher keinen österreichischen
„Exilkoffer‘“ oder entsprechende österreichi¬
sche Unterrichts- und Studienmaterialien.
Nun bietet das Online-Projekt anhand von
etwa 40 Modulen einen Aufriss über
Emigration und Exil im 20. Jahrhundert, und
zwar als eine der zentralen Schlüssel- und
Schreiberfahrungen für österreichische
Schriftsteller/innen. Wichtige Ausgangspunk¬
te der Überlegungen sind die folgenden
Überzeugungen, wie sie erst kürzlich auch
von den Verfassern des ersten „Lexikons der
österreichischen Exilliteratur“, Siglinde
Bolbecher und Konstantin Kaiser, die zu¬
gleich Mitarbeiter des Online-Projektes sind,
formuliert wurden:

Die österreichische Literatur des 20. Jahr¬
hunderts ist ohne den Beitrag derer, die in der
Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft in
Österreich verboten, verfolgt, ins Exil getrie¬
ben, deportiert, in Konzentrationslagern er¬
mordet wurden, nicht vorstellbar. [...] Keines
der von den Truppen Hitlerdeutschlands
überrannten oder von den faschistischen
Diktaturen eigener Provenienz beherrschten
Länder weist einen so hohen Anteil Exilierter
in der Literatur auf wie Österreich, auch
Deutschland selbst nicht. [...] Nicht getrennt
wird [... ] zwischen den Autorinnen und Auto¬
ren, die ins Exil gingen, und denen, die sich
dem Widerstand anschlossen, denen die
Flucht nicht gelang, die in den Konzentra¬
tionslagern ermordet wurden oder durch
glückliche Umstände die Verfolgung überlebt
haben. Die Literatur des Widerstandes und
die Literatur des Exils werden als eine geisti¬
ge Einheit verstanden, die politisch durch die
gemeinsame Ablehnung von Faschismus und
Nationalsozialismus hergestellt ist.”

Es handelt sich um ein multimediales, in er¬
weiterbaren Modul-Einheiten aufbereitetes
Online-Paket, das dem neuesten technischen
und darstellerischen Entwicklungsstand des
Internet-Mediums entspricht. Dieser Informa¬
tionspool ist für die Verwendung im fächer¬
übergreifenden Projekt-Unterricht an Höhe¬
ren Schulen, weiters für die Verwendung in
kulturwissenschaftlichen universitären Stu¬
dienfächern (z. B. Germanistik, Zeitge¬
schichte, Publizistik, Theaterwissenschaft,
Politologie) und in der Erwachsenenbildung
geeignet. Ziel ist es außerdem, ein qualifi¬
ziertes Fernlernangebot zu bieten und damit
einen der wichtigsten Aspekte der öster¬
reichischen Literatur im 20. Jahrhundert ins
Bewusstsein der internationalen Lern-Of¬
fentlichkeit zu rücken.

Die Plattform wurde im Wintersemester
2002/2003 an der Universität Salzburg als
Fernlern-Veranstaltung angeboten. Auch die
Vrije Universiteit Amsterdam verwendet die
Online-Plattform als Grundlage für entspre¬
chende und mit dem Studienplan kompatible

Lehrveranstaltungen. Mehrere europäische
und amerikanische Universitäten haben dar¬
über hinaus ihr Interesse bekundet, die Platt¬
form in ihr Lehr-Programm aufzunehmen.
Die multimediale Darstellung gliedert sich in
themen- und porträtorientierte Einheiten
(ÜBERBLICKE, PORTRÄTS), sie enthält
ein didaktisches Labor (PRAXISFELDER),
eine umfangreiche Abteilung mit Lexikon¬
artikeln zu Sachbegriffen und insbesondere
Kurzbiografien (LEXIKON) sowie ein
„Virtuelles Museum“ zu ausgewählten Exil¬
AutorInnen (MUSEUM). Dazu kommt die
schnelle Erschließbarkeit aller Informationen
durch STICHWÖRTER und eine MEDIA¬
THEK, in der auf einen Blick alle multime¬
dialen Elemente, also Fotos, Bücher,
Textausschnitte, Ton- und Videoclips, quali¬
fizierte Links in das WWW, sichtbar werden.
Lesend, schauend, hörend, schreibend kann
so die Plattform erschlossen werden.

Anmerkungen

1 Der Salzburger Germanist Klaus Zelewitz
hatte mit seinem Projekt „Literatur in der
Wiener Moderne“ bereits erste Erfahrungen
gesammelt und eine Online-Darstellung ent¬
wickelt. Auf der in diesem Projekt erarbeite¬
ten informatischen Grundlage konnte man
weiterarbeiten:
http://www.sbg.ac.at/lwm/frei/frameset.htm
2 Siglinde Bolbecher, Konstantin Kaiser:
Lexikon der österreichischen Exilliteratur. In
Zusammenarbeit mit Evelyn Adunka, Nina
Jakl, Ulrike Oedl. Wien: Deuticke 2000, S. 7.

Struktur der Plattform

17 ÜBERBLICKE (Überblicksvorlesungen)
— als Printversion ca. 240 Seiten

10 PORTRÄTS (Leben und Werk ausge¬
wählter AutorInnen) — als Printversion ca.
140 Seiten

13 PRAXISFELDER (didaktisches Labor,
Frage- und Antwortbereich) — als Printversion
ca. etwa 140 Seiten

2 MUSEEN (virtuelle Museumsbesuche)
Etwa 150 LEXIKONARTIKEL (Kurzbiogra¬
phien und Sachartikel)

Etwa 3.000 STICHWORTER von A-Z, die
das gesamte Paket erschließen
MEDIATHEK (Sammlung der multimedia¬
len Elemente)

BILD (ca. 720 Fotos)

BUCH (ca. 2.700 bibliographische Einträge)
mit Links zu Online-Buchbestellungs¬
möglichkeiten, so z.B. zum Buchservice des
Österreichischen Bundesverlages oder zum
„Zentralen Verzeichnis Antiquarischer Bü¬
cher“ (ZVAB) sowie mit einem Link zu
„Literaturrecherche im Internet“

TEXTE: Hier sind etwa 200 literarische
Textausschnitte oder kurze literarhistorische
Darstellungen enthalten. Außerdem enthält
dieser Bereich sogenannte ARBEITSBLÄT¬
TER (insgesamt 13) sowie LEITFRAGEN,