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heblichen und ineffizienten Bürokratie — hat
den idealistischen, Mazzini beschwörenden
und Demokratie erhoffenden Irredentisten bald
klargemacht, dass Erlösung (Irredenta) nicht
unbedingt ins Paradies führen muß.

Zu den paradoxen Entwicklungen der 1920er
Jahre zählt nämlich der Umstand, dass die
schärfsten Kritiker des alten Österreich,
selbstbewusste „Deserteure“ im Jahr 1915,
zwar nicht zu dessen Apologeten wurden aber
zu nicht minder scharfen Kritikern des italie¬
nischen Faschismus, auch der späteren Re¬
publik, und sich als legitim-kritische Erben des
alten Kakanien im Sinn der Möglichkeitsidee
Musils mit der fast besten am Markt erhältli¬
chen (d.h. erträglichen) Verwaltung zu be¬
greifen anfingen. Dass sich hier ein Bewusst¬
sein der Exponiertheit wie der kulturellen
Avantgarde herausbildete, liegt auf der Hand:
marginale Identität und Grenz-Erfahrung,
Diversität wurden alsbald zu heftig diskutier¬
ten Kategorien und Angelpunkte der bis heu¬
te andauernden Versuche einer Positionierung
gegen den jeweils dominanten nationalen
Mainstream.

Im zweiten Teil ihrer Studie werden die
Protagonisten jenes widerständigen Denkens
und Schreibens vorgestellt, beginnend mit
Biagio Marin (1891 — 1985), der die vielleicht
innovativste Dialektpoesie Italiens nach 1945
vorgelegt hat. Ihm lässt Lunzer den „Gro߬
meister“ der literarischen Übersetzung Ervino
Pocar (rund 80.000 übersetzte Seiten aus der
deutschsprachigen Literatur!) sowie den mo¬
ralisch-literarischen Verwalter jener Auf¬
bruchsgeneration um Slataper, Giani Stuparich,
folgen. Nach einem vergleichenden Exkurs
über die Schulgesetze vor und die Schulpraxis
nach 1918 werden mit Alberto Spaini, dem
Flaneur der Gruppe, der sich in Wien wie in
Berlin, aber auch in Südfrankreich souverän
bewegte, kaum achtzehnjährig die Heraus¬
forderung einer Wilhelm Meister-Übersetzung
annahm und bestand, bald zu Kafka wechsel¬
te, nachdem er Felice Bauer kennen gelernt hat¬
te, sowie mit Enrico Rocca - einerseits Mit¬
begründer der fasci, andererseits Wegbereiter
des Habsburgischen Mythos, Cousin C.
Michelstädters, Freund Stefan Zweigs und ihm
im Suizid nachfolgend — weitere wenig be¬
kannte, aber facettenreiche Gestalten vorge¬
stellt. Insbesondere Marin verkörpert dabei ei¬
nen Phänotyp innerhalb jener Generation der
jungen, meist zweisprachig aufgewachsenen
Intellektuellen, die vor 1914 sowohl von der
Agonie der Habsburgermonarchie als auch
vom idealistischen, ja militanten Pathos der
Florentiner Voce-Generation (die wesentlich
von Triestinern mitgeprägt war) oder der als
bedrohlich empfundenen slawischen Emanzi¬
pation (die z.B., so im Fall Stuparichs, in Prag
studiert wurde) geprägt war. 1915 glaubten sie
in Italien nicht nur die nationale Patria, son¬
dern - fälschlich, wie gerade sie selbst rasch
diagnostizieren sollten — eine europäisch-dy¬
namische, demokratisch-dialogische Zukunft
erkennen zu können. Die Kriegserfahrung,
traumatisch im Hinblick auf den rücksichtslos¬

zynischen Verschleiß von „Menschenmaterial“
am Isonzo, ließ bei Marin wie den meisten an¬
deren Triestinern tiefe Zweifel aufkommen; die
zentralistisch-bürokratische Okkupation ihrer
höchst differenzierten julisch-venetischen
Landschaften zwischen Görz und Triest und
die darauf folgende faschistische Arroganz und
Repression jeder autonomistischen Regung
oder auch nur Erinnerung an eine eigenstän¬
dige Tradition, hier das Slawo-Austriakische
wiederentdeckend, einen neuerlichen Bruch
mit der Zentrale — diesmal eben Rom - ent¬
stehen. Der von Benedetto Croce geförderte
Marin kündigt z.B. mehrfach aus Protest ge¬
gen die faschistische Personalpolitik seine je¬
weilige Schulstelle, lässt sich nur mit sanfter
Gewalt zu einem Arrangement mit dem
System überreden, um dann 1937 als Direktor
der Bäder von Grado wegen antifaschistischer
Agitation entlassen zu werden: Als „im Exil
unter den Italienern‘“ wird er diese Zeit fortan
verbuchen. 1943 schließt sich Marin dem
Widerstand an und spielt 1945 sogar eine
führende Rolle im liberal-demokratischen
Lager. Aus dieser Zeit datiert u.a. ein Vorschlag
zur Errichtung eines autonomen Staates
Julisch-Venetien auf der Basis nationaler
Gleichberechtigung von Slowenen und Italie¬
nern, obwohl er im Grunde vom Feindbild der
slawischen Bedrohung nie richtig wegkam
(106). Die neuerliche Delusion der zweiten
Nachkriegserfahrung (zu geringes Gewicht der
Peripherie, zu starke Präsenz zentralistischer
Bürokratie, Interesse am historischen Erbe und
gleichzeitige Distanz zu nostalgischen Habs¬
burgmythen) verstärkten in Marin ein Ent¬
fremdungsgefühl, eine unaufhebbare „Kontra¬
diktorik“, welche in Briefen an Prezzolini oder
Ungaretti Niederschlag findet und seine
Hinwendung zur Poesie — bewusst von einem
kleinräumigen Sprach-Kosmos ausgehend, ja
auf ihn setzend - definitiv herbeiführt. Eine im
Ansatz verwandte Enttäuschung hat gewiß
auch Pocar geprägt, der während des Ersten
Weltkrieges wie zahlreiche andere Triestiner
Familien in Graz konfiniert war, dies aber da¬
zu nützte, um nach Kontaktnahme mit
Hofmannsthal seine in Relation zur irredenti¬
stischen Utopie geradezu kompensatorische
Übersetzungs- und Vermittlungsarbeit zu be¬
ginne, sich bereits in den frühen 1920er Jahren
als intellektueller Gegner des Faschismus in
Görz profilierte und weigerte, seinen Namen
zu italianisieren. Und schließlich der Fall Stu¬
parich, den Lunzer mit beeindruckender Prä¬
zision und herzlicher Zuneigung aufrollt: die
idealistische frühe Risorgimento-Begeiste¬
rung, das einlässliche Studium der Nationa¬
litätenfrage in Prag mit einbekannter Sym¬
pathie für das Brünner Programm der Sozial¬
demokratie sowie mit den tschechischen Re¬
ormideen, aus welchen — so in La nazione cze¬
ca (1915) - die Hoffnung spreche, Österreich
könne gar zur „Inkubationsstätte für ein eu¬
ropäisches Bewusstsein“ (153) werden; die fa¬
tale Opferbereitschaft, die Stilisierung des
Krieges zum Stahlgewitter-Bad und nach der
Gefangennahme die Internierung in Maut¬

