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Was bedeutet es, in der Fremde zu schreiben.

Um diese Frage zu beantworten, müssen einige offensicht¬
liche, logische und sehr einfache Bedingungen erfüllt werden.
Aber nicht alles, was für den Verstand einfach ist, ist auch ein¬
fach für den Körper.

Also, um in der Fremde schreiben zu können, muss man in
der Fremde leben. Eine logische, für den Verstand sehr einfa¬
che Bedingung. Um in der Fremde leben zu können, muss man
aber zuerst in die Fremde gelangen. Eine genau so logische,
aber für den Körper sehr anstrengende Bedingung. (Von die¬
ser Analyse ausgeschlossen sind natürlich all jene, die im Besitz
des, von Brodski in seinen Dostojewski-Analysen so genann¬
ten, fünften Elements sind, also des Geldes. Für sie spielen geo¬
graphische Bedingungen, Entfernungen und Grenzen keine be¬
deutende Rolle. Sie gehen mit Raum und Zeit ganz anders um.)

Um in der Fremde zu schreiben, muss man also zuerst mit
vielen Menschenschmugglern verhandeln und die richtigen
wählen. Wenn es beim ersten Mal nicht klappt, entwickelt man
zumindest ein gutes Gespür für Menschen, Situationen und
Währungen. Oder man verzichtet auf die Schmuggler und geht
eigene Wege. Das ergibt dann Folgendes.

Um in der Fremde zu schreiben, muss man über Grenzzäune
springen oder darunter durchkriechen, egal ob es schneit oder
regnet, man muss schneller als die Grenzpolizisten zweier Län¬
der sein, in manchen Fällen ist auch Schwimmpraxis erfor¬
derlich; und man sollte in dunklen, unbekannten Wäldern auf
keinen Fall die Orientierung verlieren, am Besten habe man ei¬
nen Kompass bei sich und vertraue nicht so sehr der Intuition,
oder den Schulgeographiekenntnissen, denn wie könnte es in
der Fremde auch anders sein, auch ihre Wälder, Felsen und
Flüsse sind fremd. Ist man nun endlich in der Fremde, muss
man den kürzesten Weg zum Lager finden, denn es mag sein,
dass es nicht einfach ist, in die Fremde zu gelangen, aber noch
schwieriger ist es, in der Tremde zu bleiben. Weil die Fremde
eine Eigenschaft hat, die seltsamer Weise von den meisten
Fremde-Analytikern nicht sehr beachtet, gar übersehen wird.
Dabei ist sie ihre grundlegendste, ihre charakteristischste
Eigenschaft überhaupt. Die Fremde kann dich abschieben. Was
in der Heimat die Verbannung ist, ist in der Fremde die
Abschiebung. Nur dass man viel leichter abgeschoben als ver¬
bannt werden kann. Kurz und einfach gesagt, ist die eigentli¬
che Fremde jener Ort, von wo man jederzeit abgeschoben wer¬
den kann. (Wie man sich fühlt oder was man getan hat, ist nur
sekundär, es reicht zum Beispiel, wenn man nicht in eine Quote
fällt.)

Also, um in der Fremde schreiben zu können, muss man zu¬
erst durchs Lager, man muss in Zimmern mit 20 oder mehr, sel¬
ten weniger Betten übernachten und die heimatliche Unter¬
wäsche (oft sind das nicht mehr als zwei Unterhosen) so lan¬
ge tragen, bis man Arbeit beziehungsweise Geld gefunden hat.
Leider ist der Großteil der Menschheit auf der Suche nach ei¬
nem von beiden. Nur dass für einen Flüchtling das eine genauso
absolut ist wie das andere.

Um in der Fremde zu schreiben, sollte man weiters in Parks,
unter Brücken, in abgestellten Zügen oder in öffentlichen Toi¬
letten, zwischen Ratten, Vögeln und Menschen übernachten
können, und trotzdem Arbeit finden.

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Man sollte also bedingungslos bereit sein zu schaufeln, zu sä¬
gen, zu schneiden, zu schieben, zu schweißen, zu streichen, zu
schwitzen, zu servieren, zu meißeln, zu heben, zu tragen, zu kle¬
ben, zu malen, zu putzen, zu bauen, zu klettern, zu fahren, zu
räumen, zu pumpen, zu bohren, zu hämmern, zu kochen, zu wa¬
schen und vor allem zu suchen und zu fragen.

In der Fremde zu schreiben, bedeutet zu schreiben, nachdem
man zehn Stunden gearbeitet oder acht Stunden Arbeit gesucht
hat.

In der Fremde zu schreiben bedeutet oft, ohne Familie, oh¬
ne Verwandte, ohne Freunde, ohne Heim, ohne Halt, ohne Pa¬
piere, ohne Meldezettel, ohne Arbeits- und ohne Aufenthalts¬
bewilligung zu schreiben. Es bedeutet, auch dann zu schreiben,
wenn man keine Bestätigung seiner Existenz hat.

In der Fremde zu schreiben bedeutet, denselben Himmel,
dieselbe Sonne, dieselben Sterne, denselben Mond wie die Ein¬
heimischen anzuschauen, dieselbe Luft wie sie einzuatmen, der¬
selben Natur, aber nicht denselben Landesgesetzen unterwor¬
fen zu sein.

Und was für den Arbeitsmarkt gilt, gilt auch im Bereich der
Literatur. Wieso auch nicht? Auch Literatur ist Arbeit. Also sind