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ORPHEUS IN DER ZWISCHENWELT ORPHEUS natürlich ebenfalls in den hier betrachteten Korrespondenzen zum Tragen, in denen es jaum Möglichkeiten geht, Schönberg und seiner „Schule“ in Österreich und Deutschland „Unterkunft“ zu geben, wie Schönberg selbst einmal an Rufer schreibt.” In Deutschland hatte der Mainzer Schott-Verlag mit Melos unter der Leitung von Heinrich Strobel sehr schnell und unmißverständlich seine Position wieder besetzt. Im November 1946 schreibt Strobel in einem programmatischen Editorial, einer Standortbestimmung des „wiedererstandenen MELOS“: Es ist tatsächlich so, daß die einzige bedeutende Leitung der deutschen Musik in unserer Zeit den Deutschen selber unbekannt ist: das Werk Paul Hindemiths.“ In Österreich hatte sich mit der bereits Anfang 1946 erstmals erscheinenden ÖMZ das bürgerlich-konservative Lager sehr schnell ein publizistisches Forum geschaffen. Ein Indiz dafür, daß man dies zumindest als ergänzungsbedüftig empfand, mag der Plan Alfed Schlees sein, ein eigenes Diskussionsforum in der Universal Edition zu gründen, das ausdrücklich nicht als Verlags-Organ gedacht war. Schönberg berichtet er im Mai 1946: Im August oder September wollen wir das erste Heft unserer neuen Musikzeitschrift herausbringen. Die Zeitschrift, die wir zwar als eine Fortsetzung des „Anbruch“ ansehen, soll sich von diesem in vielen Punkten unterscheiden. Es soll keine Zeitschrift sein, die Verlagspolitik betreibt. Es soll in dieser Zeitschrift auch nicht ausschliesslich über moderne Musik gesprochen werden, sondern der Begriff „Neu“ soll sich nicht nur auf die Produktion, sondern auch auf die Reproduktion beziehen: „neu“ in diesem Sinn sollen auch musikhistorische Erkenntnisse sein, zu denen wir heute gelangt sind. Wir legen Wert darauf, dass es eine unbestechliche Zeitschrift ist und dass die Aufsätze nicht allgemeine, sondern speziale Themen behandeln und diese möglichst erschöpfen, sodass die Zeitschrift Ouellenmaterial für eine Betrachtung der musikalischen Situation in unseren Jahren zusammenstellt. Selbstverständlich soll sie ausserdem möglichst genau alle Aufführungen neuer Musik registrieren. Diese Zeitschrift wird von Swarowsky und mir redigiert.” Warum dieses Projekt nicht weiterverfolgt wurde, war bisher noch nicht zu klären, allerdings ist zumindest auffallend, daß der Kulturstadtrat Viktor Matejka es in einer Grußadresse zum zweiten Jahrgang der ÖMZ eigens hervorhebt, daß mehr kritische, kontroverse Debatten der Zeitschrift eher nutzen als schaden werden.* Schlees Zeitschriftenplan kommt an einer interessanten Stelle wieder in die Debatte: 1947 gründen Josef Rufer und Hans Heinz Stuckenschmidt in Berlin die Zeitschrift Stimmen, die sich in gewisser Weise als Gegenpol zu Melos positioniert hat — jedenfalls wird das offensichtlich von Melos so empfunden, denn im Juli 1949 (also eben zu der Zeit, zu der sich Rosbaud in Baden-Baden um Schönberg bemüht) kommt es offenbar zu dem Versuch einer ‚feindlichen Übernahme’. Rufer wendet sich direkt an Schönberg: bitte seien Sie nicht bös, wenn dieser Brief etwas wirr und kurz wird: ich habe gestern einen so unerwarteten Schock bekommen, daß ich mich noch nicht ganz wieder zurechtfinde (die Inhaber von Schott, die Brüder Strecker waren hier und schlugen vor die STIMMEN mit Melos zu vereinen, mit Strobel und Stuck. als Herausgeber. Ich dagegen soll aufs tote Geleis geschoben werden und mit einem ‚Berliner Büro’ abgespeist werden. Melos hat Absatzschwierigkeiten, wollen ihr zugegeben TRUST schlechtes Niveau heben und drohen andernfalls offen mit Konkurrenzkampf durch Unterbietung der Verkaufspreise... sie könnten es aushalten. Behaupteten übrigens, daß sie von Ihnen bereits einen Artikel erhalten hätten — stimmt das?)