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te 1912, obwohl es ihn immer schon zur Musik drängte. Zu¬
sätzlich belegte er Harmonielehre und Kontrapunkt bei Hermann
Grädener (1844-1929, Geiger, Komponist und Theorielehrer
am Institut für Musikwissenschaft an der Universität Wien).’ Mit
Nestroy fing die musikalische Zusammenarbeit zwischen Otto
und Karl Kraus an. In der Vorlesung vom 2.5. 1912 im Großen
Musikvereinssaal hat Kraus neben seinem Aufsatz „Nestroy und
die Nachwelt“ (Fackel Nr. 349/350, Mai 1912) auch Nestroy
Texte (u.a. aus „Höllenangst“, „Papiere des Teufels“, „Die ver¬
hängnisvolle Faschingsnacht“) vorgelesen und vorgesungen.
Jahre später sagte Franz Mittler (1893 — 1970), Kraus’ letzter
Klavierbegleiter, dazu:

Bei der historischen Vorlesung „Nestroy und die Nachwelt“
(1912) hatte er versucht, Nestroysche Couplets ohne Begleitung
zu singen. Das konnte nicht gut enden. So hatte er in der Folge
bei ähnlichen Gelegenheiten immer Klavierbegleitung, bald bes¬
sere, bald schlechtere.®

Auch Briefe zwischen Otto und Kraus deuten darauf hin:

Sehr geehrter Herr Kraus!

Wie mir Dr. Berger’ mitteilt, hatten Sie die große Freund¬
lichkeit mir Nestroys Werke zu schenken. Eine restitutio in in¬
tegrum: Meine Mitwirkung stellte sich als kleines Gegengewicht
gegen 400 Nummern der Fackel dar; es ist aber durch diese Gabe
wieder überreichlich aufgehoben. Sie wollen auch im gering¬
sten nicht Schuldner sein.

Ich danke Ihnen herzlichst und bitte Sie, meiner Dienst¬
bereitschaft in musikalischer und anderer Hinsicht stets gewiß
zu sein.

Mit hochachtungsvollen Grüßen

Ihr Dr. Otto Janowitz

Bad Podebrad, 20.6. 1914 (WStLB IN 145.471)

Wie dicht die Zusammenarbeit und wie groß das Interesse
von Otto Janowitz an den Nestroy-Couplets war, zeigen die fol¬
genden Briefe, die zudem bereits die Eindrücke der Brüder aus
dem Kriegsgeschehen wiedergeben. Von Kriegsbegeisterung war
keine Spur. Im November 1915 befand sich Otto beim k.u.k.
Küstenschutzbataillon Nr. IV, Makarska, Dalmatien, und
schrieb am 7.11. 1915 (WStLB IN 145.472) einen selten lan¬
gen Brief, der für seine musikalische Zusammenarbeit mit Kraus
sehr aufschlußreich ist. Eingangs entschuldigte er sich, daß Kraus
ihn bei seinem Besuch in Graz nicht angetroffen habe und daß
er dies sehr bedaure, außerdem, daß er so wenig von sich hören
lasse, aber

Ich bin ein besserer Aufnehmer als Geber von Worten, we¬
nigstens Ihnen gegenüber |... ] Ich höre von Franz, daß Sie ger¬
ne die Noten der Musikstücke hätten, die wir für Nestroy kom¬
poniert haben. Vorausgesetzt, daß ich überhaupt noch Noten
schreiben kann, vorausgesetzt ferner, daß ich einige Zeit finde,
werde ich Ihnen die Sachen aufschreiben. Starke Bedenken ha¬
be ich nur bezüglich des Chimärenliedes'. So gute Wirkung es
hat, es scheint mir doch ein Zwitter zwischen einer Erinnerung
Ihrerseits an die früher einmal gehörte Originalmusik und der
Erfindung unsererseits. Ich weiß sehr gut, daß ich Sie bei die¬
sem Liede zu mancher melodischen Wendung gezwungen ha¬
be, die Sie sich eigentlich anders dachten. Ich erinnere mich
auch, daß Sie, wenn wir nach längerer Pause das Lied prob¬
ten, wieder in gewisse Formungen verfielen, die ich nicht ver¬
stand und die ich eben deshalb durch meine eigenen ersetzt hat¬
te. Übrigens ist es nur eine Mutmaßung von mir, wenn ich von
einer „Erinnerung“ Ihrerseits spreche. Es kann ebenso gut ei¬
ne Komposition sein, deren Aufbau ich nicht verstanden habe.
Sollte ich aber mit jener Mutmaßung Recht haben, so wäre es

gut, wenn jemand in Wien, wie ich es vor hatte, in Theater¬
archiven, der Hofbibliothek etc. nach jener alten Originalmusik
(vielleicht von Wenzel Müller'') fahndete. Dies wäre wohl dann
gewiß besser, nestroymäßiger, als unser Chimärenlied.

