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Harry Graf Kessler und Henry van de Velde, Heinrich und Thomas Mann, Carl Sternheim und Hermann Hesse, Robert Musil und Hanns Henny Jahnn, Marieluise Fleißer und Margarete Susman, Bertolt Brecht und Erich Kästner — so breit gefächert präsentiert sich das Namensangebot aus dem kulturellen und literarischen Spektrum der Weimarer Republik in dem vorliegenden Sammelband mit den Beiträgen eines Symposions anläßlich des 60. Geburtstages von Universitätsprofessor Klaus Miiller-Salget im Februar 2000, das vom Institut für deutsche Sprache, Literatur und Literaturkritik der Universität Innsbruck veranstaltet wurde. Schon das Programm hinter diesem Titel fordert eine nähere Überprüfung der Inhalte heraus und nimmt die LeserInnen möglicherweise gleich zu Beginn ein wenig wunder: Beschäftigt sich doch der erste Beitrag von Manfred Beyer „Weimar: Anspruch und Wirklichkeit der Provinz“ höchstens marginal mit Literatur, sondern thematisiert die kunstgeschichtliche und kulturelle Entwicklung Weimars als Gegenstück zur modernen Großstadt Berlin. Beleuchtet wird dies vor dem Hintergrund der politischen Situation am Beispiel des Kreises um Harry Graf Kessler und den Designer Henry van de Velde, die als Vorläufer des „Bauhaus“ gelten können und eine wesentliche Rolle für Weimar als kurzzeitigen Angelpunkt der europäischen Moderne gespielt haben. Das Weimarer Kunstkonzept als Gegenentwurf zur herrschenden Kultur der wilhelminischen Zeit, vor allem aber auch die politisch motivierten Hintergründe für dessen Scheitern bieten einen interessanten Einstieg in den kulturellen Kontext der Epoche und somit in das Umfeld auch der literarischen Entwicklungen. Die in diesem Zusammenhang zwar nicht explizit angesprochene Thematik von Kontinuität und Brüchen wird hier trotzdem anhand der kunstgeschichtlichen Prozesse deutlich gemacht und zieht sich auch durch die meisten der übrigen Beiträge als roter Faden. Die im Vorwort programmatisch geforderte „kritische Überprüfung der Zäsuren von 1918 und 1933, die eine differenziertere Sicht auf die Kultur der Weimarer Republik ermöglichen soll“ (S.9), findet sich vor allem in Peter Sprengels Text über das „Epochenbewußtsein um 1918‘ verwirklicht, der anhand einiger Werke, die zwar vor 1918 entstanden sind, aber erst in der Frühphase der Weimarer Republik veröffentlicht wurden, aufzeigt, wie sich die geänderten historischen Bedingungen auf die Rezeption auswirkten. Die Erfahrungen vom Kriegsende als Einschnitt bewirkten entweder eine Ablehnung der Texte, die als inzwischen von den tatsächlichen Ereignissen eingeoder überholt erschienen, oder begeisterte Aneignung, die den Autoren nahezu prophetische Voraussicht attestierte. In jedem Fall war „die Mission, die Aktualität, die scheinbar unmittelbare Wahrheit, die das Publikum nach 1918 aus den Werken der Kriegs- und Vorkriegszeit 82 herauslas, [...] seine eigene, eine genuin politische. (S. 42) In den Aufsätzen zu Thomas Mann und Robert Musil von Peter Pütz und Alfred Doppler gestaltet sich außerdem ein Bild der persönlichen Auswirkungen auf die politischen Ansichten dieser Autoren, die vor dem Hintergrund der sich verändernden gesellschaftlichen Gegebenheiten, vor allem durch das Erlebnis des Krieges, sich mit ihren eigenen brüchigen und teilweise widersprüchlichen Erfahrungen und Empfindungen auseinandersetzen mußten. Thomas Mann präsentiert sich 1918 mit dem Erscheinen seiner „Betrachtungen eines Unpolitischen“ als Konservativer Anhänger der Monarchie und Kriegsbefürworter. Ein Zeugnis seiner geänderten Haltung gibt er bereits 1922 in der Rede „Von Deutscher Republik“, in der er sich gegen Krieg und für die Weimarer Republik ausspricht. Trotz dieser Brüche — die möglichen Gründe dafür sieht Pütz in Manns Einsicht in das Unvermeidbare und „als Folge seiner Ablehnung der Alternative sowohl auf der rechten als auch auf der ultralinken Seite“ (S. 53) — liegt Thomas