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Helmuth A. Niederle Heimatlose Wanderer zwischen den Kulturen?* Als der 1948 in der Wüste Negev geborene und seit vielen Jahren in Heidelberg ansässige Salim Alafenisch zum ersten Mal in Wien am 28. Februar 1995 in der Österreichischen Gesellschaft für Literatur auftrat, benannte er sein Leben in zwei Kulturräumen, was ein Leben in zwei völlig verschiedenen Sprachen meint, mit einem Begriff, den es im Deutschen in der Pluralform eigentlich nicht gibt: „Ich bin daheim in zwei Zuhäusern.“ Der von arabischen Nomaden abstammende Autor vertiefte dieses Bild einige Jahre später: „Während ich früher mit den Herden wanderte, bin ich heute mit meinen Geschichten auf Wanderschaft, sozusagen ein Nomade unter anderem Vorzeichen. Meine Geschichten führen mich an Orte, die ich mir in meiner Kindheit nicht hätte träumen lassen. (...) Am Ende eines langen Weges bin ich Schriftsteller geworden. Es scheint mir eine lohnende Aufgabe zu sein, als Kulturvermittler tätig zu sein und eine Brücke zwischen Orient und Okzident zu schlagen. Meine Welt ist hier und dort. In diesem Sinne hat mein Zelt zwei Räume“ Salim Alafenisch berichtet in seinen Erzählungen, die in einem poetisch zu nennenden Fabulierton gehalten sind und manchmal einer merkwürdig plüschigen Romantisierung unterliegen, über Verhältnisse im Nahen Osten, entweder von der männlichen Dominanz in polygynen Beziehungen, Stichwort Harem, oder von Schreckensbildern aus dem unlösbar scheinenden Konflikt zwischen Israelis und Arabern. Nicht dass Alafenisch die Probleme klein und schön reden würde, sondern es gelingt ihm, aus den Augenblicken der Gewalt des einen über einen anderen ein Moment herauszudestillieren, das den Schrecken in seinem ganzen Ausmaß erst im Nachhorchen erkennbar macht. Die Frage, ob die von ihm für sich gesehene Möglichkeit, ein „Kulturvermittler“ zu sein, tatsächlich eingelöst wird, ließe sich erst durch gezielte Fragen an die begeisterte Leserschaft ermitteln. Auch ohne Befragung sind Zweifel angebracht: Selbst Autoren, die sich nicht als Migranten zwischen zwei Sprachräumen begreifen, haben deutlich und, wie ich meine, zu Recht auf ihre marginalisierte Stellung innerhalb Europas, bloß weil sie kleineren oder am „Rand Europas“ liegenden Sprachräumen entstammen, hingewiesen. Der 1933 in Finnland geborene Schriftsteller, Politiker, Schauspieler und Filmregisseur Jörn Donner meint: „Zur Peripherie gehören Finnland, Irland, Portugal und Griechenland. Im geographischen Sprachgebrauch meinte man, mit den Worten de Gaulles, ein Europa vom Atlantik bis zum Ural, man hat aber Mühe, große Teile Russlands in unsere Diskussion mit einzubeziehen.‘ Die eigene missliche Lage in einem Europa des unterschiedlichen Kulturprestiges erkennend, verweist Donner auf das viel größere Thema im globalen Gefüge: „Welchen Sinn hat europäische Offenheit aber in der Praxis, wenn einerseits offene Grenzen verkündet und praktiziert werden (zumindest im Bereich des Schengener Abkommens), man andererseits aber mit begrenztem Erfolg die Migration aus Ländern außerhalb der Union verhindert — vor allem aus dem Balkan, aus Afrika und Asien —, weil man die Ansicht vertritt, sie aber kaum öffentlich ausspricht, dass das EU-Europa mit seinen vielen sprachlichen und ethnischen Minderheiten keinen weiteren Zuzug über den der letzten drei Jahrzehnte hinaus verkraftet, der in der Praxis dazu führte, dass einige zentrale europäische Länder im Lauf des mühsamen und zuweilen unmöglichen Prozesses einer Assimilierung jetzt multikulturell sind?