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11 Vgl. Ursula Patzer: Die Wiener Schulen im März und April 1938. In: Forschungen und Beiträge zur Wiener Stadtgeschichte 2 (1978) 286-292. 12 Völkischer Beobachter (Wiener Ausgabe), 28. April 1938, S. 23. 13 Vgl. Oscar Scherzer: Under Swastika and the French Flagg. Blumington IN 2003. 14 Archiv der israelitischen Kultusgemeinde, „Kartei der auswanderungswilligen Juden“. 15 Vgl. Oscar Scherzer, wie oben. 16 Rosenkranz, wie oben, 145. Bilanz eines Emigranten Der Philosoph Günther Anders meinte, ein Emigrant habe nicht nur ein Leben, sondern deren mehrere‘. Als markantes Beispiel für diese These kann der Autor Edmund Wolf gelten. Der „Stückeschreiber“, wie er sich selbst bezeichnete, wurde im Exil Drehbuchautor, Radiomacher, Journalist, Fernsehfilmer. Jeden dieser Berufe übte er mit höchstem Anspruch und größtem Engagement aus, aber bis zu seinem Lebensende bedauerte er, daß ihm die Rückkehr auf die Bühne nicht gelungen sei. Edmund Wolf wurde am 23.4. 1910 als Sohn eines Kaufmanns in Rzeszöw (Galizien) geboren. Vier Jahre später, vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs, übersiedelte die Familie nach Wien, wo sie in der Gußhausstraße, einem großbürgerlichen Viertel hinter der Karlskirche, wohnte. Der Vater war ein strenger Moralist und sympathisierte mit dem Zionismus. Edmund besuchte das Akademische Gymnasium, wo er Peter Stadlen kennenlernte, der auch später im Exil bis zu seinem Tod 1996 sein bester Freund blieb. Stadlen studierte bei Arnold Schönberg und emigrierte 1935 nach London, wo er als Pianist, Musikwissenschafter und Musikkritiker des „Daily Telegraph“ tätig war. Für Edmund Wolf stand bereits in seiner Schulzeit fest, daß er Bühnenschriftsteller werden wollte. Sein Ideal war das Theater in der Josefstadt, das seit 1923 unter der Leitung von Max Reinhardt stand. Auf Wunsch des Vaters begann er 1928 ein Studium der Staatswissenschaften, hörte aber auch Vorlesungen in Geschichte und Kunstgeschichte. Angeregt von seinem Studium schrieb er später ein Theaterstück über einen römischen Rechtsgelehrten, „Papinian“, das nach dem Rechtsgefühl der Menschen fragt und zu einem sehr pessimistischen Schluß kommt. (Denn eigentlich schildert der Autor den Ständestaat.) Doch Wolf setzte schließlich seinen Willen durch und wurde in den ersten Jahrgang des 1928 gegründeten „Schauspielund Regieseminars Schönbrunn“ von Max Reinhardt aufgenommen. Von 66 Bewerbern hatten 25 die Prüfung bestanden. Am 24. April 1929 eröffnete Reinhardt im Schönbrunner Schloßtheater den Unterrichtsbetrieb mit einer Rede, in der er von den künftigen Schauspielern Wahrhaftigkeit forderte: „Ertappen Sie sich unbarmherzig auf jeder Lüge: Werden Sie wesentlich. Es ist nicht die Welt des Scheins, die Sie heute betreten, es ist die Welt des Seins. Nicht wer etwas macht, kann sich auf die Dauer in ihr behaupten, nur wer etwas ist.‘” An Reinhardts erste Inszenierung am Seminar (Shakespeares „Was Ihr wollt“ mit Vilma Degischer, Fred Liewehr, Richard Eybner, Robert Horky im Juni 1930) erinnerte sich Edmund Wolf noch 1985: “... jetzt erleben wir ihn selbst Tag um Tag, wie er auf irgendeinen Ton von der Bühne her reagiert und der Motor anspringt. Die gespannte Stille dann, das dunkle Vibrato sei38 ner Stimme fast immer verhalten — außer wenn er lacht. ...Reinhardt absorbierte das Wesen seiner Schauspieler und konnte ihnen jene Änderungen von Ton und Ausdruck andeuten, die ihren eigenen Naturen geheimnisvoll-genau entsprachen. Oft genug wirkte es so verblüffend, als wären in diesen Arbeitsstunden Jahre des Reifens zusammengedrängt worden. Diese Gabe konnte nur er haben, weil Liebe zum Schauspieler, zur Einzigartigkeit und Unverwechselbarkeit eines jeden Talents in ihm so stark war.‘® Von den Lehrern hat ihn neben Reinhardt Emil Geyer, von 1926 bis 1933 Direktor des Theaters in der Josefstadt, am meisten beeindruckt. „Geyer war ein kluger, stiller Mann, der nichts von dem stürmischen Temperament besaß wie etwa Kalbeck, Regisseur an der Josefstadt, oder wie der Russe Iwan Schmith, der uns etwas von der Methodik beibringen wollte, die in Moskau der legendäre Stanislawsky vertrat. Seine ebenso treffenden wie bizarren Aussprüche waren Legion. Als irgendeiner von uns Jungen einen bärtigen Greis zu spielen hatte und sich darüber beklagte, daß dies sehr schwierig sei ohne Bart, sagte Schmith mit saurem Kopfschütteln: ‚Nu, sie missen haben einen solchen Bart von innen.‘“ Von Schmith erhielt Wolf seine erste Aufgabe als Dramaturg, denn für dessen Inszenierung von Molieres „Die Streiche des Scapin“ erstellte er eine Bühnenfassung. Bei seinem Auftritt als Schauspieler in der ersten öffentlich gezeigten Aufführung des Seminars im Mai 1930, Strindbergs „Schwanenweiß“ in der Regie von Paul Kalbeck, fand Edmund Wolf nicht die Zustimmung der Kritik. Der Rezensent des Neuen Wiener Journals urteilte: „Etwas allzublaß die Gestalt des Prinzen von Herrn Wolf.“ Während der Zeit am Seminar entstand auch ein weiteres Theaterstück, „Musik im Hof“, das 1932 in Mannheim uraufgeführt wurde. Sein Verleger, und später guter Freund, wurde Georg Marton, damals einer der führenden literarischen Agenten mit Autoren wie Vicky Baum, Franz Werfel, Franz Molnar, Erich Kästner u.v.a. und zahlreichen internationalen Kontakten. Er emigrierte 1938 über Paris und New York nach Hollywood, wo er mit Metro-Goldwyn-Mayer und Columbia Pictures zusammenarbeitete und vielen Exilautoren zu helfen versuchte. Im Dezember 1934 erlebte Wolf seine erste Uraufführung in Wien am Raimund-Theater, von dessen Direktor Stefan Hock, einem ehemaligen Assistenten Reinhardts, inszeniert. Das Stück handelt von einem Dienstmädchen, das zu Unrecht des Diebstahls bezichtigt wird und aufgrund dieses Vorfalls die große Liebe findet. Es zeichnet ein Zeitbild vom Wien der dreißiger Jahre. Viele Menschen fürchteten die drohende Arbeitslosigkeit und flüchteten in die illusionistische Welt des gerade zur ersten