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die meisten Literaturstipendien, genau wie die Arbeitsplätze, an die Staatsbürgerschaft gekoppelt. Die Herkunft des Autors ist wichtiger als seine Sprache. So tut man sich auch leichter bei den Entscheidungen. Die Frage, woher man kommt, ist viel leichter zu beantworten als die Frage, wer man ist, oder die Frage, wohin man geht, geschweige denn, wie gut man schreibt. Es ist ein langer Weg, bis man in die Fremde gelangt, aber ein noch längerer ist der Weg der Hand bis zur Feder. Sollte man aber auch diesen gehen und das erste Wort niederschreiben und danach das nächste, bis das Blatt genauso schwarz wie weiß ist, sollte man also eines Tages doch in der Fremde weiterschreiben, oder auch erst damit beginnen, dann hat man das begriffen, was jeder Autor irgendwann erfährt, nämlich, dass das Wort ihm Heimat ist. Dimitre Dinev, geb. 1968 in Plovdiv (Bulgarien), lebt seit 1990 in Wien, studierte Philosophie, Ethnologie und Slawistik in Wien. Verfasser des Theaterstücks „Russenhuhn“ (1999); Preis des Literaturwettbewerbs „schreiben zwischen den kulturen“ 2000. Bücher: Die Inschrift (Erzählungen, Wien 2000); Engelszungen (Roman, Wien 2003). — Der vorliegende Text wurde erstmals publiziert in „Der Standard“ (Wien), 24./25.1. 2004. Die Sprache gehört dorthin, wo die Angst der Welt hinführt. Hinter einer Sprache, autonom, unverwechselbar und unergründlich, wie sie ist, steht immer das Subjekt, das auf andere Subjekte hindeutet. Vokale, Konsonanten, Wörter und Sätze, die das Subjekt — seiner Geworfenheit gemäß — miteinander verbindet, sprechen zu uns von der Welt, die in dem gleichen Augenblick geschaffen wird. Die Sprache hat keinen Selbstwert. Auch nicht innerhalb der Nationalstaaten und ihres Verständnisses von Kultur. In der Zeit meiner ersten Gehversuche in deutscher Sprache klagten manche Menschen, mit denen ich sprechen konnte, über die Schwierigkeit der Integration. Sie, sehr überzeugt von sich, versuchten uns, den in der Sprache Ohnmächtigen, Sprachmächtigkeit zu verleihen. Dafür bezogen sie auch Gehalt. Die Fortsetzung der Tradition spielte dabei ebenso eine Rolle wie die emanzipatorische Absicht. Jemanden zu ermächtigen, bedeutet unter anderem eben auch den Versuch, den Grundkonsens zu erweitern, den Grundkonsens der Beteiligung an dem, was Gesellschaft genannt wird. Zumindest der Intention nach handelte es sich um ein fortschrittliches Denken. Es gab irgendwo eine Instanz, die die Kriterien dafür vorgab, was als Sprache zu gelten habe und welche Rechte dem/der BesitzerIn dieser Fähigkeit zukämen und dergleichen. Diese Instanz drückte sich durch sie aus, sie, die nie wir wurden; auch darum, weil dieses Wir immer unbestimmbar blieb. Das Wir (zwischendurch auch Ich) konnte trotz dieses Aufrufs (zur Eingliederung) nie sie werden. Denn sie und die Regeln, die sie uns beizubringen versuchten, waren gewissermaßen die Bedingungen der Sprache selbst. Ihre Werte der Toleranz waren immer damit verbunden, dass nur sie tolerieren konnten. Wir hingegen waren uns nie sicher, ob wir die Selbstobjektivierung, das andauernde Sprechen über uns selbst, jemals überwinden würden. Die Spuren dieser Arbeit sind sicher bis heute in unserer Sprache zu finden. Die Welt bestand aus verschiedenen Sprachen, und wir waren gerade dabei, die eine zu erlernen. Die Sprache entwickelt sich nicht unabhängig von der Geschichte und von den gesellschaftlichen Veränderungen. Und sie kann auch keinem linearen, voraussehbaren Lauf folgen. Die Sprache gehört — trotz allen Einkerkerungsversuchen — niemandem. Positiv formuliert: Die Sprache gehört allen. Wahrlich eine schwer verständliche Idee, wenn wir den Standpunkt der nationalstaatlichen ModellbauerInnen einnehmen. Die Sprache ist ein Vorgriff auf die Strukturierung des Gemeinsamen. Das Unbekannte in ihr fügt sich nie vollständig in einen Kanon. Insofern sind die LehrerInnen die ersten, derer wir uns entledigen müssen, wenn es zu einer Kommunikation kommen soll. Die Sprache hält sich nie an den Arbeitsplatz; ihr Erlernen (oder ihre Verweigerung) beinhaltet ein Stück Rebellion. Im Fall der MigrantInnen bedeutet diese Rebellion Verwurzelung, also Radikalisierung. Und welchen Sinn hat es überhaupt, über die Genealogie der Sprache zu theoretisieren? Wenn wir nachvollziehen können, wer und warum er spricht, wozu sprechen wir dann weiter? Im gesellschaftlichen Geflecht gibt es immer ein Vorwärts, aber das Zurück kann dabei manchmal bestimmend sein. Die Sprache hält sich nicht an die Programme, weil es trotz aller Bemühungen noch keine gibt, die für alle gelten. Die Sprache ist die einzige egalitäre Ebene, die wir kennen. Ich rede hier nicht von ihren kontrollierten Anwendungen, ich spreche von der Sprache als einem Haus der Gleichheit für alle. Sie fruchtet eben auch dort, wo die Versuche, Sprachlosigkeit zu pflegen, zur Alltagspraxis der Herrschaft gehören. Die Sprache und ihre Artikulation, egal wie verborgen sie ist, ist ein Ort der Erweiterung des bestehenden participation (Teilnahme), ein ständiges Streben nach Gleichheit. Wem die Sprache gehört, weiß niemand. Eine allgemeine Theorie scheint mir, trotz all der Versuche, nicht möglich. Wir müssen also das Feld einschränken. Ich kann versuchen, etwas über die Sprache zu sagen, die ich anwende, jede(r) Sprechende kann solchermaßen Rechenschaft ablegen. Worauf es ankommt, sind die potenzialitätserweiternden Momente des Sprechens und nicht dessen theoretische Umhüllung. Ich weiß: Je mehr sich einer beim Schreiben um Konsequenz bemüht, umso weniger bleibt er unberührt von der Folgenlosigkeit des Geschriebenen. Wollten die MigrantInnen nicht ihre Sprache verteidigen? Die linksliberalen intellektuellen Deutungen dieser Versuche, Souveränität in Anspruch zu nehmen, sind uns bis heute in Erinnerung geblieben. Es gibt Kulturen und in diesen Kulturen Identitäten, die sich, wenn es zur Verunsicherung der Kulturen kommt, widerspenstig zueinander verhalten. Weil man Angst hat. Aus der Angst entsteht Feindseligkeit. Um die Feindseligkeit zu vermindern, müssen die Menschen Angst vermindern, indem sie zur Toleranz aufgerufen werden. Das und nur das ist 39