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Yorker Lincoln Center aufgeführt wurde, ins
Englische übersetzt habe. Auf jeden Fall wird
in dieser Fassung das Verhör dieses Deutschen,
wo er fast umgebracht wird, was in der Realität
ja auch vorkam, fiktiv verarbeitet.

Aber das hat ja nun zwei Aspekte. Zum ei¬
nen versöhnen Sie sozusagen Feinde, auch
wenn diese junge Frau Tochter von Kollabo¬
rateuren war; auf der anderen Seite klingt die¬
ses Motiv an, das sich schon vorher im „Ehe¬
paar“ zeigte, nämlich daß Sie sich mit dem Ver¬
halten der Sieger nicht identifizieren können,
wenn dieser Soldat, dem man eigentlich keine
konkrete Schuld zuweisen kann, von den Ver¬
hörungsoffizieren mißhandelt wird. Sie haben
vorhin gesagt, Sie hätten es auch als politische |
Mission empfunden, den Faschismus zu be- '
kämpfen — und zwar unter dem Einsatz des ei- °
genen Lebens. Wie kommt man dann relativ *
schnell zu so einer Haltung, die Versöhnung an¬
bietet, zumal das Ausmaß der nationalsoziali¬
stischen Verbrechen immer offener zutage trat?

Es ist so: Menschen reagieren auf Situatio¬
nen, und ich verdeutliche das sehr krass — näm¬
lich daß dieser Stephan aus der „Befreiung“, der
viel Mitgefühl aufweist und sich später in eine Deutsche ver¬
liebt, wahrscheinlich unter der Folter nicht dicht gehalten hät¬
te, wäre er sechs Monate früher gefangen genommen worden.
Von mir kann ich sagen, daß von Kindheit auf Mitgefühl mein
stärkstes Gefühl war. Ich stieß dann in Deutschland auf Men¬
schen, die — wie soll ich sagen? — in einer ,,Schuldsituation“ wa¬
ren, freilich sehr unterschiedlich. Nicht alle hatten zu verant¬
worten, was zum Schluß passiert war. Es gab Leute, die über¬
haupt nicht gewußt haben, daß es Vergasung und all die ande¬
ren schrecklichen Dinge gab. Die waren jetzt in einer Situation,
wo sie für etwas gerade stehen mußten, was sie gar nicht kann¬
ten, und diese Nötigung war für mich unerträglich. Und jetzt
gehe ich sogar noch einen Schritt weiter: Der Nationalsozialismus
und diese Radikalität schien mir nicht — im Englischen würde
man sagen in keeping —, will sagen, im Einklang mit dem Deut¬
schen, also — so gefährlich und hochtrabend das klingen mag
- im Einklang mit dem deutschen „Naturell“. Als dann alles dar¬
niederlag, waren da viele Menschen, die irgendwie mehr einen
Geistlichen gebraucht hätten, als einen Offizier, der sie verhört.

Natürlich ist in der Emigration auch immer wieder auf das
„Andere Deutschland“ hingewiesen worden. Aber in Bezug auf
die vielen, im Grunde genommen verbrecherischen Mitläufer
hat es in den letzten Jahren wieder eine große internationale
Debatte gegeben, ausgelöst durch Daniel J. Goldhagens Buch
„Hitler’s Willing Executioners“.

Na gut, kurzum: Mich haben die Menschen interessiert, die
in einer Situation waren, die verzweifelt war, ganz gleich, was
vorher passiert ist. Und da bleibt mir jetzt nur zu sagen: So sehr
ich davon überzeugt bin, daß man sich erinnern muß — schon
wieder dieser Satz „man muß sich erinnern, damit man vergessen
kann“ —, so sehr muß man auch das Leid wahrnehmen, das man
in einer konkreten Situation auf der „anderen Seite‘ wortwörtlich
vor Augen hat. Ich schrieb diesbezüglich schon 1945 im „Ehe¬
paar“ den Satz: ‚Was hätte ich getan?“ /6, zu dem ich heute noch
stehe.

Ich werde dabei den Eindruck einer religiösen, spezifisch
christlichen Motivation nicht los...

Mit etwa sieben Jahren habe ich das Neue Testament kennen¬
gelernt, eines der einschneidensten Erlebnisse meines Lebens.
Es war vor allem das Leiden Christi, das für mich eine un¬
glaubliche Aktualität hatte, so daß sich mein sowieso im Ansatz
vorhandenes Mitgefühl enorm gesteigert hat. Ich denke, daß ich
eigentlich kein gläubiger, weil doch zu vernunftbetonter Mensch
bin, aber dennoch fühle ich mich - politisch, geistig oder welt¬
anschaulich, wie man’s nennen will — ganz auf der Linie des
Christentums, auch mit seinen Schattenseiten, für die aber die
Menschen und Institutionen selbst verantwortlich sind.

Gesetzt den Fall, Sie hätten Ihre hier angesprochenen Prosa¬
Texte um 1947/48 veröffentlichen können, hätten Sie dann nicht
Beifall von der falschen Seite befürchten müssen? Ist es Ihnen
nie ein Problem gewesen, daß die Haltung, die Sie exponieren,
zur Entlastung Schuldiger führen könnte, die dann aufatmend
sagen: Aha, endlich versteht uns einer! ?

Natürlich, und das ist ja gar nicht zu verhindern. Aber wenn
die Texte, und das hoffe ich, in sich stimmen, wird es schwer
fallen, da einfach etwas hineinzulesen. Lassen Sie mich das ver¬
deutlichen an meiner Theaterfassung von „Das Ehepaar“. Dieses
Stück ist im Jahr 1995 auf der Studienbühne in Münster aufge¬
führt worden und hat zwei — wenn ich so sagen darf — Traum¬
kritiken bekommen. Da haben sich in den 90er-Jahren die Laien¬
Schauspieler, die ausgezeichnet waren, große Gedanken über
mein Thema gemacht und haben sich letztlich schwer entschlos¬
sen, das Stück zu spielen. Und jetzt das Erstaunliche: Das Publi¬
kum dieser Studiobühne war eher links gerichtet. Als im Stück
dann dieser Deutsche — das habe ich aus dem dritten Kapitel der
„Befreiung“ entnommen und sozusagen in die Novelle trans¬
poniert - ins Bild gesetzt wird, wo das deutsche Ehepaar Lieute¬
nant so schön über französische Literatur sprechen, gibt es ei¬
nen abrupten Szenenwechsel. Auf diesen reagierte das Publikum
irgendwie befreit, und zwar deshalb, weil ein Klischee zerbro¬
chen ist. Weil da jetzt plötzlich jemand kommt, der — obwohl
von der anderen Seite — zum Verfolgten und MiBhandelten wird.
Und das hat einen befreienden Effekt auf die Menschen gehabt,
die das Stück zum Schluß mit großem Applaus bedacht haben.

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