Mann das Kontinuum einer Idee der „deutschen humanitas“ und eines unveränderlichen Konservatismus zugrunde. Eine ähnliche Wandlung von Kriegsbegeisterung zur Verachtung der Grausamkeit und des „Triebhaft-Animalischen“ des Krieges erkennt der Innsbrucker Germanist Alfred Doppler auch bei Robert Musil. Brüche nicht im eigenen Schaffen oder Denken von Autoren der Weimarer Republik, aber doch Brüche im Umgang der Forschung mit diesen Literaten werden in den Beiträgen über Marieluise Fleißer und Erich Kästner gefordert. Die Oldenburger Literaturwissenschaftlerin Sabine Doering verwirft in ihrem Aufsatz über Fleißers Reiseprosa das bisherige „Bild der unselbständigen, isolierten und verunsicherten Schriftstellerin“ (S. 130) und zeichnet eine Autorin, die sich in der Konkurrenz zu ihrem ebenfalls schreibenden (heute unbekannten) Partner doch behaupten kann und ihre schriftstellerische Distanz und Beschreibungsgabe als Waffen gegen die Vereinnahmung durch den Mann im Geschlechterkampf einzusetzen weiß. Dieser Blickwinkel war der Forschung über Jahre hinweg verschlossen geblieben und eröffnete sich erst durch Teile der Korrespondenz Fleißers, die 1996 entdeckt wurden. Mit ihrer Neuinterpretation der Reiseprosa Fleißers öffnet Doering der Frauenliteraurforschung neue Zugänge und regt zu Untersuchungen zum Werk der Autorin über den bisher üblichen „biographistischen“ Ansatz hinaus an. Im Falle Kästners liefert Michael Klein einen durchaus nicht nur für Literaturwissenschaftler verständlichen und ergiebigen Beitrag, in dem er die Versäumnisse der Germanistik in der Kästner-Forschung aufdeckt. In unterschiedlichen Ansätzen erklärt Klein plausible Ursachen — beispielsweise die Verdrängung anderer Autoren durch die verstärkt aufkommende Rezeption der Lyrik Brechts in den 1960er Jahren — für die Distanz zu Kästners Werk und bietet gleichzeitig Anregungen und Ideen zur weitergehenden Forschung, nicht nur zu Kästner, sondern zu weiteren Schriftstellern aus dessen Generation: „Es geht nicht nur um Erich Kästner. Damit sollte zum Ausdruck gebracht werden, daß Kästner möglicherweise auch repräsentativ ist für die Schwierigkeiten der Germanistik mit einer ganzen Gruppe von Autorinnen und Autoren, ja für eine ganze Generation steht ...“ (S. 181) Ein mit Sicherheit beachtenswerter Band, gerade weil er keine Abgeschlossenheit des Themas vortäuscht und letztgültige Erkenntnisse und Wahrheiten dazu präsentiert, sondern Freiräume durch eine Vielzahl von offenen Anregungen und Anknüpfungspunkten bietet. Katharina Zucker Michael Klein, Siglinde Klettenhammer, Elfriede Pöder (Hg.): Literatur der Weimarer Republik. Kontinuität — Brüche. Innsbruck: Innsbrucker Beiträge zur Kulturwissenschaft 2002. 188 S. Euro 21,- (Germanistische Reihe. Bd. 64). Buchzugänge Helmut G. Asper (Hg.): Nachrichten aus Hollywood, New York und anderswo. Der Briefwechsel Eugen und Marlise Schüfftans mit Siegfried und Lili Kracauer. Eingeleitet und kommentiert von Helmut G. Asper. Ergänzt mit Briefen Eugen Schüfftans an Berthold Viertel sowie Beiträgen von Kathinka Dittrich, PierreDamien Meneux und Robert Müller/Helmut G. Asper. Trier: WVT Wissenschaftlicher Verlag Trier 2003. 164 S. (Filmgeschichte International; 13). Willy Berler: Durch die Hölle. Monowitz, Auschwitz, Groß-Rosen, Buchenwald. Aufgezeichnet und historisch dokumentiert von Ruth Fivaz-Silbermann. Mit einem Vorwort von Simon Wiesenthal. Augsburg: Ölbaum Verlag 2003. 225 S. Euro 20,Blaueule Leid. Bukowina 1940-1944. Eine Anthologie. Hg. und kommentiert von Bernhard Albers. Aachen: Rimbaud 2003. 159 S. Euro 22,- (Texte aus der Bukowina. Hg. von B. Albers und Reinhard Kiefer. Bd. 10). Henryk M. Broder, Hilde Recher (Hg.): Der jüdische Kalender Fünftausendsiebenhundertvierundsechzig 2003 — 2004. Augsburg: Olbaum Verlag 2003. 286 S. Euro 9,90 Ein vorzügliches Kompendium, das einen nicht nur an die jüdischen Feiertage erinnert, sondern auch an verschiedene Jahrestage von