hausen (bereits 1916!); die Lebenskrise nach
dem Tod des begabten Bruders Giani und des
Freundes Slataper, die ihn zwangen, auch ihr
Gedächtnis zu sein, wie seine Slataper-Brief¬
editionen und -Biographie (1922f.), seine
Gespräche mit dem Bruder (1925) dokumen¬
tieren, sowie der antiheroische, als defaitistisch
denunzierte, weil die „Korrosion der patrioti¬
schen Ideale“ (202) herausarbeitende Heim¬
kehrerroman Ritorneranno (1941). Von be¬
sonderer Dynamik ist schließlich der Fall
Rocca: eine Wandlung vom Irredentisten
über eine kurze Verirrung in den frühen Fa¬
schismus zum überzeugten Antifaschisten seit
1922 (!), der zeit seines Lebens mehrfach sei¬
ne konzeptuelle Heimat verlor: zuletzt (1938)
doppelt durch die Rassegesetze, die ihn zur in¬
neren Emigration zwangen und seiner Ver¬
mittlungsarbeit aus der deutschsprachigen Lite¬
ratur mit österreichischem Horizont (Kafka,
Roth und Zweig waren „seine“ Autoren) den
Boden unter den Füßen entzog.

Der dritte Teil präsentiert uns die „Endeka¬
valiere“, d.h. die seit den späten 1920er Jahren,
den „Jahren der Psychoanalyse“ (Edoardo
Weiss), parallel zu den Großen (wie Saba und
Svevo) sich formierende Gruppe, die noch
deutlicher als je zuvor auf die „jüdisch-öster¬
reichisch-slawische Mischkultur“ (305) re¬
flektierte und somit gegen die zentristisch-uni¬
forme faschistische, aber auch postfaschisti¬
sche Ästhetik Italiens neue Aspekte in die Dis¬
kussion über die „Zwei-Seelen-Theorie“ ein¬
brachte: Bobi Bazlen, richtigerweise als „li¬
terarischer Spürhund‘“ liebevoll markiert und
Mitbegründer des Verlags (und vor allem des¬
sen Programms) Adelphi, C.L. Cergoly, den
enigmatischen Flaneur zwischen den Kulturen,
Sprachen und Ideologien, das Duo Lino
Carpinteri & Mariano Faraguna, Verfasser
nostalgieverdächtiger und trotz sarkastischer
Grundierung stereotypenlastiger Bestseller wie
L’Austria era un paese ordinato (1982; Oster¬
reich war ein ordentliches Land), sowie Fer¬
ruccio Fölkel. Letzterer war neben Voghera
wohl die scharfsinnigste Stimme im Umfeld
der mehrfach aufgesplitterten Identitäten und
der Anstrengung, sich — einmal dialektal-ex¬
perimentell, einmal mit Blick auf das Floren¬
tinische Zentrum, dann wieder nach Norden
(Psychoanalyse, Mitteleuropa) — eine Triesti¬
ner Kultur nach deren Niedergang von 1918
ff. neu zu erarbeiten, weit radikaler und kon¬
sequenter als z.B. bei Claudio Magris. Und dies
nicht zuletzt deshalb, weil Fölkel neben Cer¬
goly als einziger auch die „enorme Schuld“ den
slowenischen Brüdern (Kosovel, Rebula, Pa¬
hor) gegenüber erkannt und diesen in seinem
Racconto del 5744 (Erzählung vom Jahr 5744)
Stimme und Resonanz gegeben und als scho¬
nungslos gegen sich selbst und die Generation
seiner Weggefährten die Conditio des Exils als
eine Triester Grunderfahrung seit dem Faschis¬
mus angesprochen sowie die Schande des KZ
von San Sabba aufgearbeitet hat. Hier hätte
sich, ein anzumerkender Wermutstropfen,
ein Exkurs über Boris Pahor angeboten, und
zwar über dessen beeindruckenden Wider¬

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