ORPHEUS IN DER ZWISCHENWELT
üben können, ohne aber an irgendeine bestimmte Tätigkeit für
bestimmte Zeit gebunden zu sein. Ich habe damals geantwor¬
tet, dass ich selbstverständlich Ihre Intentionen nicht kenne, aber
glaube, dass Sie sich zumindest über ein solches Angebot freu¬
en würden. Leider ziehen sich alle diese Verhandlungen unge¬
heuer in die Länge und es sprechen natürlich auch viele Men¬
schen mit, die keine Ahnung haben, worum es sich eigentlich
handelt. Ich werde mich jetzt einmal erkundigen, was aus der
Angelegenheit geworden ist, werde dies selbstverständlich aber
tun, ohne mich irgendwie auf Sie oder Ihren Brief zu berufen.”
Offensichtlich ist es nicht gelungen, diese Idee umzusetzen.”
Glaubt man allerdings Josef Rufers Bericht, so mag ein — mög¬
licherweise durchaus böswilliges — Gerücht dazu beigetragen
haben, daß man sich auch in Deutschland um Schönberg bemüh¬
te. Im Dezember fragt Rufer nämlich bei Schönberg nach:
Stimmt es, daß Sie an d. Wiener Bürgerm. geschrieben und
ein Refus bekommen haben wegen Ihrer Übersiedlung — Rosbaud
sagte es mir u. hatte die Idee mit Baden-Baden — würden Sie
denn ev. wirklich nach Europa kommen? Es wäre ja zu schön,
ich glaubs nicht, nein. Will R|osbaud]. sofort schreiben, wie es
damit steht.”
Worauf Schönberg in seiner Antwort richtigstellt:
Ich habe nie vom Wiener Bürgermeister etwas verlangt, son¬
dern er hat mich aufgefordert am Wiederaufbau der Heimat mit¬
zuarbeiten.”
III. Baden-Baden und Darmstadt
Hans Rosbaud hatte sich bereits im August 1948 an Schönberg
gewandt.’ Zu dieser Zeit war er noch in München, hatte aber
seine Verlängerung dort bereits abgelehnt und einen Rufnach
Baden-Baden zum Orchester des Südwestfunks angenommen:
Dieses ungefähr 100 Mann starke Orchester wird von mir
neu organisiert, mit besten Musikern durchsetzt und soll so in
einem Jahr bestimmt eines der besten Orchester in Deutschland
sein. Baden-Baden, das in der französischen Zone liegt, und sein
großes Rundfunkorchester ist der ganze Stolz der Franzosen und
es geschieht von dieser Seite Alles, um die öffentlichen Konzerte,
die natürlich immer auf zahlreiche Sender übertragen werden,
besonders glanzvoll und interessant auszugestalten. Baden¬
Baden hat sich in den letzten Jahren, schon durch die Tätigkeit
von Dr. Strobel, zu der Stadt entwickelt, die heute auf dem Ge¬
biete der modernen Musik den geachtetsten Namen hat. |...]
In diesen Tagen war ich viel mit Herrn Rufer zusammen, der
sich zur Zeit in München aufhält [...]. Ich habe Herrn Rufer ei¬
nen Plan mitgeteilt, den ich heute auch mit Ihnen besprechen
möchte. Plan ist nicht ganz das richtige Wort, es handelt sich
vielmehr um eine ganz bescheidene und private Anfrage.
Ich brauche Ihnen, sehr verehrter Herr Professor, nicht zu
sagen, mit welcher Verehrung ich Ihnen gegenüberstehe. Und
dass ich nicht allein bin, sondern dass die Zahl Ihrer Anhän¬
ger ständig wächst, ist eine Tatsache, die uns alle sehr glück¬
lich macht. Los Angeles ist sehr, sehr weit und nur wenige von
uns werden in nächster Zeit die Möglichkeit haben, hinüber¬
zukommen. Verstehen Sie, dass mir oft der sehnliche Wunsch
gekommen ist, Sie näher bei uns zu haben. Herr Rufer hat mei¬
nen Plan auf das Freudigste begrüsst und wir haben lange dar¬
über gesprochen.