* Schönberg antwortet umgehend, wohl noch Schlees Plan im Hinterkopf, mit dem Vorschlag, sich im Gegenzug an die UE zu wenden: Können Sie nicht in Betracht ziehen sich mit der UniversalEdition über ihre Stimmen zu einigen? Wäre es nicht denkbar eine Zeitschrift die ja immer eine Opposition gegen die der Schotts war zu gründen, unter dem Titel „Stimmen des Anbruch(s) “ — oder so. Schliesslich und endlich würde die Universal-Edition wahrscheinlich doch das Geld aufbringen können, um mit dem Schott zu konkurrieren — denn man hat ja vorallem in Österreich immer billiger gearbeitet.“ Rufer antwortet aus Wien und spitzt seine Rolle als ‚ Vertreter’ Schönbergs in der Gemengelage noch zu: Uebrigens: wenn es stimmt, daß Sie dem Melos einen Artikel geschickt oder versprochen haben, so muß ich Ihnen jetzt doch sagen, daß diese Leute es nicht verdienen: die Herren Strecker bezw. Dr. Laaff als Leiter der Zeitschriftenabt. des Schottverlages erklärten mir unumwunden, sie könnten mich bei der vorgeschlagenen Vereinigung Melos — STIMMEN nicht als Herausgeber übernehmen, da dann die Zwölftonmusik ein für ihre Leser nicht tragbares Uebergewicht hätte, was durch meine Berufung an die Berl. Hochschule „noch schlimmer“ würde... und übrigens sei nach Ansicht vieler die Zeit der Zwölftonmusik schon vorbei... Wenn wir nicht akzeptierten (Stuck hat akzeptiert, falls ich auch zustimme, was ich natürlich nicht tue!), drohten die Herren offen mit Konkurrenzkampf durch Unterbieten des Verkaufspreises der Hefte. Ich habe jetzt hier [in Wien] mit Schlee und Hartmann von der UE Fühlung genommen, sie wollen ev. — unter Wahrung absoluter Unabhängigkeit unserer Herausgeberstellung und ohne Nennung des UE Verlags — die Zeitschrift finanzieren.“ Daß er Schott Texte angeboten habe, dementiert Schönberg mehrfach. In seinem direkt darauf folgenden Briefrückt Schönberg zwar von dem programmatischen Titel „Stimmen des Anbruch“, der das Unternehmen explizit in die Tradition des alten Anbruch und damit auch in die alte Konkurrenz von UE und Schott stellen würde, wieder etwas ab, hält jedoch in der Sache an seinem Vorschlag fest und bietet sogar an: „dass ich Ihnen in jeder Weise behilflich sein werde. Ich plane vor allem für jede Nummer irgend etwas zur Verfügung zu stellen.“ Die Hoffnung zerschlägt sich (Rufer vermutet aus persönlichen Gründen, Schlees Frau, so schreibt er Schönberg, könnte sich wegen seiner scharfen Kritik an einer ihrer PierrotAufführungen gegen ihn und das Vorhaben verwendet haben) und mit ihr wohl auch die Zukunft der Stimmen, die 1950 ihr Erscheinen einstellen werden. * Rufer scheint sich flankierend zu Rosbauds Plan sehr fiir die Idee engagiert zu haben, Schönberg — und sei es nur für eine Reise — nach Deutschland zu holen. Anfang Februar 1949 schreibt ihm Schönberg: Nun zu der Frage eines vorübergehenden oder längeren Besuches in Deutschland oder Österreich oder in Europa überhaupt. Ich muss natürlicher-weise, ehe ich über die Länge des Besuches eine Entscheidung treffen könnte, wissen, wie ich das 81