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der Schmetterling, den es zu fassen gilt, ist das Lexikon das Netz, in das er vielleicht geht. Das Netz muß weiter sein als der Schmetterling. Ich meine nur: Mit der verkürzenden Berufung auf Zohns Konzept wurde leider das weitere Nachdenken darüber, was man tut, indem man AutorInnen als jüdisch auflistet, abgeblockt. Die Reflexion ist gewissermaßen aus dem öffentlichen Bereich des Lexikons und der in es eingegangenen Grundlagenforschung in die Privatheit der Benutzerin oder des Benutzers des Lexikons delegiert. Daß das Projektarchiv von Seiten der Österreichischen Nationalbibliothek nach seinem vorläufigen Abschluß zwar zugänglich gehalten, aber nicht weiter betreut wird, verstärkt noch den Eindruck des Passageren, der zeitlich begrenzten Übung. (Diese Bemerkung gilt den institutionellen Rahmenbedingungen, nicht den ProjektmitarbeiterInnen, von deren Engagement ich tiberzeugt bin.) Im Rahmen des Forschungsprojekts wurden zu vielen Einträgen umfangreiche Dossiers gesammelt und ausführliche Bibliographien zusammengestellt, Korrespondenzen geführt, Fragebögen ausgeschickt, Interviews gegeben. Doch die Endfassung entstand unter enormem Zeitdruck. Aus Platzmangel mußten gerade die bibliographischen Angaben ungedruckt bleiben, und der Übergang von der Datenbank zu dem der Druckausgabe zugrundeliegenden Text dürfte auch nicht reibungslos verlaufen sein. So erwecken manche Kurzbiographien den Eindruck, Ergebnis einer „Rasterfahndung“ durch verschiedenste Nachschlagwerke zu sein; d.h. eine Aufzählung einzelner Fakten ohne wirklichen Zusammenhang. In vielen Fällen scheint dies unter den gegebenen Umständen (limitierte Zeit, zu wenige MitarbeiterInnen) unvermeidlich; im Verhältnis zu dem, was man in diversen, mit großen Geldmitteln aufgezogenen Verzeichnissen wie AEIOU mitunter an Unverstandenem und Lieblosigkeit entdeckt, ist das vorliegende Lexikon als Titanenwerk zu schätzen. (Auf dem Gebiet der Exilforschung werden die fehlenden Mittel stets durch Überarbeitung der ForscherInnen aufgebracht; das ist in Österreich Tradition.) Die „Rasterfahndung“ führt mitunter auch zu Fehlinformationen. So wird bei Max Brod erwähnt, daß er Libretti (aus dem Tschechischen) übersetzt hat, was richtig ist, jedoch tat er das in seiner Prager Zeit und nicht als Dramaturg des Habimah-Theaters in Tel Aviv, wie man aufgrund des Eintrags annehmen muß. Zur Abgleichung der im Lexikon gebrauchten Terminologie ist es nicht mehr gekommen; so ist es möglich, einmal sogar auf derselben Seite, daß ein Autor in den 1930er Jahren nach Rußland geht, um dann in Kiew eine Wirkungsstätte zu finden, während ein Schicksalsgefährte sich praktisch zeitgleich in der Sowjetunion findet. Ähnliches bei Palästina und Israel. Große Unsicherheiten gibt es auch bei der Bezeichnung von Organisationen, denen AutorInnen angehörten; manchmal z.B. wurde die deutsche Bezeichnung nur aus englischsprachigen Quellen erschlossen. Hier fehlte eine ordnende Hand. Bei einem Werk derartigen Umfangs (jedes Wort ein Faktum) lassen sich freilich immer Fehler finden. Ich bin froh, daß es das Werk gibt, enthält es doch ungezählte Anregungen und sehr viel bisher fast Unbekanntes, und ich kann der großen Leistung meinen Respekt nicht versagen. Was mich stört, habe ich zu skizzieren versucht. Konstantin Kaiser Handbuch österreichischer AutorInnen und Autoren jüdischer Herkunft. 18. — 20. Jahrhundert. Hg. von der Österreichischen Nationalbibliothek. Redaktion: Susanne Blumesberger, Michael Doppelhofer, Gabriele Mauthe. 3 Bde. München: K.G. Saur 2002. XIII + 1818 S. Geschichtsschreibung und Literatur The Austrian „Anschluss“ Zu einer bemerkenswerten Darstellung des irischen Germanisten Eoin Bourke Eoin Bourkes Ansatz, schon im Titel ausgedrückt, mag einen Historiker möglicherweise überraschen. Klingt in der doppelten Zeugenschaft nicht ein Mißtrauen an, das den orthodoxen Methoden der Geschichtsschreibung gilt? Wer sagt uns am besten, „wie es wirklich gewesen ist“? Franz Kain (1922 — 1997), der auch im Buch zu Wort kommt, hat sich zu dieser Problematik einmal wie folgt geäußert: „Die GeschichtsWissenschaft zielt auf Aktenschrank und Zeugnistruhe der Historie, die Literatur wühlt lieber in deren ungeordneten Wäscheschränken. Der Historiker hat es auf den Überblick und Zusammenhänge abgesehen, die Literatur mehr auf das Detail und die inneren Vorgänge. Der Historiker will die Zeit selbst in ihren bewußt und unbewußt hinterlassenen Testamenten dokumentieren, der Literatur ist es mehr um das Leben in der Zeit zu tun, sie befragt lieber die Hausmeisterin als den Amtsvorstand.