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gemacht, daß sich die Christenklassen ohne die öfters ‚vorlauten‘ jüdischen Schüler, die auch gerne ‚Besserwisser‘ seien, besser entwickeln würden.‘® Ich weiß nun nicht, ob vor diesem Erlaß, also vor 1934, jüdische Schüler tatsächlich immer auf mehrere Klassenzüge aufgeteilt waren. Meine bisherigen Recherchen aber ergaben, daß im Schuljahr 1937/38 an vielen Schulen die katholischen Schüler die A-Klassen besuchten, die jüdischen und evangelischen die B-Klassen. Natürlich hing das immer auch von der Anzahl der jüdischen Schüler ab. Eine solche „Judenklasse‘ konnte schließlich nur dann eröffnet werden, wenn es in einem Jahrgang genügend jüdische Schüler gab. Umgekehrt aber existierten auch Schulen, wo nur wenige jüdische Schüler auf mehrere Parallelzüge aufgeteilt waren, manchmal waren es auch nur drei oder vier in jeweils einem Klassenzug. Offenkundig war es Sache der Direktoren, solche Entscheidungen zu treffen. Diese Unterschiede aber sind bedeutsam. Der März 1938 und die Konsequenzen für Jüdische Schülerinnen und Schüler Die Entrechtung, Ausgrenzung und Verfolgung der jüdischen Bevölkerung vollzog sich in Österreich nach 1938 nicht nur unvergleichlich schneller als im Deutschen Reich, der aufgestaute antisemitische Wahn entlud sich in der Ostmark noch weitaus ungehemmter und gleichsam eruptiv. „Eines wird nun klar“, heißt es in der New York Times im März 1938: „Während in Deutschland die ersten Opfer der Nazis die Linksparteien waren — Sozialisten und Kommunisten — sind es in Wien die Juden, die in erster Linie unter dem revolutionären Angriff der Nazis zu leiden haben. In 14 Tagen ist es gelungen, die Juden einem unendlich härteren Regime zu unterwerfen, als es in Deutschland in einem Jahr erreicht wurde. Deshalb ist die tägliche Liste von Selbstmorden so lang, denn die Juden sind schutzlos Verhaftung, Plünderung, Beraubung ihres Lebensunterhalts und der Wut des Mobs ausgesetzt.‘ Das betraf auch den Schulbereich. Schon Wochen vor dem sogenannten Anschluß konnte von einem geregelten Unterricht kaum mehr die Rede sein, so aufgeheizt war das politische Klima, das freilich andauerte: „Das große weltgeschichtliche Ereignis, der Wiedervereinigung Österreichs mit dem deutschen Vaterlande, das das ganze deutsche Volk beglückt erlebte, hat auch die deutsche Jugend zutiefst aufgewühlt. Von einer geregelten Unterrichts- und Lernarbeit konnte daher in diesen Tagen und kann voraussichtlich auch in den nächsten Wochen nicht die Rede sein“, heißt es in einem Verordnungsblatt des Stadtschulrates vom April 1938. Nicht nur waren die Schulen vom Einmarsch der deutschen Wehrmacht bis zum 21. März geschlossen geblieben, auch in den folgenden Wochen war der Unterricht immer wieder wegen „der starken Inanspruchnahme der Schüler im Dienste der nationalen Erhebung“ unterbrochen worden; Ganze Schulklassen wurden zur Spalierbildung in den Straßen Wiens abkommandiert, wie etwa zum Empfang Görings und Goebbels oder beim Einzug der Österreichischen Legion. Darüber hinaus waren die Schulleitungen angewiesen, „das Erziehungswerk der HJ ... in großzügigster Weise zu fördern“, d.h Schulräume und Turnsäle für deren Veranstaltungen zur Verfügung zu stellen. Mit atemberaubender Geschwindigkeit wurde gegen jüdische Schüler und Lehrer vorgegangen.'' Nachdem bereits während der Märztage nahezu alle Direktoren abgesetzt worden waren, wurde am 28. April vom Stadtschulrat eine mündliche Weisung 36 bezüglich der „Absonderung jüdischer Mittelschüler in Wien“ erlassen und noch am gleichen Tag im „Völkischen Beobachter“ publiziert: „Der Präsident des Stadtschulrates für Wien“, heißt es darin, „hat in einer Mittwoch stattgefunden Direktorenbesprechung Weisungen ausgegeben, wonach an den Staatsmittelschulen Wiens die jüdischen Schüler sofort von den arischen Schülern in eigene Anstalten abzusondern sind.