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Magd in „Ödipus“ von Sophokles“ am
Staatstheater Berlin 1929, war gleichzeitig
auch der Endpunkt ihrer Karriere als „bürger¬
liche“ Schauspielerin. Im selben Jahr heirate¬
te sie Brecht. Mit ihm stand sie seit 1923 an¬
fangs eher privat und zunehmend auch künst¬
lerisch in Verbindung; die Arbeit an der Ent¬
wicklung des epischen Theaters, dem sie als
Schauspielerin wichtige Impulse gab, führte
schließlich zu einer engen künstlerischen
Symbiose zwischen Schauspielerin und Dra¬
matiker. Nach erster Beschäftigung mit asia¬
tischer Darstellungskunst und verstärktem
Einsatz auf Bühnen des Arbeitertheaters
spielte Helene Weigel 1932 als Pelagea
Wlassowa in Brechts „Die Mutter“ zum er¬
stenmal eine der für sie später so markanten
Mutterrollen. Von 1930 bis 1933 trat sie nur
mehr in Brecht-Stücken auf.

Nach dem Reichstagsbrand 1933 mußten
Weigel und Brecht mit den beiden Kindern
aus Deutschland fliehen. 16 Jahre Exil in Dä¬
nemark, Schweden, Finnland und den USA
folgten. Die Tätigkeiten der Weigel reduzier¬
ten sich während dieser Zeit auf die der Mut¬
ter, Hausfrau und Gastgeberin. „Ich habe viel
zu tun, das heißt, keine wirkliche Arbeit, aber
Haushalt, Leute — und Dreck wegputzen.“
Vor allem 1941 bis 1947 in den USA gab es
fiir die Weigel — bis auf eine kleine Rolle in
Fred Zinnemanns Anna Seghers-Film ,,The
Seventh Cross“ nach Anna Seghers — keine
Möglichkeit, ihren Beruf auszuüben.

Das letzte Kapitel der Biographie beschäftigt
sich mit Helene Weigel als eigenwilliger In¬
tendantin des Berliner Ensembles und streit¬
barer Verwalterin des Brecht-Erbes.

Sabine Kebirs Biographie ist sehr ausführlich
und genau recherchiert. Kebir nimmt Bezug
auf das komplizierte Zusammenleben mit
Brecht, skizziert die pragmatische Lebenshal¬
tung der Weigel und vermittelt auch eine Ah¬
nung vom Humor, von der Lebendigkeit,
Schlagfertigkeit, Unerschrockenheit und
Herzlichkeit dieser Frau. Das Bild, das sie von
Helene Weigel erstehen läßt, ist facettenreich,
bleibt aber trotzdem verschwommen. Als
Kennerin Brechts und seines kreativen Um¬
felds, der „Weibergschichten“, verfügt Kebir
über umfangreiches Detailwissen, mit dem
sich die Leserin und der Leser unvermittelt
konfrontiert sehen: ‚... Im übrigen gibt es viele
Hinweise darauf, daß die sexuelle Bindung
von Weigel/Brecht — im Gegensatz zu Beau¬
voir/Sartre — lebenslang erhalten blieb ...‘“ Stö¬
render als der Plauderton ist die allzuoft kom¬
mentierende Schreibweise, die vor allem den
Abschnitten über das Berliner Ensemble und
die letzten Jahre der Helene Weigel vor dem
Hintergrund einer erstarrenden DDR-Kultur¬
politik nicht gut tut. Störend der Drang, alle
Widersprüche der Person Weigels erklären
oder verklären zu wollen. Über Helene Wei¬
gels Verhältnis zu ihrer Heimatstadt Wien
wiederum würde man gerne mehr erfahren, in
einem Brief an Berthold Viertel, so eine An¬
merkung, bezeichnete sie Wien 1952 als „Sau¬
nest“- in welchem Zusammenhang wird nicht
mitgeteilt. Auf die laut Klappentext „bisher

kaum bekannten Prägungen“, die Helene Wei¬
gel durch die kosmopolitisch und aufkläre¬
risch bestimmte Erziehung der Schwarz¬
wald-Schule erfahren hat, geht die Autorin im
Text eher zwischen den Zeilen ein, in den Fu߬
noten läßt sich dieser Faden nur sehr umständ¬
lich verfolgen. Es liegt an den LeserInnen, den
Blick auf Helene Weigel scharf zu stellen. Da¬
zu bietet die Biographie von Sabine Kebir mit
einer Fülle von Quellenangaben, Querverwei¬
sen und Sekundärliteratur einen guten Aus¬
gangspunkt.

Eugenie Kain

Sabine Kebir: Abstieg in den Ruhm. Helene
Weigel. Eine Biographie. Berlin: Aufbau¬
Verlag 2000. 422 S., 28 Abbildungen.
OS 336,-/DM 46,-/SFr 44,—

Tragische Verstrickungen

Wenn Filmemacher Romane zu schreiben
beginnen, ist meist Skepsis angesagt. Das
Buch des russischen Regisseurs und Dreh¬
buchautors Alexander Askoldow, der mit sei¬
nem Spielfilm „Die Kommissarin“ in den
achtziger Jahren Furore gemacht hat, lohnt
aber in jedem Fall die Lektüre.

