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Meine Damen und Herren, liebe Freunde!

Zunächst sage ich Dank der Theodor Kramer Gesellschaft, die
diesen Preis verleiht: für „Schreiben im Widerstand und im Exil“.

Schreibe ich also im Widerstand und im Exil? Jawohl, so ist
es. Ich fühle mich immer noch im Exil, eine selbstgewählte Lage,
auch das Gefühl, noch nicht angekommen zu sein. Ich sage das
ohne Bitterkeit und ohne mich zu beklagen. Es hat meine Welt¬
sicht erweitert und vertieft.

Ich habe nie Gelegenheit gehabt, ein Heimatgefühl zu ent¬
wickeln, obschon ich fünfundzwanzig Jahre meinen Lebens¬
mittelpunkt in Deutschland, bei Berlin, hatte und bald genau so
lange schon wieder in Wien lebe. Überall, wo ich mich festge¬
krallt habe, um nicht unterzugehen, habe ich Menschen gefun¬
den, Freunde, Verbündete, auch Lehrmeister und Vorbilder. Bei
Max Frisch heißt es: „Die Menschen sind unsere Heimat!“, Jo¬
seph Roth sagte einmal: „Meine Heimat ist in mir“, und George
Tabori meinte dazu: „Wo ich meine Frau bei mir habe, unse¬
ren Hund und unsere Bücher, dort bin ich zuhause.“

Und was bedeutet Widerstand? Selbstverständlich lebt ein
Mensch, der seine Kindheit und Jugend als Katastrophe erfahren
hat, der lebt in andauerndem Widerstand. Widerstand heißt Über¬
leben! Nicht nur kämpfen — auch flüchten, rechtzeitig ver¬
schwinden ist Widerstand und nicht etwa Feigheit. Die Kunst
des Überlebens ist vielfältig. Im Konzentrationslager haben ei¬
nige von uns jungen Häftlingen eine Bande gebildet, haben in
waghalsigen Unternehmen größere Mengen Kartoffeln geklaut,
um die Alten und Kranken zu retten. Das war Widerstand im
KZ. Dabei wurde ich zwei Mal von der Wache erwischt und zur
Erschießung geführt. Nur durch Zufall und vielleicht durch ein
Wunder wurde ich gerettet. Widerstand heute bedeutet auch, dem
falschen Bewußtsein zu widerstehen, das uns jeden Tag wie die
Luft, die wir atmen, umspült. Auch das ist Widerstand: Der
Mensch in seiner Einsamkeit — außerhalb der Gruppe, der ideo¬
logischen Zwänge, der mentalen Verführungen, außerhalb des
Massenwahns, aber mittendrin lebend!

Und das ist Widerstand: Dem Haß zu widerstehen, der uns
beigebracht wird von denen, die Haß und Verachtung säen, um
zu herrschen. Die Hitler-Epoche war die apokalyptische Version
dieses Themas. Und es war nicht das letzte Beispiel, das uns
abschrecken könnte.

Doch was kann die Literatur leisten?

Sartre fragte in einem Interview 1956: „Was bedeutet Lite¬
ratur in einer Welt, die hungert?* Und wir stellen uns diese Frage
heute noch schärfer: zwei Drittel der Menschen auf dieser Erde
hungern. Dreißigtausend Kinder sterben weltweit täglich an
Hunger oder aus Mangel an ärztlicher Versorgung. Und wir fra¬
gen uns: Kann Literatur die Welt verändern? Nein. Aber wir än¬
dern uns, vielleicht — wandeln uns, indem wir schreiben, um
Klarheit über die Menschen und über uns selbst zu finden. Ich
schreibe, um mein Leben zu gestalten. Leben als Kunstform,
wie es im Zen-Buddhismus heißt. An sich arbeiten, schöpferisch
leben, um ein ganzer Mensch zu werden.

Wenn ich ein Buch über Menschen im Konzentrationslager
geschrieben habe, dann handelt es davon, wie einige bemüht

waren, in der Bestialität Hitler-Deutschlands Menschen zu blei¬
ben und ihre Selbstachtung nicht zu verlieren, ihr Leben mit¬
ten in der Katastrophe zu leben und zu gestalten. Ein Weg zu
sich selbst...

Meine Damen und Herren, meine Frau und ich haben uns
gestern in der Innenstadt von Wien in Buchhandlungen umge¬
sehen, was es denn Neues gibt. Nun, die Tische in den Buch¬
handlungen biegen sich von Büchern, oft dicken Schwarten, die
uns warnen: Wie unsere Welt zerstört wird! Wie unsere schö¬
ne Welt langsam, aber sicher vergiftet und vernichtet wird von
uns selbst, von der Art, wie wir leben, wie wir arbeiten, pro¬
duzieren, neue Märkte erschließen und uns vergnügen. Dabei
haben wir diese sattsam bekannten Wörter erfunden: Industrie¬
gesellschaft, Konsumgesellschaft, Wegwerfgesellschaft, oder
Spaßgesellschaft.

Bei Susan Sontag lesen wir: „Unsere Kultur beruht auf dem
Übermaß, der Überproduktion; das Ergebnis ist ein stetig fort¬
schreitender Rückgang unserer sinnlichen Erfahrung. Sämtliche
Bedingungen des modernen Lebens - sein materieller Überfluß,
seine Uberladenheit — bewirken eine Abstumpfung unserer sen¬
sorischen Fähigkeiten [...]“

Abschließend möchte ich noch zwei Sätze von Henry David
Thoreau vorlesen, jenem berühmten amerikanischen Autor, der
das Buch „Walden“ geschrieben hat — eines meiner Lieblings¬
bücher - und der schon vor mehr als hundert Jahren den Versuch
unternommen hat, eine Art Widerstand zu leisten gegen eine ver¬
rückt gewordene Welt des Gelderwerbs und der Gier nach Besitz,
gegen die Zerstörung unserer Welt:

„Ich zog in die Wälder, weil ich bewußt leben, mich nur mit
den wesentlichen Dingen des Lebens auseinandersetzen und se¬
hen wollte, ob ich nicht lernen konnte, was es mich zu lehren
hatte, um nicht auf dem Sterbebett einsehen zu müssen, daß ich
nicht gelebt hatte. Ich wollte nicht das leben, was kein Leben
war, denn das Leben ist zu kostbar [...] Ich wollte tief leben,
alles Mark des Lebens aussaugen [...] das Leben in die Enge
treiben und auf seinen einfachsten Nenner bringen.“

Fred Wander und Susanne Wander-Wedekind bei der
Preisverleihung am 25. April 2003 in Krems.
Foto: Nina Jakl/Archiv der TKG

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