“? Vorbereitet war diese Aktion schon seit Wochen, exekutiert wurde der Ausschluß noch am selben Tag. Erst am 1. Juni wurde dieser Erlaß dann in einem Verordnungsblatt des Stadtschulrates für Wien veröffentlicht: „Im nationalsozialistischen Schulwesen“, heißt es darin lapidar, „ist eine gemeinsame Erziehung von arischen und jüdischen Schülern (Schülerinnen) unmöglich. Ich ordne daher an, daß an allen staatlichen Wiener Mittelschulen die jüdischen Schüler und Schülerinnen ausgeschult und vorläufig in eigenen von mir bestimmten Schulen untergebracht werden“. Es waren dies zwei Gymnasien im 2. und 9. Bezirk, zwei Realschulen im 1. und 3. Bezirk, ein Realgymnasium im 2. Bezirk; weiters wurden an zwei Realgymnasien, nämlich im 8. und im 20. Bezirk, jüdische Parallelklassen, sogenannte IKlassen, I stand für Israeliten, geführt. „Bis zur endgültigen Regelung der Judenfrage ...“ heißt es zuletzt, „müssen an den genannten jüdischen Schulen arische Lehrer den schweren Dienst auf sich nehmen.“ Während die jüdischen Schüler die Möglichkeit hatten, zumindest das Schuljahr abzuschließen, waren die jüdischen und „Jüdisch versippten‘“ Lehrer praktisch über Nacht entlassen worden. Allein an den „Mittelschulen“ für Mädchen in Wien mußten 45 staatliche und 11 nicht staatliche Lehrer aus „rassischen Gründen“ ihren Dienst quittieren. In der „Neuordnung des österreichischen Berufsbeamtentums“ vom Mai heißt es, daß Lehrer, sofern sie Beamte sind, in den Ruhestand zu versetzen seien und eine einmalige Abfertigung erhielten. Ob sie tatsächlich jemals eine Abfertigung erhielten, müßte allerdings erst überprüft werden. Wie sich der Ausschluß aus der Sicht eines jüdischen Schülers darstellte, ist den Erinnerungen Oscar Scherzers zu entnehmen. Er ging damals in die achte Klasse des Gymnasiums in der Zirkusgasse: „So ging es nun leidlich, bis eines Tages in der Zeitung zu lesen war, daß die jüdischen Schüler wegen ihrer fortwährenden provokativen Tätigkeit eigene Judenschulen zu besuchen hätten. An jenem Tag hatten wir in der ersten Stunde Logik. Um neun Uhr versammelte sich eine Anzahl arischer Schüler in den Korridoren des Schulgebäudes und wollte die Klassenzimmer nicht wieder betreten, obwohl es schon geläutet hatte. Bald begannen sie ‚Wir wünschen Judas Tod‘ zu singen und stimmten Sprechchöre an wie z.B. ‚Wir wollen reines Haus, die Juden müssen raus‘ u.s.w. Das Lehrpersonal konnte natürlich die Schüler nicht dazu bewegen, in die Zimmer zu gehen. In der dritten und vierten Klasse war es bereits zu Schlägereien gekommen, weil sich die kleinen Buben mit Worten wehrten, da sie doch nicht wußten, daß das noch andere Folgen nach sich ziehen sich könnte. Direktor Barta kam zu uns in den vierten Stock. Er war sehr aufgeregt, rannte hin und her, verhandelte mit dem Führer der Hitlerjugend, doch konnte keine Lösung herbeigeführt werden.“ Wenig später wurde den Schülern mitgeteilt, „daß das Gymnasium im 2. Bezirk vom nächsten Tag an eine jüdische Schule sei, und daß alle arischen Schüler in das Akademische Gymnasium übersiedeln müßten.“ Umgekehrt sind die jüdischen Schüler vom akademischen Gymnasium geschlossen in die Zirkusgasse umgeschult worden. Hier fand also ein regelrechter Austausch statt.