menkunft von sämtlichen Kurhausbesitzern, ferner von ande¬
ren Geschäftsleuten zu veranstalten (...) Außerdem sollte man
beraten wegen dem Fall Rotter, wie man da vorgehen könnte.“
Man vermißt in dieser Aussage die Vaterlandsliebe. Noch un¬
verblümter antisemitisch geben sich die „Liechtensteiner Nach¬
richten“. Am 23. Mai 1933 melden sie (im redaktionellen Teil):
„Herr Fritz Rotter (...) hat inzwischen Gelegenheit genommen,
Liechtenstein möglichst geräuschlos zu verlassen. Es wäre zwei¬
felsohne das Gescheiteste gewesen, wenn die Herren Rotter
schon Ende März auf diesen Gedanken gekommen wären, denn
dann wäre das Abenteuer vom 5. April unterblieben.“
Einem Toten nachträglich zur Abreise zu raten: das nennt man
wahrhaft christlichen Glauben ans ewige Leben!
Der Zürcher Rechtsanwalt Wladimir Rosenbaum, der die
Ansprüche der Privatbeteiligten Rotter und Wolf vertrat, nennt
gleich am Beginn seiner Ausführungen den Dreh- und Angel¬
punkt dieser Tat und dieses Prozesses: den Judenhaß. Er geht
in seinem Plädoyer mehrmals auf das Motto ein, das eine „ge¬
wisse Öffentlichkeit‘ darüber gesetzt habe: „Nicht der Mörder,
der Ermordete ist schuldig.“
Das wollte man in Liechtenstein, schon gar im grellen Licht
der internationalen Presse, denn doch nicht hören. Mußte man
auch nicht, denn Rosenbaum wurde am Vortrag seiner Rede ge¬
hindert. Jetzt, im Jahr 2004, wurde sie in einem Sonderdruck
aus dem Jahrbuch des historischen Vereins für das Fürstentum
Liechtenstein erstmals veröffentlicht.
Dieser Band wird durch zusätzliche Aufsätze vertieft, so zur
ambivalenten Situation der jüdischen Bevölkerung Berlins in der
Endphase der Weimarer Republik, zum Ablauf der Geschehnisse
am 5. April, zur damaligen Darstellung und Kommentierung in
der Liechtensteiner Presse und zur Verdrängung, die den Umgang
mit den Ereignissen bis heute prägt. Einer der Herausgeber, der
Psychoanalytiker Norbert Haas, sieht im Sippendenken, darin,
daß „die Verbreitung von Informationen, die einzelne Personen
belasten, stets auch als Angriff auf die Familie verstanden wird“,
einen Grund für die Unterdrückung solcher Informationen. Er
schreibt weiter: „Es gibt Anzeichen dafür, daß sich unsere
Gesellschaft von einer Schamkultur, in der der Begriff der
Schande zentral ist, zu einer Schuldkultur fortentwickelt, in der
der Einzelne allein für sein Tun und Nichttun verantwortlich ist.
(...) Es wäre der, wie auch immer langsame Untergang des ius
sanguinis zugunsten der Herausbildung eines Rechtsbewußtseins
im modernen Sinne. Möglicherweise stecken wir aber noch mit¬
ten in der Entwicklung von Bauern zu Bürgern, vom Sippen¬
denken zum Rechtsdenken subjektiver Verantwortung.“
Für eine bäuerliche, ländliche Gesellschaft, in der, salopp ge¬
sagt, jeder mit jedem verwandt ist, trifft dieses Denken als
Voraussetzung der Interpretation des Überfalls bestimmt zu, denn
konnte den Rotters die Schuld daran nicht zugeschoben wer¬
den, mußte man sich ja eingestehen, daß vier Vertreter der gu¬
ten Liechtensteiner Gesellschaft die Untat begangen hatten. Und
das war - in der Tat - eine Schande.
Doch die Rotters und die zufällig auf Besuch weilende Frau
Wolf mußten nicht nur als Sündenbock herhalten, weil sonst die
Namen von vier Familien durch das Verbrechen der Söhne „be¬
schmutzt‘“ worden wären, sie waren Anlaß und Ziel dieses
Verbrechens, weil sie Juden waren. Dem Zeitgeist gemäß konn¬
ten sie als solche ganz offen verfolgt werden, umso mehr als
sie in dem Ruch standen, ganz üble Geschäfte und Betrügereien
begangen zu haben, denn: „Die Rotter-Brüder, die bis 1933 am
Theater des Westens — und nicht nur dort - (...) ihr Geld ver¬
dienen, zählten schon bald zu den einflußreichsten Drahtziehern
der (Theater)Szene.“ Oder: ,,Mit ihrem (Rotters) Namen ist in
der Weimarer Republik der auch von anderen Finanzhaien prak¬
tizierte Versuch verbunden, das Theater zum Gegenstand der
Spekulation zu machen.“
Drahtzieher und Finanzhaie. Nein, nicht die Nazis, die vie¬
le negative Bezeichnungen fiir die Rotters fanden, nennen die
beiden jüdischen Brüder Schaie so, die Zitate stammen aus ei¬
nem umfangreichen, theatergeschichtlich sehr informativen
Werk, das aus Anlaß des hundertjährigen Bestehens des „Thea¬
ters des Westens“ publiziert wurde. Für die Ägide der Rotters
(sie umfaßt die Seiten 87-119) bestimmen Häme und Anklage,
natürlich immer vom hehren Roß der reinen Kunst und mora¬
lisch makellosen Buchhaltung herab, den Ton. So wird dem
Leser denn auch suggeriert, die Rotters hätten sich der natio¬
nalsozialistischen Justiz aus Feigheit und Verantwortungs¬
losigkeit entzogen, denn ihre jüdische Herkunft wird mit kei¬
nem Wort erwähnt. Daß in der Wiedergabe der Entführung auch
kein Wort stimmt, erstaunt schon nicht mehr.
Ach so, vielleicht sollte noch erwähnt werden, daß dieses
Werk 1996 erschienen ist. Mag sein, daß nur ein Schuft sich
Böses dabei denkt. Wie sagte der zitierte Norbert Haas so schön?
— „Heute wie damals, historische Nullzeit.“