Bevor wir jedoch weiter darüber sprechen, wollte ich erst
einmal ganz vorsichtig bei Ihnen anfragen, ob eine eventuelle
Übersiedlung von Ihnen aus überhaupt in den Bereich der Er¬
wägung gezogen werden könnte. Wenn Sie mir meine beschei¬
dene Anfrage nicht übel nehmen wollten, wäre ich Ihnen äus¬
serst dankbar, wenn Sie mir einige kurze Worte darüber schrei¬
ben wollten.
Baden-Baden ist ein sehr schöner Platz, gesund und geschützt,
mit Heilmitteln gegen Rheumatismus, Asthma und viele ande¬
re Leiden auf diesem Gebiet. Es ist vollkommen unzerstört und
hat ungefähr an der Grenze zwischen Deutschland, Frankreich
und der Schweiz eine ausgezeichnete Lage. Ich habe vor eini¬
ger Zeit ganz persönlich und diskret mit einem hohen franzö¬
sischen Offizier gesprochen; er war geradezu elektrisiert.
Ich brauche nicht zu sagen, von welcher ungeheuren Bedeu¬
tung für die Jugend eine solche nähere Gegenwart von Ihnen
wäre. Die Leute sind ja führerlos und suchen und suchen. Herr
Rufer wird Ihnen vielleicht auch darüber schreiben.”
Im September antwortet Schönberg und hat vor allem eine
Sorge:
Die Idee in Europa Wohnsitz zu nehmen hat uns schon seit
einigen Jahren beschäftigt, ohne jedoch spruchreife Formen an¬
zunehmen. Wir planten in die Südschweiz zu gehen und hatten
bereits Zusagen dafür. Wir kennen Baden-Baden durch einen
längeren Aufenthalt und es gefällt uns sehr gut. Ebenso gefällt
mir ihr Plan von dem ich gerne bald etwas näheres wüsste.
Ich sehe nur eine Schwierigkeit: Dr Strobel dient schon zwei
Göttern, Hindemith und Strawinsky und ich zweifle, dass [er]
für mich mehr Eifer übrig haben wird als vor dem Kriege. Auch
ist es nicht wahrscheinlich einen [sic] der mehreren Göttern dient
mich gut bedienen würde.
Aber mir würde eine Erklärung Strobels, dass er mir mit wohl¬
wollender Objektivität gegenüberstehen würde, genügen.”
Strobel gehört zu den Figuren, denen Schönberg und viele
aus seinem Umfeld das größte Mißtrauen entgegenbringen. Und
seine Position in Baden-Baden ist sicher einer der Faktoren, die
dazu führen, daß Schönberg den die späten 40er Jahre in
Deutschland so dominierenden Streit ‚Neoklassizismus vs.
Dodekaphonie’ auch ganz persönlich nimmt und sich selbst in
direkte Konkurrenz mit Hindemith bringt — der im übrigen im
Oktober 1948 den SWR in Baden-Baden besuchte und ihm so
gleichsam zuvor kam.’ Auch Josef Rufer spricht das Thema in
seinem bereits zitierten Brief vom Oktober, in dem es auch um
Rosbauds Plan geht, mehr als offen an:
Nur dieser Trottel von Strobel ist in Baden=B., leitet die
Musikabt. des Südwestfunks dort. Ein widerlicher charlatan, un¬
musikalisch wie ein Jounalist eben u. dazu treulos, schimpft auch
auf Paulchen [Hindemith], wie 5 ihm grad einfällt.”
Schönberg antwortet ihm im Januar 1949, nachdem er nichts
von Rosbaud gehört hat:
Schreiben Sie bald; ich möchte auch wissen, was mit Rosbaud
passiert ist. Ist er ganz zu Hindemith übergegangen?
Er wollte doch mich nach Baden-Baden haben.
Traun, traurig wärs.
Aber Paulchen ist ein guter Intrigant und Strobel hat sicher
mitgeholfen.”
Exkurs II: Zeitschriften-Ideen
Wie sehr die Nachkriegsdebatten polarisiert waren, zeigt sich
auch in der Konkurrenz um den Raum, den die ‚Parteien’ in der
publizistischen Landschaft einnehmen konnten. Das kommt