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in ihrer Verurteilung der Judenräte wiedererkennt: Arendts „wü¬
tende Anklageschrift gegen die Judenräte“ könne „als zorniges
Klagelied über das Scheitern von Rationalität über die Nieder¬
lage von humanistischer Vorstellungskraft gelesen werden. Wer
sich mit den jüdischen Funktionären unter nationalsozialistischer
Herrschaft befaßt, begibt sich in das Epizentrum dieser Kata¬
strophe.“ Das Buch schließt mit Sätzen, die deutlicher nicht zu
erkennen geben könnten, daß sie der gleichen Intention wie
Amerys Essays verpflichtet sind: die Situation der Opfer zu evo¬
zieren, nicht um sie als Identifikationsobjekte zu gewinnen, son¬
dern um die Täter kenntlich zu machen — und die wahre Dimen¬
sion ihrer Taten, das ist zugleich das Wichtigstes, das für die
Opfer getan werden kann: „Wer die Politik der jüdischen Ge¬
meinden während der nationalsozialistischen Verfolgung kri¬
tisch beleuchtet, muß die Grenzen ihrer Handlungsfähigkeit an¬
erkennen. Die jüdische Gemeindeleitung Wiens unterlag den¬
selben Zwängen wie alle Juden, sie verfügte über keine eige¬
ne Macht, sondern war zur bloßen Instanz geschwunden, zu ei¬
ner Instanz der Ohnmacht. Auch im Nachhinein tut sich keine
Handlungsalternative zum damaligen Dilemma auf. Mit jüdi¬
schen Traditionen, mit der Identifikation des Opfers mit dem
Täter oder mit etwaigen Wiener Eigenheiten hängt dies alles nicht
im geringsten zusammen. Keine Opfergruppe hätte unter ähn¬
lichen Bedingungen anders reagieren können; keine könnte heu¬
te anders handeln. Beruhigendere und behaglichere Ergebnisse
sind diesen Erörterungen nicht abzugewinnen.“

Solche Sätze sind von einer Klarheit, wie sie heute nur sel¬
ten begegnet — schon gar in den wohlfeilen Essays über Probleme
der Identität oder in wissenschaftlichen Werken über die Zeit¬
geschichte. In ihnen ist eben die Erfahrung gegenwärtig, daß
es Dinge gibt, wovon leichthin zu erzählen nicht möglich ist und
worüber zu forschen sich nicht darin erschöpfen kann, die Fakten
aneinanderzureihen.

Daß es Dinge gibt, von denen wenn auch nicht gerade leicht¬
hin, so doch zu erzählen ist, hat der Autor in seinem Roman
Suche nach M. und in seinem Erzählband Papirnik - Stories deut¬
lich gemacht: aber — und das ist vermutlich das Entscheidende
— sie handeln nicht unmittelbar von der Vernichtung wie das wis¬
senschaftliche Buch, sondern erzählen mit Bewußtheit aus der
Perspektive einer Generation, deren Eltern die Überlebenden
genannt werden. Robert Schindel, der eigentlich selbst ein Über¬
lebender ist, hat dafür in den frühen neunziger Jahren mit sei¬
nem Roman Gebürtig eine Art Paradigma geschaffen, ihm ist
der Erzählband Stories übrigens auch gewidmet. In dieser
Literatur, die eine zeitliche Distanz zu Auschwitz reflektiert und
zugleich eine neue subjektive Intensität in der Auseinander¬
setzung mit dem, was geschehen ist, gewonnen hat, können sich
zwar alle Geschichten begegnen, die sonst voneinander sepa¬
riert worden sind: die der Täter und die der Opfer - sie bleiben
aber als solche unter allen Umständen kenntlich. Die Generation
der Nachgebornen kann sich von der Vergangenheit nicht ab¬
koppeln, sie ist aber auch nicht deren bloßer Schatten. In den
‚privaten‘, intimen Beziehungen - zwischen Freund und Freun¬
din, Eltern und Kinder, Bruder und Schwester ... — entstehen
immerzu kleine, aber präzise Entscheidungssituationen, in de¬
nen die Figuren — im Guten wie im Bösen — sich zur Vergan¬
genheit verhalten müssen. Kennzeichnend für Rabinovici scheint
es mir, daß dabei die innerjüdischen Konflikte ein bedeutendes
Eigengewicht gewinnen, und ebenso kennzeichnend für die li¬
terarische Intensität, mit der sie ausgefochten werden, für die
Mittel der Darstellung, daß es hier keine Lösungen gibt, alles

