zeichnungen sicher nicht überlebt hätte. Seine
Zeichnungen trug er stets am Leib.
Das Tagebuch geht vom 18. August 1942 bis
zum 15. Juli 1943, dem Tag seiner Flucht.
Lange Zeit gab es kaum Berichte über die
Arbeitslager in Transnistrien, die zum Teil an
der Durchgangsstraße IV (DG IV) lagen, die
von Deutschland durch das sogenannte Gene¬
ralgouvernement (den militärisch besetzten Teil
Polens) in die Südukraine führte. Sie war die
wichtigste Transportstraße für die Frontab¬
schnitte im Süden der Ostfront. Nach einer
Absprache zwischen dem Oberkommando der
Wehrmacht und dem Reichsminister Dr. Todt
wurde die Organisation Todt (OT) mit dem
Ausbau und der Wartung der Straße beauftragt.
Hier arbeiteten ca. 50.000 Einheimische,
50.000 Kriegsgefangene und 10.000 Juden un¬
ter der Aufsicht von 5.000 Deutschen.
Ukrainer und Litauer unter den Lageraufsehern
standen den Deutschen in keiner Weise nach,
was die Brutalität in der Behandlung der Ge¬
fangenen betraf. Arnold Daghanis Tagebuch
gehörte zu den wichtigsten Unterlagen für ein
Ermittlungsverfahren, das allerdings 1980 oh¬
ne Ergebnis beendet wurde. Daghani starb
1985, ohne auch nur einen der Peiniger und
Mörder, der für den Tod von Hunderten von
Menschen verantwortlich war, verurteilt zu se¬
hen.
Die deutsche Justiz wußte lange Zeit nicht, wer
für ein Verfahren zuständig sei, da sowohl
Deutsche als auch Ukrainer und Litauer als
Wachpersonal eingesetzt waren. Die deutschen
Straßenbaufirmen, wie die Firma Dohrmann,
bei denen die Zwangsarbeiter unter den un¬
menschlichsten Bedingungen arbeiten mußten,
wurden von der deutschen Justiz von vorn¬
herein aus der Verantwortung für die Verbre¬
chen entlassen.
Arnold Daghani beschreibt in vielen Dokumen¬
ten und Briefen seine Bemühungen, für die
Verbrechen der Nationalsozialisten in diesem
Teil Europas eine gerichtliche Bestrafung zu
erwirken. Erschütternd ist es zu lesen, wie sich
die Tatverdächtigen auf Erinnerungslücken, be¬
reits Verstorbene und mildernde Umstände be¬
rufen. Im Zweifelsfall redeten sie sich auf
„Ausführung eines Befehls“ aus. Da die
Überlebenden der Lager nicht bei den Erschie¬
Bungen anwesend waren und daher nicht an¬
geben konnten, wer von den Aufsehern wirk¬
lich geschossen hatte, war es der Staatsanwalt¬
schaft nicht möglich, Anklage zu erheben. Einer
der Hauptverdächtigen, Walter Mintel, ver¬
weigerte einfach jede Aussage. Und damit war
der Fall erledigt. Aus Mangel an Beweisen.
Arnold Daghani gelingt es, dem Leser miter¬
leben zu lassen, wie er diese Zeit des Terrors
zu verarbeiten sucht, immer wieder zusam¬
menbricht, doch nicht aufgibt. Und es entste¬
hen Freundschaften mit Menschen, denen er
während der Zeit in Transnistrien begegnet ist,
wie z.B. mit einem Ingenieur der Firma Dohr¬
mann, dem er indirekt die Möglichkeit zur
Flucht verdankt.
Arnold Daghani ist auch ein begnadeter
Künstler, der allerdings mit dem Kunstbetrieb
schlecht zu Rande kommt. Er lebt einige Zeit
in Frankreich, übersiedelt dann in die Schweiz.
Die letzten Lebensjahre verbringt er in Hove
in England. Nach seinem Tod wurde eine
Stiftung gegründet, die sich um seinen Nach¬
laß kümmern sollte. Allerdings geriet die
Sammlung dann in Vergessenheit.
„Daghanis große Kunstsammlung stellt eine
einzigartige und komplexe Verflechung von
Zeitdokumenten und Erdachtem, von persön¬
lichen Erfahrungen und Erinnerungen dar.“ So
Deborah Schultz, die seit 1999 die Sammlung
Daghani im Centre for German-Jewish Studies
der Universität Sussex erschließt und katalo¬
gisiert und Ausstellungen von Daghanis Wer¬
ken organisiert.
Das Buch dokumentiert neuerlich die Unfähig¬
keit und den fehlenden Willen, die Verbrechen
der Nazi-Zeit zu verfolgen und den Opfern die¬
ses Regimes Gerechtigkeit widerfahren zu las¬
sen. Es ist aber auch das Dokument eines
Künstlers, der versucht, die Zeit der Verzweif¬
lung und der Angst nicht einfach zu verdrän¬
gen, sondern künstlerisch zu vergegenwärti¬
gen und damit dem Vergessen zu widerstehen
— ein Zeitdokument und zugleich die Bio¬
graphie eines großen Menschen und großar¬
tigen Künstlers.
