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Im Laken war Schweiss von der Liebe, die er ihr abverlangt hat¬
te. Die sie ihm gegeben hatte, als Willkommensgeschenk, wenn
er schon zweitausend Kilometer auf sich genommen hatte. Also
hatte auch sie ihn auf sich genommen und später von sich ge¬
stossen, auf die andere Seite des Bettes. Seine Last zu ertragen
war eine Art Schulden begleichen, denn auch er würde ihre Last
ertragen müssen, dort, wo er sie hinbrachte. Sie würde dann täg¬
lich oder wöchentlich ihre Schuld abtragen, und sie würde es
gut tun, wenn es sein musste.

In diesem Land hiess man Menschen mit Brot und Salz will¬
kommen, Brot aus einem frischen Brotlaib gerissen und in Salz
getunkt. Aber nach 1990 hatten sich die Sitten geändert, man
hiess Menschen auch mit dem eigenen Körper willkommen,
insbesondere wenn er noch jung und glatt war und der Gast aus
dem erträumten Land.

Dieser Gast hier, neben ihr, war mehr als nur erträumt, er
kam aus einem fernen Land, eine Fata Morgana von einem
Land. Niemals hätte sie es sich vorgestellt, dass sich eine Fata
Morgana greifen lässt. Nicht als Hure, Aushilfe, Asylsuchende
sondern honorabel und aufrecht, als Frau Landknecht, Ehefrau
eines waschechten Schweizers. Waschechter wäre nicht mög¬
lich gewesen. Sogar sein Pass glänzte, in ein paar Jahren wür¬
de es auch ihr Pass sein und sie würde ihn sichtbar tragen, zu¬
vorderst an die Windschutzscheibe halten, wenn sie, ein-, zwei¬
mal im Jahr zurückkehrten, um nach den Eltern zu schauen,
dem Bruder und nach all jenen, denen nur ein einziger Fehler
anhaftete: die Aussichtslosigkeit des ihnen möglichen Lebens.

Wenn man jung war wie sie, zählte die Aussichtslosigkeit
mehr als die Armut, denn an der Armut konnte man sich auf¬
richten, man konnte darüber lachen oder fluchen, man konnte
sie überwinden, wenn nicht gleich, dann bald. Aber sie war im¬
merhin da, die andere Aussicht, täglich konnte man etwas an¬
deres werden, die Menschen im Fernsehen machten es vor und
jene in den Limousinen, die durch ihre Stadt fuhren Richtung
Bukarest und nicht anhielten. Denn um anzuhalten, braucht man
Gründe, und ihre Stadt war arm an Gründen.

Man konnte nicht sagen, dass die Gründe abhanden ge¬
kommen waren. Turnu Severin, die Stadt ihrer Kindheit, war
nie bedeutender als heute, nie hatte es sich gelohnt zu verwei¬
len, ausser man hatte etwas mit dem Schiffbau zu tun, mit dem
Wasserwerk und dadurch mit der Donau. Die Donau floss jen¬
seits der Stadt und jenseits der Donau war Jugoslawien gewe¬
sen und jenseits von Jugoslawien die freie Welt. Also hatten vie¬
le riskiert hinüberzuschwimmen, doch nur wenige hatten es ge¬
schafft.

Sie waren nachts ins bräunliche Wasser gesprungen, aber sie
wurden zurückgeschwemmt, mit angeschwollenen Lungen und
aufgedunsenen Gesichtern. Wie Puppen, die niemals einen
Wunsch gehabt hatten, einen Wunsch und einen Willen: den
Willen zu leben.

Im Laken war sein Schweiss und in ihrem Ohr sein Atmen.
Im Türspalt war das Fernsehflimmern aus dem Zimmer der
Eltern. Die sassen im Dunkeln und schauten den tonlosen
Bildschirm an. Sie nahmen Rücksicht auf die Liebesnacht der
Tochter und des Schwiegersohns, der seit einem Jahr ein
Schwiegersohn im Geiste war, aber in einigen Tagen ein wasch¬
echter Schwiegersohn werden würde. So waschecht wie der

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Pass, den er in einer speziellen Hülle in der Brusttasche auf¬
bewahrte, als ob er Angst hatte, dass der Regen das Rot des
Hintergrunds auflösen und dieses über das Weiss des Kreuzes
fliessen würde.

