OCR Output

es ihr sehr schlecht, und sie spielte mit Isja nicht mehr. Isja be¬
wahrte sein Essen für sie auf, aber sie wollte nicht essen, schau¬
te ihn nur traurig an und hustete, in eine Decke gewickelt. Im
Zug war ein Arzt, der Ljolja untersuchte. Er stellte eine Lun¬
genentzündung fest. In der nächsten Station wies er sie in ein
Krankenhaus ein.

Ljolja und ihre Mutter wurden vom Spital eines kleinen
Ortes in Usbekistan aufgenommen. Isja wohnte bei einer Ärz¬
tin, gleich neben dem Krankenhaus. Ljolja kam in ein Zimmer
mit Masernkranken. Sie steckte sich an. Bald darauf starb sie.

Isja sieht den kleinen Sarg noch vor sich. Ljolja war in ihr
schönstes Kleid gehüllt. Es war grün, mit weißem Blumen¬
muster. Isja stand allein neben dem Sarg. Die Mutter war vor
Schmerz selbst krank geworden und lag besinnungslos im
Krankenhaus. Dann kam ein Usbeke, nagelte den kleinen Sarg
zu, hob ihn auf die Schulter und trug ihn davon. Isja lief hin¬
terher, rief nach Ljolja und weinte so bitter wie noch nie.

Irgendwo in der Weite Mittelasiens verschwand dein Gräb¬
chen, Schwesterchen Ljolja.

Auszug aus dem Buchmanuskript „Isja, ein Kind des Krieges“,
das Isaak Malakh in Wien schrieb. Aus dem Russischen über¬
setzt vom Autor und seiner Tochter Emilia Malakh; deutsche
Bearbeitung von Konstantin Kaiser und Vladimir Vertlib.

Isaak Malakh, geboren 1936 in Tschudnow (Wolynien/
Ukraine), besuchte die polytechnische Hochschule in Lvov
(Lemberg), wo er dann 35 Jahre als Diplomingenieur tätig war.
Während seine Mutter Bella, geborene Greusser, nun in Netan¬
ya (Israel) lebt, wohnt Isaak Malakh mit seiner Frau, einem
Sohn und einer Tochter seit 1992 in Wien. Zwei weitere Kinder
leben in den USA. Malakh arbeitete zuletzt im Jüdischen
Museum der Stadt Wien.

„Leopoldstädter Kulturtage“

vom 10.-12. September 2004, veranstaltet von den Vereinen
„Kunstplatzl“ und „Loser Kulturverein“ unter dem Ehrenschutz
der Schriftstellerin Elfriede Jelinek, im Theater im Prater in der
Jreizone, 1020 Wien, Ausstellungsstraße (Venediger Au); die
Erträge fließen dem Integrationshaus zu.

Für die Theodor Kramer Gesellschaft beteiligen sich, alle un¬
entgeltlich, mit einer Lesung: Ilse Aschner, Siglinde Bolbecher,
Konstantin Kaiser, Robert Schindel und Otto Tausig. (Sonntag,
12. September, 14 Uhr 30). Weitere Höhepunkte:

Freitag, 10.9., 19 Uhr, Eröffnung und Konzert von 5 Musikern
aus 5 Kulturen.

Samstag, 11.9., 13-22 Uhr: Erstes Wiener Lesetheater mit Texten
von Elfriede Jelinek, Musik von Andr& Blau, Musik und G’stan¬
zeln von Nestroy bis Stolz, dargeboten vom Loser Kulturverein.
Sonntag, 12.9., ab 11 Uhr: Workshop des Vereins Kunstplatzl
(Tuschbilder), 16 Uhr 30 Kabarett mit Robert Mohor, 19 Uhr:
Abschlußveranstaltung — Beatrix Neundlinger mit Band.

Die Kulturtage werden organisiert von Sonja Frank. „Meine
Motivation“, schreibt sie, „eine Benefizveranstaltung zugunsten
des Integrationshauses zu organisieren, ist aus dem Wunsch ent¬
standen, Flüchtlingen zu helfen, die in einer ähnlichen Situation
sind, wie es meine Großeltern waren. Hätte es nicht Länder wie

Gedichte Malakhs erschienen in MdZ Nr. 3/1999, 19-20;
Gedichte schreibt Malakh seit seiner Kindheit. Malakh veröf¬
Fentlichte u.a. in russischer Sprache: Der Weg nach Auschwitz
(Essay, 1968); Warschauer Melodien (Gedichte, 1969). Ma¬
lakhs literarisches Archiv ging bei seiner Auswanderung aus
der Sowjetunion verloren. Malakh komponiert auch selber, so
eine „Neue Wiener Hymne“ und das Lied „Wir Menschen auf
Erden“. Zuletzt veröffentlichte er Essays und Gedichte in den
russisch-jüdischen Zeitschriften „Lechaim“ (Moskau), „Iswest¬
Ja“ (Netanya), in dem russischen „Novij Vienski Journal“ (Neu¬
es Wiener Magazin) und in ZW.

England und andere Gastländer gegeben, wären sie nicht mehr am
Leben. Die jetzige Regierung tut zu wenig, und dem Integrations¬
haus fehlen 65.000 Euro.“

Verstreutes

Weinviertel. — Die Bouteillen sind abgefüllt mit dem ergiebigen
Rotwein des Jahres 2003, der Sommer wird verglühen und die
Kellergassen feiern ihre Feste als kulinarische Gesamtkunstwerke.
So in Haugsdorf, wo „gehaltvolle Rotweine auf zarte Pinselstriche
und fruchtige Weißweine auf satte Jazzklänge treffen“. Die
Pinselstriche stammen von dem durch sein Orgien-Mysterien¬
Theater und seine Schüttbilder bekannten Hermann Nitsch, aber
auch von anderen, weniger Bekannten. Im Preßhaus lesen am 21.
und 22. August vier männliche Dichter bei freiem Eintritt. Wein,
Mann und Gesang. Noch hoppelt also die Literatur ein wenig mit.
Ob sie sich in einer Kultur, in der Minister und Weine präsentiert
werden, auf Dauer wird halten können, ist ungewiß. Das durch
schnöde Kommerzialisierung aus dem Antlitz der österreichischen
Briefmarke vertriebene Neobarock drängt zur Entscheidung.
Erich Pello, einer der dichtenden Männer, hat die Lage erkannt.
„Vom Wesen des Weins“, kündigt er an, soll in seiner Lesung die
Rede sein. Näheres: www.kunstundwein.at

57