aus diesem Anlass, wer weiß wieso, über mich hergefallen ist.
Wir haben überhaupt selten über Literatur gesprochen, höch¬
stens, indem wir über Kollegen tratschten, noch seltener, viel¬
leicht zwei oder dreimal im Leben, über das, was ihm in den
Händen der Folterknechte und mir in deutschen Konzentra¬
tionslagern widerfahren ist. Meist parlierten wir über Essen und
Trinken und zwar keineswegs nur theoretisch. Oder über un¬
sere Söhne und Enkelkinder. Und gezwungenerweise über
Politik, denn die drängte sich auf.
Rilke spricht von Ausgesetztsein. Ein Dichter ist das immer.
Wer sich zu schreiben bemüht, tut das als Dichter, vielleicht nur
als Möchtegerndichter, gehört aber wenigstens in dieser Hinsicht
auch dann zu den Gesegneten oder Verfluchten, die ausgesetzt
sind auf den Bergen des Herzens. Schreiben ist nicht anders mög¬
lich als im Exil, selbst dann nicht, wenn man nie im Leben aus
dem Haus ziehen musste, in dem man geboren ist und vielleicht
Gesprochen bei der Präsentation der Preisträger des Theodor
Kramer Preises für Schreiben im Exil und im Widerstand 2006
am 8. Juni 2006 im Psychosozialen Zentrum ESRA, Wien. — Ivan
Ivanji, 1929 als Sohn einer serbisch-jüdischen Arztfamilie in
Zrenjanin im Banat (Jugoslawien) geboren. Mit 15 Jahren wur¬
de er als politischer und jüdischer Häftling nach Auschwitz de¬
portiert, dann nach Buchenwald verschleppt. Nach der Befreiung
Besuch der Technischen Oberschule in Novi Sad. Studium der
Architektur und Germanistik in Belgrad. Tätigkeit als Techniker
am Bau, Lehrer, Verlagslektor, Redakteur (Mladost), Dramaturg
und Theaterintendant (Nationaltheater, Belgrad). Über 20 Jahre
lang arbeitete er als Dolmetscher für den Staatspräsidenten Tito,
die Regierung und Parteiführung Jugoslawiens. 1974/75 Bot¬
schaftsrat in Bonn und Teilnehmer der KSZE-Gründungs¬
auch stirbt. Sterben muss. Sterben darf... Dichtung ist Exil per
se. Wenn das jetzt ein Widerspruch zu dem Preis stehen soll¬
te, der hier verliehen wird, bitte ich um Entschuldigung, um auf
noch einen großen Kollegen und Autor zu kommen, zitiere ich:
Hier stehe ich, Gott helfe mir, ich kann nicht anders.
Lächelt da jemand? Hoffentlich. Dann bitte ich Rilke, mir
zu helfen zum Ende zu kommen, wenn ich Worte über Milo Dor
als nicht mehr unter uns auf dem Planeten Erde weilenden
Freund suche:
Der Tod ist groß.
Wir sind die Seinen
lachenden Munds.
Wenn wir uns mitten im Leben meinen,
wagt er zu weinen
mitten in uns.
konferenz in Helsinki 1975, der Gipfelkonferenz der Blockfreien
in Havanna 1979. 1982-1988 Generalsekretär des jugoslawi¬
schen Schriftstellerverbandes. Im kriegerischen Zerfallsprozeß
Jugoslawiens engagierte er sich wie auch Milo Dor entschie¬
den für eine friedliche Auseinandersetzung und Wiederan¬
näherung. Neben seiner journalistischen Tätigkeit in Österreich
und Deutschland übersetzte er aus dem Deutschen und Ungari¬
schen ins Serbische u.a. Werke von Günter Grass, Heinrich Böll,
Max Frisch, Karl Jaspers, Milo Dor. Lebt seit 1992 als freier
Schriftsteller in Belgrad und Wien. Zuletzt erschienen: Ein un¬
garischer Herbst (Roman, Wien 1995); Das Kinderfräulein
(Roman, Wien 1998); Der Aschenmensch von Buchenwald
(Roman, Wien 1999); Die Tänzerin und der Krieg (Roman, Wien
2002).
Es ist für mich als Vorsitzenden der TKG eine Ehre und Freude,
heute Worte für Milo Dor sprechen zu dürfen, aber zugleich
schmerzhaft, Milo Dor nicht mehr direkt ansprechen zu kön¬
nen. Der Tod wollte und will es anders. Die Jury des Theodor
Kramer Preises für Schreiben im Exil und im Widerstand
(Siglinde Bolbecher, Erich Hackl, Primus-Heinz Kucher, Eva
Schobel, Daniela Strigl) hat ihm den Preis zugesprochen — zu
einem Zeitpunkt, als Milo Dor noch unter uns war und wir hof¬
fen durften, ihn zur feierlichen Verleihung begrüßen zu dürfen.
Milo Dor, geboren am 7. März 1923 als Milutin Doroslovac
in Budapest, wuchs in Groß-Betschkerek und in verschiedenen
Dörfern des Banats und der Batschka auf. 1933 übersiedelte die
Familie nach Belgrad. Seine ersten Veröffentlichungen er¬
schienen 1937 in serbischen Schülerzeitschriften. Als Gym¬
nasiast war er Mitglied des Bundes der kommunistischen Jugend
Jugoslawiens. Wegen politischer Tätigkeit wurde er 1940 vom
Schulbesuch ausgeschlossen. 1941 legte er die Externistenmatura
ab. Im antinazistischen Widerstand tätig, wurde er 1942 verhaftet
und 1943 als Zwangsarbeiter nach Wien deportiert. 1944 wur¬
de Milo Dor erneut verhaftet und in Gestapo-Haft genommen.
Bei Kriegsende entlassen, blieb Milo Dor in Wien. Er studiert
Theaterwissenschaft und Romanistik an der Universität Wien
und wurde Beiträger u.a. der Literaturzeitschrift „Plan“ (hg. von
Otto Basil), wo auch sein erster auf Deutsch geschriebener Text
„Worte auf die graue Wand geschrieben“ (1944/45 in der Haft
entstanden) publiziert wurde. Ab 1949 ist Milo Dir als freibe¬
ruflicher Schriftsteller und Journalist tätig und bekommt 1951
die Gelegenheit, bei einer Tagung der „Gruppe 47“ zu lesen.
1950 war er, dessen materielle Lage in Wien aussichtslos scheint,
in die BRD gegangen. Seit den 1970er Jahren engagierte sich
Dor unentwegt für die Rechte und beruflichen Anliegen seiner
SchriftstellerkollegInnen, als Präsident der IG Autoren, als Vize¬
Präsident und Ehrenmitglied des österreichischen P.E.N.
Clubs oder als Präsident der Literarischen Verwertungsgesell¬
schaft. Zuletzt lebte Milo Dor in Wien und Rovinj.
Milo Dors Werk ist nicht nur sehr umfangreich, sondern auch
sehr vielschichtig und umfaßt viele Genres: Erzählungen, Essays,
historische Romane, Kriminalromane (oft gemeinsam mit
Reinhard Federmann), Reportagen, Drehbücher, Hörspiele- und
Fernsehspiele, Texte für Kinder und Jugendliche und TV¬
Features. Dors autobiographisch getönter Roman „Tote auf
Urlaub“ erschien 1952 und schildert den Lebensweg eines ser¬