Doch die Schweizer waren gründlich, da löste sich nichts
auf, da fiel nichts ab, da zerbrach und zerriss nichts. Ihre Geld¬
scheine waren wie gebügelt, während die rumänischen Geld¬
scheine nach kurzer Zeit wie archäologische Fundstücke aus¬
sahen. Es hätten sich bestimmt welche gefunden, Ausländer, die
es geglaubt und dafür bezahlt hätten, wenn einer von hier dar¬
auf gekommen wäre, solchen von drüben Geldscheine zu ver¬
kaufen.

Und es hatte sich einer gefunden. Noras Bruder hatte früher,
als halbes Kind noch, unten am Fluss, an der Durchgangsstrasse
nach Bukarest auf Ausländer gewartet und ihnen zerfetzte, ver¬
schmutzte Geldscheine gegen harte Währung angeboten. Zu¬
erst war es ein deutsches Paar gewesen. „Für die Sammlung“,
hatten sie gesagt, die Augen hatten geglänzt und sie waren mit
den Scheinen in der Hand zufrieden gewesen, während Nicu zu¬
frieden war, sie los zu haben. „For the collection“, wiederhol¬
ten sie, damit er auch verstand. Er lief später nach Hause und
rief ständig vor sich hin „For the collection“, und im Hof hat¬
te er weiter gerufen und beim Essen auch, bis der Vater ihn ta¬
delte, weil er die armen Ausländer ausgenommen hatte. Als er
aber die sauberen Scheine aus dem Westen sah, änderte er sei¬
ne Meinung. Er schloss das Küchenfenster und verbot Nicu, mit
anderen darüber zu reden, damit ihnen keiner das schöne Ge¬
schäft vermasselte.

„Vielleicht macht mein Sohn aus unseren nutzlosen
Millionen ihre D-Mark Millionen“, sagte er und sie lachten al¬
le und strichen Nicu über den Kopf. Seitdem gab der Vater Nicu
monatlich etwas Geld, damit er es wundersam vermehrte. Die
Vermehrung jedoch hielt sich in Grenzen, nach vier Monaten
kam die Polizei dahinter und sie brachte Nicu nach Hause und
tadelte den Vater, weil er ein schlechter Patriot war, der das Geld
des Landes zum Verkauf anbot. Der Vater aber bestritt ein
schlechter Patriot zu sein und gab Nicu noch vor der Tür
Kopfnüsse, weil er sein Land nicht liebte und das Geld des
Landes verkaufte. Kaum waren die Polizisten weg, umarmte er
hinter der Tür den weinenden Sohn und wischte dessen Tränen
weg. „Das Geschäft ging sowieso nicht gut. Wir müssen uns
nach einer anderen Quelle umsehen.“

Am Abend waren sie alle um den Küchentisch versammelt
und der Vater gab dem Bruder wieder eine Kopfnuss, um zu ver¬
anschaulichen, wie er vor den Polizisten den Sohn bestraft hat¬
te, doch dieser fing wieder zu weinen an, weil er nicht verstand,
wieso es der Vater so deutlich veranschaulichte. Sie trösteten
ihn, streichelten ihm die Wangen und küssten ihn, bis er zu¬
frieden aufhörte. Er war zehn und durfte an jenem Abend so viel
Pflaumenkuchen essen, wie er wollte, was er auch tat, den Rotz
in die Nase zurückziehend.

Danach hatte der Vater geraucht und die Zigarette im Teller
ausgedrückt, neben der fettigen Wurst aus Fleischabfällen. Es
waren die Abfälle, die in Reichweite ihrer Geldbörse waren,
denn die Westprodukte waren ausser Reichweite, sogar wenn
sie essbar gewesen wären. Denn aus der Gegend in die Nora
jetzt reisen würde, kamen Anfang der Neunziger nur Nivea¬