„Heimkehr nach Jerusalem“ — so der nicht
ganz glücklich gewählte und allzu program¬
matische Titel des Romans — nimmt auf Jeru¬
salem nur symbolisch bezug, denn das eigent¬
liche Thema ist die Geschichte des russischen
Judentums zur Zeit der Stalindiktatur. Haupt¬
figur des Buches ist Solomon, Starschauspie¬
ler und begnadeter Komiker am Jüdischen
Theater in Moskau. Anhand seines Schicksals
beschreibt Askoldow die tragische Verstri¬
ckung vieler Juden in die Propaganda- und
Verbrechensmaschinerie des stalinschen Re¬
gimes, dessen Opfer sie schließlich selbst wer¬
den sollten. Obwohl der Autor im Vorwort be¬
tont, keine reale Biographie wiedergeben zu
wollen, wird der russische Leser in der Gestalt
des Protagonisten unschwer den legendären
jüdischen Schauspieler und Regisseur Solo¬
mon Michoels erkennen, der nicht nur auf der
Bühne brillierte, sondern sich während und
nach dem Krieg verstärkt für die Belange der
sowjetischen Juden einsetzte und zeitweise so¬
gar als deren „geheimer Führer“ galt. Seine
von Stalin angeordnete Ermordung im Jahre
1948 war der Auftakt zu schweren Judenver¬
folgungen in der Sowjetunion — den schlimm¬
sten nach dem Holocaust —, die Tausenden das
Leben kosteten und erst mit dem Tod des Dik¬
tators 1953 endeten.

Im wesentlichen hält sich Askoldow an die
wichtigsten Stationen von Michoels Biogra¬
phie: In den dreißiger Jahren ist Solomon der
gefeierte Künstler und Bonvivant, ein gehor¬
samer Diener und Handlanger der Macht, der
vor dem Terror die Augen verschließt und die
Verfolgung und Verhaftung von Freunden
und Kollegen genauso hinnimmt wie die Er¬
mordung seiner Geliebten durch den Ge¬
heimdienst. Während des Krieges schickt

Stalin den berühmten Schauspieler nach
Amerika, um von den einflußreichen jüdi¬
schen Gemeinden der USA finanzielle Un¬
terstützung für den Kampf gegen den Fa¬
schismus zu erbitten. Im Mai 1945 wird So¬
lomon mit der Inszenierung der Siegesparade
auf dem Roten Platz betraut - eine seiner
größten Leistungen als Regisseur.
„Solomon lebt nicht einfach“, schreibt Askold¬
ow, „errennt und reißt sich im Laufen große Stü¬
cke vom Leben ab.“ Vielleicht auch, weil er
„Vorahnungen“ hat und deshalb die wenige Zeit,
die ihm bleibt, optimal zu nutzen versteht. Sein
kleines Theater, nach dem Krieg das einzige, in
dem noch auf Jiddisch gespielt wird, kann er je¬
doch nicht retten. Während der als „Antizionis¬
mus“ getarnten Judenhetze Ende der vierziger
Jahre kommt es zur gespenstischen letzten In¬
szenierung von Scholom Alejchems „Hochzeit“
vor leeren Rängen. Kein Jude traut sich mehr ins
Jüdische Theater zu gehen.
Askoldow bedient sich einer kraftvollen und
metaphernreichen Sprache, mit der es ihm
gelingt, die beklemmende Atmosphäre von
Angst und Verrat authentisch wiederzugeben
und die zahlreichen, sehr unterschiedlichen
Figuren seines Buches glaubwürdig zu cha¬
rakterisieren. Man nimmt ihm den „Mann
mit dem Kneifer“ (Geheimdienstchef Beria)
genauso ab wie Stalin und andere sowjeti¬
sche Würdenträger, die Bewohner einer
ukrainischen Kleinstadt, einfache Soldaten,
Schauspieler oder den jüdischen Geheim¬
dienstoffizier Margulis, der vermeintliche
„Jüdische Verschwörer“ entlarvt und sich
schließlich das Leben nimmt.
Die größte Kraft entwickelt das Buch im letz¬
ten Drittel. Hier verwandelt der Autor die tra¬
gischsten Momente russisch-jüdischer Ge¬
schichte in poetische, oft surreale, manchmal
alptraumartige Bilder. Verhörszenen im be¬
rüchtigten Moskauer Gefängnis Lubjanka
und Szenen von der Ermordung russischer
Juden durch die Nazis wechseln mit Solo¬
mons Phantasien, mit Liebesszenen oder
Rückblenden in das Städtlleben der Jahrhun¬
dertwende ab. Daß das Ganze dabei passa¬
genweise an ein Drehbuch erinnert, ist kein
Zufall, heißt doch der Untertitel des Buches
im russischen Original: „Eine Kinogeschich¬
te von zwanzig Jahren Länge.“
Die Elite des russischen Judentums — Schau¬
spieler, Schriftsteller, Wissenschaftler, Ärzte
wird von Stalins Schergen des kollektiven
Landesverrats bezichtigt. Jene, die noch nicht
in Haft sind, werden gezwungen, öffentliche
Erklärungen abzugeben: „Man soll uns nach
Sibirien umsiedeln!“ fordern sie. „Dort wer¬
den wir unsere Schuld abbüßen!“ Und der Un¬
tersuchungsführer, der russische Bauernsohn
Fomuschkin, einst Solomons Saufkumpan
und nun eine Art ,,Judenreferent“ der Geheim¬
polizei, flucht, nachdem er seine Opfer verhört
und gefoltert hat, auf Jiddisch.

Vladimir Vertlib

Alexander Askoldow: Heimkehr nach Jerusa¬

lem. Roman. Aus dem Russischen von Antje
Leetz. Berlin: Verlag Volk und Welt 1999. 231 S.

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