“ Migrantenautoren aus außereuropäischen Ländern haben keine Lobby hinter sich, für sie werden im Regelfall in Europa keine gezielten Förderprogramme bereit gestellt, die ihnen helfen könnten, entweder ihre Sprache zu behalten oder den Sprachwechsel zu vollziehen, sie haben auch nur sehr beschränkte Publikationsmöglichkeiten, bestenfalls Nischenverlage oder kleinere fast unter Ausschluss der Öffentlichkeit tätige literarische Zeitschriften oder Internetforen. Sprache wird zu einem schier unüberwindbaren Hindernis, woran Kommunikationswissenschaftler scharfe Kritik üben: „Sprache darf nicht zu einem Ausschlussgrund vom Zugang zu Information und öffentlicher Kommunikation werden. Es genügt auch nicht, Programme für Sprachminderheiten zu produzieren, sondern die Pluralität der Diskurse muss gewährleistet werden. Und schließlich muss für Schnittstellen zwischen Teilöffentlichkeiten gesorgt werden, damit Differenz ausgehandelt werden kann.‘“* Die verstärkte Ausrichtung der Medien auf Quoten und die Anpassungstendenzen der öffentlich rechtlichen Anstalten an die privaten Anbieter, der unerbittliche Kampf um Marktanteile der Printmedien lassen die wissenschaftlichen Überlegungen als eine moderne Form des Knigge erscheinen: Man weiß zwar um die Inhalte, bloß es schert sich keiner darum. Anders gesagt: Die Identifizierungsangebote sind mehr als kümmerlich, die immer wieder zitierte Behauptung von Mutter Teresa „Nötiger als Brot hat der Mensch, in der Gesellschaft erwünscht zu sein“ erweist sich als absolut richtig. Abgeschottet, voll des Wunsches nach Überwindung des Trennenden, heißt es in dem Gedicht „Du bist der den du in ihm suchst“ des 1936 in Syrien geborenen und seit 1959 in Deutschland lebenden Adel Karasholi: Und er sprach Du bist der den du in ihm suchst Und der den er sucht in dir ist er Du bleibst du Und er bleibt er Mit geballten Flügeln schlägt An verschlossene Fenster Der Rabe Trennung? Karasholi verbindet mit der bitteren Erkenntnis der Trennung den flehentlichen Wunsch, dass der andere mit ihm Platz tauschen möge, um Verständnis zu ermöglichen. Nur wenn dieser Tausch gelingt, ist jene Heimat zu finden, die dem einzelnen das Versinken in Bedeutungslosigkeit und/oder Sprachlosigkeit erspart: Und er sprach Sei einmal ich Und sei einmal du Denn wärst du nur ich Bin ich allein mit mir Bliebst du immer nur du Warest du das Sandkorn im Wind‘ Den Eindruck unerwünscht zu sein, hat der 1961 im Iran geborene und seit 1980 in Österreich lebende Schriftsteller Reza Ashrafi in das Gedicht „Perser“ verpackt: Wenn ein Perser, dann als Teppich an der Wand. Oder am Boden, von jedem bewundert. Wenn ein Perser, dann als Katze liebevoll gefüttert. Aber als Mensch? Nein danke. Niemals.’ Häufig ist die Auffassung unter der eingesessenen Bevölkerung anzutreffen, sie könne die Zuwanderer nicht verstehen, weil ihr die kulturellen Gegensätze als unüberwindbar erscheinen. Viele kulturell bedingte Angewohnheiten von Migranten werden als befremdlich empfunden, manches als zutiefst ablehnenswert eingestuft. Die Migranten ihrerseits aber fühlen sich auch nicht verstanden, weil sich die Probleme des europäischen Gastlandes als harmlos ausnehmen neben dem, was man aus der eigenen Erfahrung des Heimatlandes kennt. Die Unfähigkeit miteinander zu kommunizieren kommt in dem Gedicht „Du und ich“ von Ishraga Mustafa Hamid, geboren 1961 im Sudan und seit einigen Jahren an der Universität Wien am Institut für Politologie lehrend, zur Sprache: Nord und Süd Armut und Reichtum Schwarz und Weiß Du und Ich Die von deinen Augen geflogenen Schmetterlinge meiner Leidenschaft Beschatten die Kluft zwischen uns® In solchen Texten treten die kulturellen Differenzen zutage, werden die Versuche, eine Balance zwischen der mitgenommenen Kultur und der Dominanzkultur im Land des Exils zu finden, dargestellt. Es gilt die Brüche emotional zu verarbeiten und die Erfahrungen der Migration sowie das Verhältnis zum Zurück63