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offen bleibt — die Offenheit kommt etwa in polar einander ge¬
genübergestellten Figuren, einem Freundespaar wie Dani und
Arieh zum Ausdruck. Beruhigendes und Behagliches, wie es
der Philosemitismus gerne hätte, findet sich auch hier nicht —
wenn auch das Komische einen bestimmten Raum gewinnt. Ja
das Beunruhigende kann schon in der scheinbar komischen Ge¬
staltung der Figuren selber liegen, in die — mitunter von Pointen
verdeckt — Verfahrensweisen des Surrealismus eingegangen sind:
etwa jener Papirniks, der sich als Buch dargestellt findet und
zuletzt verbrannt wird; oder jenes Mullemanns, der gänzlich mit
Mullbinden Vermummte, der die Schuld der anderen zwanghaft
auf sich nimmt und die Schuldigen gerade damit aber zum
Eingeständnis bringt.

Zwischen dem wissenschaftlichen Buch und dem erzählerischen
Werk stehen die Essays. Läßt sich der Essay als die Form be¬
greifen, in der das Nichtidentische bewußt werden kann, so ver¬
mag Doron Rabinovici gerade in dieser Form auszudrücken, was
in seinem wissenschaftlichen Buch nicht zur Sprache gebracht
werden konnte; er kann es aber mit einer Bewußtheit tun, die
wiederum in den Stories und im Roman durchs Unbewußte über¬
determiniert bleiben muß. Scheinbar äußerliche Gemeinsam¬
keiten mit Amerys Essaybänden verweisen — jede auf ihre Art
— auf Wesentliches. So sind z.B. nicht wenige Essays als Arbeiten
für den Rundfunk entstanden. Darin schlägt sich nicht nur die
triste ökonomische Lage der Schriftstellerei nieder (zudem bie¬
tet der Rundfunk heute nicht mehr so günstige Arbeitsmög¬
lichkeiten wie damals, zu Amérys Zeiten), sondern auch eine
bestimmte essayistische Haltung zum Publikum: das Bedürfnis,
es direkt und offen anzusprechen. Dabei zeigt sich nicht selten
auch eine gewisse Lässigkeit im Umgang mit der gestrengen
Theorie, Lockerungsübungen des Geistes, die oft neue Seiten
des theoretischen Gegenstands unwillkürlich zutage fördern. Die
Vielfalt der Gegenstände wiederum ist aber nicht irgendeine be¬
liebige — sie ist vielmehr immer durch die subjektive Erfahrung
gebündelt: nur in der Erfahrung, die sich nicht verleugnet, tei¬
len sich die Gegenstände mit.

In Jean Amerys berühmten Band Jenseits von Schuld und
Sühne hieß die Nichtidentität: Zwang und Unmöglichkeit, Jude
zu sein; Zwang und Unmöglichkeit — weiterzuleben nach der
Folter; Zwang und Unmöglichkeit — Heimat zu haben, Zwang
und Unmöglichkeit - nach dem Vernichtungslager bei Vernunft
zu bleiben. Es ist dies in jedem Gedanken ein aufs Äußerste zu¬
gespitzter Widerspruch, der — das wußte Amery sehr gut - ei¬
ne unerhörte Provokation in den sechziger Jahren darstellen mu߬
te. Doron Rabinovici nimmt nichts davon zurück. Besonders
deutlich wird das in seinem von Canetti inspirierten Aufsatz über
die „Übriggebliebenen“, in dem er sich abermals auf die Situation
der Judenräte bezieht: „Das Verbrechen, das den Tätern zu Er¬
habenheit und Hochmut verhilft, ist die Erniedrigung der Opfer.
Die einstigen Funktionäre der jüdischen Gemeinden unter¬
scheiden sich hier nicht von ihren Schicksalsgenossen. Wenn
sie zurückdenken müssen, weil sie nicht vergessen können, er¬
füllt sie keine Befriedigung. Sie prahlen einander nicht von ihren
Heldentaten, schwelgen nicht bei Bier von einstigen Zeiten,
schunkeln nicht zu den alten, blutrünstigen Liedern und sehnen
sich nicht zurück in jene Tage. Sie werden von den Schrecken
heimgesucht, und was übrigbleibt, ist Abfall und Gestank.‘‘ Und
zugleich wird in demselben Band der wirklich wunderbare Satz
von Canetti zitiert: „Suche, solange noch etwas in dir zu finden
ist, erinnere dich, gib dich der Erinnerung willig hin, verschmähe
sie nicht, sie ist das Beste, sie ist das Wahrhaftigste, was du hast,