“ (In: Die Pflicht zum Widerstand. Festschrift Peter Kammerstätter zum 75. Geburtstag. Wien 1986). Dies korrespondiert mit dem Ausspruch von Willibald Schmidt in Theodor Fontanes „Frau Jenny Treibel“, den Bourke als Zitat an den Anfang seines Vorworts gesetzt hat: ,,Das Poetische hat immer recht; es wächst weit über das Historische hinaus ...“ Seiner These folgend, „that history-writing and literature are mutually complementary“, läßt Bourke beide ,,Forschungsgebiete“ interdisziplinär miteinander in Beziehung treten. Er stellt zeitgenössische Gedichte und erzählende Prosa in den Kontext ihrer Entstehungsbedingungen oder webt zu Texten und Erinnerungen, die nach 1945 entstanden sind, sich aber auf die Zeit zwischen 1938 und Mai 1945 beziehen, die historischen Rahmenbedingungen. So beispielsweise bei Ruth Klüger, Gerhard Bronner, Fritz Molden, Erich Fried und Stella Rotenberg; letzterer hat er übrigens sein Buch gewidmet. Seine spezifische Verknüpfungsarbeit (zum Teil mit selbst hierzulande kaum bekannten Texten und Gedichten) setzt ein mit dem Jahr 1933, mit der Auflösung des Parlaments und mit der Errichtung eines „korporativen“ Staates. Die gesellschaftliche Entwicklung in Österreich sieht er nicht isoliert, sondern skizziert auch ähnliche (autoritäre und faschistische) Tendenzen in europäischen Staaten wie Polen, Jugoslawien, Italien, Deutschland, Griechenland, Spanien. Ein Hauptaugenmerk gilt dem Verhalten der österreichischen Schriftsteller zum „Anschluß“. Das 1938 erschienene „Bekenntnisbuch österreichischer Dichter“ und die Publikation „Heimkehr ins Reich. Großdeutsche Dichtung aus Österreich und Sudetenland“ sind ja nicht nur Offenbarungen in Bezug auf vorauseilenden Gehorsam und Linientreue zum Nationalsozialismus, sondern führen auch vor Augen, wie peinlich Literatur sein kann, wenn sie sich einer politischen Macht an den Hals wirft. Der Ausgang des Plebiszits kann nicht verwundern, wenn sogar (seinerzeit) bedeutende Schriftsteller von einer irrationalen Begeisterung und religiös-pathetischen Grundstimmung erfaßt wurden, die heute kaum mehr nachvollziehbar sind. Er erinnert an die Machwerke von Max Mell, Georg Oberkofler, Ottokar Kernstock, Josef Friedrich Perkonig, Josef Weinheber, Gertrud Fussenegger etc., zitiert aber auch die Werke jener Österreicherinnen und Österreicher, die nicht einfielen in diesen Chor einer martialischen „Vorsehung“. Als Beispiel dafür sei an dieser Stelle das Gedicht „Nach dem Entscheid‘ von Wilhelm Szabo zitiert: „Wir haben die Willkür erkoren./ Wir haben die Schande bejaht./ Wir haben das Echo verschworen,/ bekräftigt Gemeinheit, Verrat.// Wir würdigten, die uns bestahlen./ Wir küßten die Hand, die uns schlug./ Wir fanden das Nein nicht zu Qualen,/ zu Unrecht und hämischem Fug.// Keine Probe ward schlechter bestanden./ Wir haben uns selbst widersagt./ Wir schmückten die Schmach mit Girlanden./ Wir jubelten, wo man beklagt.“ Mit großer Sorgfalt und mit viel Sachkenntnis hat Bourke jedoch vor allem Gedichte, Prosa und Erinnerungen von Personen zusammengetragen, die verfolgt und ins Exil getrieben, gefoltert und ermordet wurden oder die das mörderische Regime aus den verschiedensten Gründen überlebt haben. Er läßt mehr oder weniger Bekannte, die wohl jedem geläufig sind, zu Wort kommen, von Ilse Aichinger über Theodor Kramer, Jura Soyfer bis Carl Zuckmayer und Stefan Zweig, aber auch weniger geläufige Namen, die sich jeder Österreicher schön langsam merken sollte, wie Lili (Lilly) Körber (1897 — 1982), Mimi Grossberg (1905 — 1997), Ceja Stojka, Stella Rotenberg und Helene Kafka (genannt ,,Schwester Restituta“). Er zieht nicht nur Dichtung, sondern 73