Assia Djebar, die bekannteste Autorin des Maghreb, in Alge¬
rien geboren, nahm Ende Oktober den Friedenspreis des
Deutschen Buchhandels in Empfang. Bereits in früheren Jah¬
ren erhielt sie zahlreiche Auszeichnungen, darunter die Eh¬
rendoktorwürde der Universität Wien. Ein Dutzend Bücher
und mehrere Filme tragen ihren eigenwilligen Stempel.
Die Erfahrung des Fremd-Seins, die Verletzungen der Vergan¬
genheit durchziehen Djebars Bücher wie ein roter Faden. Die
Autorin, gespalten zwischen Sprachen und Kulturen, selbst
fremd in der Literatur ihrer Heimat, weil sie auf französisch
schreibt, als entwurzelte Algerierin in Frankreich, in Europa,
als emanzipierte Intellektuelle gegenüber der traditionellen
Frauenrolle der arabischen Welt.
Exkurs: „30.6. 1962 ... lernte ich im Autobus nach Rocher
Noir die berühmte Schriftstellerin Djebar kennen, eine wun¬
derbare junge Frau französischer Kultur, die Far&s, Ben Bella
und alle Führer der FLN persönlich kennt. ... Sie ist auch Ge¬
schichtsprofessorin in Casablanca, wählt morgen in Blida, lebt
in Paris und Tunis und will nach Algerien zurückkehren. ...“
Tagebuchnotizen Georg Scheuers, bei einem Aufenthalt in
Algerien 1962 anläßlich der Unabhängigkeitsfeiern.
30.6. 1962 - an diesem Tag ist Assia Djebar in der Tat in Al¬
gier eingetroffen. Heute feiert sie ihren 26. Geburtstag. Ihr
Land hat sich soeben nach langen Kämpfen für die Unabhän¬
gigkeit entschieden. Freudentaumel herrscht auf den Straßen.
Die junge Intellektuelle hat bereits drei Romane und ein Thea¬
terstück veröffentlicht. Sie schreibt in Französisch, denn sie
hat Schule und Studium in dieser Sprache absolviert. Ein Um¬
stand, der ihr noch einige Probleme bereiten wird, ist es doch
die Sprache der Unterdrücker. Und nach der Unabhängigkeit
wird im Land die Arabisierung forciert. Als Kind hat Assia
Djebar jedenfalls als einziges Mädchen in ihrer Familie eine
gewisse Freiheit genossen, ihre Kusinen werden der Tradition
entsprechend von der Pubertät an eingesperrt, verschwinden
im Gefängnis ihrer arrangierten Ehen, den Innenhöfen ihrer
Häuser.
Es war Assia Djebars Vater, selbst Französischlehrer, der sei¬
ner Tochter diese Bildung ermöglichte, zuerst in der Grund¬
schule, dann im Internat, an der Pariser Ecole Normale Supé¬
rieure, allerdings bricht sie dort ihr Examen ab und beginnt
statt dessen zu schreiben. Ihr 1956 veröffentlichter Erstlings¬
roman „Die Zweifelnden‘“ wurde nicht ins Deutsche übersetzt,
„Die Ungeduldigen“ jedoch erscheinen in Deutschland sogar
in Fortsetzungen. Dieses Frühwerk wurde damals mit Francoi¬
se Sagans „Bonjour Tristesse“ verglichen, wogegen sich Assia
Djebar allerdings verwahrt. Die Entwicklung eines jungen
Mädchens aus gutem Haus, das in Auflehnung gegen die ande¬
ren Familienmitglieder ihre ersten Erfahrungen der Liebe, des
Aufbegehrens und der Freiheit sammelt. Zu unpolitisch, laute¬
te bei Erscheinen das Urteil. Denn immerhin befand man sich
mitten im Algerienkrieg.
Exkurs: Paris Juli 1961: Auf einem breiten etwas dunklen
Boulevard holt mich ein schmächtiger junger Nordafrikaner
ein. Schüchtern versucht er, ein Gespräch anzubahnen. Plötz¬
lich eine Polizeikette: Ausweiskontrolle. Der Junge beginnt
wie Espenlaub zu zittern. Seine Papiere werden überprüft, man
führt ihn in eine Nebenstraße. Ich werde anstandslos durchge¬
lassen. Erst später begreife ich die Zusammenhänge: der Auf¬
stand in Algerien macht auch im Heimatland Frankreich jeden
Algerier zum potentiellen Terroristen. Wenige Wochen später
wird in Paris ein Massaker an rund 200 algerischen Gastarbei¬
tern stattfinden, viele werden erschossen, andere fischt man er¬
trunken aus der Seine.
Als Assia Djebar nach der Heirat ihrem Mann nach Tunis
folgt, schreibt sie dort für die Presse der algerischen Befrei¬
ungsfront, studiert und arbeitet an der Hochschule. 1959 ist sie
Universitätsassistentin in Marokko. Ihr dritter Roman er¬
scheint 1960. In der Aufbruchstimmung der algerischen Be¬
freiung wird sie 1962 als Lektorin nach Algier berufen. Es fol¬
gen Jahre zwischen Algier und Paris, Theaterarbeit, histori¬
sche Forschungen, ein erster Film für das algerische Fernsehen
über die Frauen ihres Stammes mütterlicherseits. Ab 1980 lebt
Assia Djebar meist in Paris. Ein weiterer Film entsteht (La
Zerda, das Fest), der auf der Berlinale gezeigt wird.
„Die Frauen von Algier“, eine Novellensammlung er¬
scheint (1980, deutsch 1994): Der Maler Delacroix war 1832
ausnahmsweise von einem eingeborenen Beamten in dessen
Haus und in die Frauengemächer mitgenommen worden, um
Skizzen anzufertigen. Ausgehend von seinem Bild „Frauen
von Algier in ihrem Gemach“ lenkt Assia Djebar die Aufmerk¬
samkeit auf die harte Realität der Geschlechterverhältnisse, zu
den „Frauenkörpern, die man einkerkert vom zehnten bis zum
vierzigsten Jahr‘, die nur von Vater, Ehemann, Bruder oder
Sohn gesehen werden, niemals von einem Fremden. Dela¬
croix’ Bild schlug sich später in zahlreichen Werken Picassos