Von den Brüdern berichtete Otto, daß Hans eben zum drit¬
ten Mal und Franz in Kürze zum zweiten Mal ins Feld ginge.
Er hätte bisher „nichts vom eigentlichen Krieg erlebt“.

Auch im nächsten Brief (WStLB IN 145.473) vom 20.12.
1915 beschäftigte ihn noch das musikalische Problem:

Die „Nachtwandler“ Musik ist so gut wie fertig; aber das
Chimärenlied macht mir große Plage. Haben Sie noch ein we¬
nig Geduld.

Und zu seiner Lebenssituation:

Ich lebe hier in einem Milieu, dessen Hauptelemente Trag¬
tiere, Tragtierführer, Tragtierstellungen, landesübliche Trag¬
tierausrüstungen bilden; bestenfalls viertelstundenlang komme
ich dazu, Ihre Worte (aus den nachgesandten Fackelheften) auf¬
zunehmen. Umso tiefer empfinde ich jedes und freue mich, daß
es doch heute einen Sprecher gibt, denn sobald der Krieg be¬
gann, sagten fast alle deutschen Schriftsteller zugleich „Rha¬
barbara“ und das sagen sie noch, jenes beliebte Wort, mit dem
die Statisten Volksgemurmel jeder Art fabrizieren, lauter oder
leiser, wie es eben der Regisseur haben will.

Und auf einer offenen Feldpostkorrespondenzkarte (WStLB
IN 145.476) vom 10.7. 1916 steht neben seinem Dank für ei¬
ne von Podébrad nachgeschickte Fackelsendung und der Ent¬
schuldigung, daß er den langen Brief wieder nicht geschrieben
hat:

„Das Gebet“ lese ich nicht, ich höre es von Ihnen sprechen;
meine Erinnerung hat Ihren Vortrag Klang für Klang aufbe¬
wahrt; so genieße ich auch die grauenhafte Lustigkeit des Dia¬
logs ,,Schwarzgelber und seine Frau“'. Ich werde immer mü¬
der: zwischen ohnmächtigem Zorn und dumpfer Ergebung pend¬
le ich hin und her. Sprechen Sie weiter für uns Stumme.

Im folgenden Schreiben (WStLB IN 145.477), einer flüch¬
tig beschriebenen Feldpostkorrespondenzkarte vom 10.4.
1917, war Otto um einiges aggressiver:

Verehrter Herr Kraus!

Wenn ich, der genug Phantasie besitzt, erst hier an der Front
imstande war, dem Krieg die letzte Maske abzureißen, was folgt
darauOs? Es ist unabweislich notwendig, daß die, die den Krieg
führen (wir werden ja bloß von ihm geführt) und ihn weiter
führen wollen, dies hier erklären müssen. Diese Schufte dort lern¬
ten = deren Wille uns auf gespenstische Weise negiert, wissen
ganz bestimmt nicht, daß der Krieg mit seiner ganzen ingeni¬
ösen Organisation in eine Spritze ausläuft, die Mord heißt.

Auch im September 1917 (WStLB IN 145.478) nach einem
kurzen „Kriegsanleiheurlaub“ zuhause in Podébrad schrieb Otto
an Kraus u.a.:

Der Krieg ist ein Dauerzustand geworden, seine Technik wird
immer vollkommener, da ja der Zwang mehr Kräfte und immer
bessere in ihren Dienst stellt, als in irgendeiner anderen Sache.

Selten genug berichtete er auch über seinen jüngeren Bruder
Franz, dem er wunderschöne Briefe verdanke und dessen dich¬
terisches Genie er bewundere.

Es ist unerhört ungerecht, daß sein Reichtum viel in der Stille
eines Briefwechsels versteckt, während so viel Bettelhaftigkeit
auf denTisch kommt und die Hungernden hungrig läßt. Ich halte
mein Urteil nicht für befangen, wenn ich sage: Seine Sachen sind
der Art, daß viele und nicht die Schlechtesten sie brauchen. Mei¬
nem Einfluß ist es nicht gelungen, ihn zur Herausgabe eines
Buches zu überreden, obwohl er das Material zu vielen hätte.

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