Cecile Cordon
Felix Rieper, Mollie Brand-Bowen (Hg.): „Laßt
mich leben!“ Stationen im Leben des Künstlers
Arnold Daghani. Aus dem Englischen von F.
Rieper. Vorwort von Edward Timms. Lüneburg:
zuKlampen 2002. 352 S. Euro 24,-/SFr 41,40
Eine Biographie Adolph
Donaths
Es ist sehr erfreulich, daß im Campus Verlag
eine ausführliche Studie über den vergessenen
Schriftsteller Adolph Donath veröffentlicht
wurde. Die Autorin, die französische Sozio¬
login Doris Bensimon, ist eine gebürtige Wie¬
nerin und offensichtlich mit Donath verwandt.
Ihr Buch ist ursprünglich auf französisch er¬
schienen.
Donath stammte aus Kremsier und begann in
Wien Jus studieren. Mit seinem 1920 publi¬
zierten Band Judenlieder gehörte er zu jener
Gruppe der jungjüdischen Dichter, die der is¬
raelische Germanist Mark H. Gelber in eini¬
gen sehr lesenswerten Arbeiten wiederent¬
deckte. (Bensimon erwähnt seine Publikatio¬
nen nicht und scheint sie daher leider nicht zu
kennen).
In Wien schrieb Donath für die Gesellschaft,
die Modern’ Revue und die Neue Freie Pres¬
se. Er war Bibliothekar der Jüdisch Akademi¬
schen Lesehalle und 1902/3 Redaktionsmit¬
glied der Welt.
1905 ging Donath nach Berlin, wo er von 1919
bis 1932 die Zeitschrift Der Kunstwanderer
herausgab. 1911 veröffentlichte er den Klas¬
siker Psychologie des Kunstsammelns. Von
1921 bis 1925 gab er das Jahrbuch für Kunst¬
sammler heraus. In Berlin wurde Donath ein
enger Mitarbeiter und Freund des Direktors der
Berliner Museen, Wilhelm von Bode.
Auch in Berlin schrieb er ab 1922 regelmäßig
über Kunst für das Berliner Tageblatt. Über
Donaths Zeit in Berlin schreibt Bensimon:
„sein Jüdischsein verblaßt immer mehr: Es läßt
vor allem seinem Deutschsein und seinem
Europäischsein Platz.“ An einer anderen
Stelle formuliert sie, sicherlich korrekter:
„Donaths Jüdischsein drückt sich in drei
Aspekten aus: in seinen Verbindungen mit jü¬
dischen Sammlern und Künstlern, mit jüdi¬
schen Kreisen und in seiner Liebe zu Zion.“
1906 heiratete er die österreichische Christin
Marie, die, wie die Autorin suggeriert, später
zum Judentum übertrat und sich 1930 Ruth
nannte. Ihr Nachname wird im Buch leider
nicht angegeben. An anderer Stelle heißt es hin¬
gegen, daß Marie zum Judentum übertreten
wollte.
Ein sehr interessantes Buch, doch muß leider
angemerkt werden: Ein sorgfältiges Lektorat
hätte dem Buch sehr gut getan und wurde ver¬
absäumt. Zum Beispiel gibt es folgende ab¬
surde Stelle: „Hans Tietze [...] war kein Natio¬
nalsozialist. Er war Jude [...]‘* Die Jewish Na¬
tional and University Library der Hebräischen
Universität wird als „Jewish Library von Jeru¬
salem“ bezeichnet. Leo Baeck war nie Ober¬
rabbiner von Berlin; das war ein Titel, den es
nicht gab.
Tulo Nussenblatt wurde zu Nussemblatt; das
Wort „Judenheit‘ ist fragwürdig.
1933 emigrierte Donath nach Prag, wo er bis
zu seinem Tod (1937) für das Prager Tagblatt
und den Prager Börsen-Courier schrieb. Sei¬
ne Frau Marie starb während des Krieges un¬
ter nicht bekannten Umständen.
Donaths Nachlaß ist verloren. Bensimon
schreibt jedoch über einen Karton mit Büchern,
den ihre Familie vor ihrer Emigration bei ih¬
rer Großmutter in Wien ließ: „Angeblich hat
sie das Paket vor ihrer Deportation nach The¬
resienstadt der Nationalbibliothek in Wien
übergeben. Es ist unmöglich, dieses Paket wie¬
derzufinden: die Bibliothek verleibte sich sei¬
nen Inhalt ein.“ Wenn man sich den Umgang
der Nationalbibliothek mit Büchern der NS¬
Opfer vor Augen hält - beschrieben von der
Verfasserin dieser Rezension in dem Buch Der
Raub der Bücher —, dann scheint diese Aus¬
sage plausibel. Eine nützliche und weiterhin
zitierenswerte Stelle wäre diese Behauptung
allerdings nur geworden, wenn die Autorin sie
durch einen Verweis auf eine Korrespondenz
mit der Bibliothek, die sie vermutlich geführt
hat, oder durch eine Anfrage über die mittler¬
weile erstellte Liste der 1938 ff. eingeliefer¬
ten Bücher untermauert hätte.
E.A.
Doris Bensimon: Adolph Donath (1876¬
1937). Ein jiidischer Kunstwanderer in Wien,
Berlin und Prag. Frankfurt/M.: Campus Ver¬
lag 2001. 302 S. (Campus Judaica. Bd. 17).