granten“ wußte auch die „sozialdemokratische Nepszava
(Volksstimme) zu berichten.”
Jene unter ihnen, die aufgrund ihrer Prominenz, ihrer all¬
gemein bekannten konservativen politischen Einstellung sowie
der Tatsache, daß sie Ungarn nur als Transitland in Anspruch
zu nehmen gedachten, wenig zu befürchten hatten, wurden so¬
gar namentlich aufgeführt: Alwine Dollfuß (Engelbert Dollfuß’
Witwe) samt Tochter und Sohn, Graf Richard Coudenhove¬
Kalergi nebst (jüdischer) Gattin (Ida Roland), Adelhaid, Eugen,
und Felix von Habsburg-Lothringen”, Baron Friedrich Wiesner,
sowie die Schauspielerin Nora Gregor, die als Gattin von Ernst
Rüdiger Starhemberg auch zu dieser illustren Gesellschaft gehör¬
te. Die Genannten waren über Pressburg nach Budapest gereist.
Den Weg durch die Tschechoslowakei, um von Ungarn aus wei¬
terzuflüchten, wählten auch Alma Mahler-Werfel mit ihrer
Tochter sowie Guido Zernatto und seine Gattin, die vom fran¬
zösischen Konsulat i in Pressburg mit falschen Pässen ausgestattet
worden waren . Normalsterbliche hätten um den 13. März her¬
um (und selbstredend auch danach) schon wesentlich schlech¬
tere Aussichten gehabt, unbehelligt die Grenze nach Ungarn zu
passieren. Insbesondere dann, wenn sie sich für den direkten
und „legalen“ Weg entschieden hätten und beispielsweise per
Zug oder Auto hätten anreisen wollen.
Züge aus Wien, randvoll mit österreichischen Flüchtlingen
besetzt, wurden bereits in der Nacht vom 11. auf den 12. März
an der Grenze in Hegyeshalom angehalten, alle Reisende nicht
ungarischer Staatsangehörigkeit zum Aussteigen aufgefordert
und mit bereitstehenden Zügen nach Wien zurückgeschickt.
Am 13. März staute sich — laut Virradat — an der österreichisch¬
ungarischen Grenze eine Fahrzeugkolonne mit „1.200 Männer
und Frauen typischen Aussehens und fraglicher Staatsange¬
hörigkeit, die teils fordernd, teils bettelnd“ um Einlaß nachsuch¬
ten. Diesen „Elementen“, so hieß es in dem antisemitischen
Schmutzblatt weiter, welchen es noch am 11. März gelungen
sei in Györ (Raab) und Umgebung sämtliche vorhandenen Hotel¬
zimmer zu belegen, sei die Einreise nach Ungarn aber jetzt durch
die ungarischen Grenzorgane verwehrt. Von österreichischen
Flüchtlingen, die die Grenze bei Sopron mit ihren Fahrzeugen
passieren wollten, aber gezwungen wurden, „kehrt zu machen“,
war am 15. März 1938 auch im Soproni Hirlap zu lesen.
Daß man mit dem Schnellzug Wien-Pressburg-Neuhäusel un¬
gestörter aus Wien nach Ungarn gelangen konnte als mit der
direkten Verbindung Wien-Budapest, fiel sehr bald auch den un¬
garischen Behörden auf, die ab 13. März auch diese Verbindung
unterbrachen.
Spätestens ab 18. März sahen sich potentielle Flüchtlinge aus
Österreich auch mit administrativen Maßnahmen konfrontiert.
So wurde etwa der Visumszwang für Inhaber österreichischer
Pässe wieder eingeführt” und in der Folge auch die günstigen
aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen aus dem Jahre 1930 außer
Kraft gesetzt —- in der Praxis schon lange vor dem offiziellen
Inkrafttreten der im Januar 1939 veröffentlichten diesbezügli¬
chen Verordnung des Innenministeriums. Interne Anweisungen
belegen zudem eindeutig die aus den offiziellen Texten nicht
herauslesbare antisemitische Stoßrichtung der damals vom un¬
garischen Innenministerium eingeschlagenen Linie.
Ein treffendes Beispiel hierfür liefert die Ausnahmeregelung,
die die ungarische Fremdenpolizei (KEOKH) im Juni 1938 in
Sachen ‚Aufenthalt ehemals österreichischer Staatsbürger in
Kur- und Erholungsorten“ traf. Da zu befürchten war, daß die
neuen restriktiven Einreise- und Aufenthaltsbestimmungen fi¬
nanzielle Einbußen im Fremdenverkehr mit sich bringen könn¬
ten, wurden die mit der Fremdenüberwachung im Lande be¬
auftragten regionalen Polizeibehörden darauf aufmerksam ge¬
macht, daß „ehemalige österreichische Staatsbürger arischer
Abstammung“ sehr wohl berechtigt seien, sich sechs Wochen
lang in den Kur- und Erholungszentren Ungarns aufzuhalten.
Aber eben „ausschließlich nur sie“, wie der Leiter des KEOKH
(damals Amon Päsztöy) im vorletzten Absatz seiner internen
Anweisung noch einmal „ausdrücklich“ zu betonen pflegte.
Österreichischen Staatsbürgern ohne „arische Abstammung“
wurde — sofern ihre Pässe mit Rückreisegenehmigungen und
gültigen Einreisevisa versehen waren —in der Regel nur noch
ein Aufenthalt von maximal zwei Wochen gestattet . Ab Oktober
1938 dehnten die ungarischen Behörden diese Bestimmung auf
alle sogenannten „reichsdeutschen“ Juden aus.
Solange die österreichischen Reisepässe ihre Gültigkeit be¬
hielten, werden für die ungarischen Behörden nur sogenannte
„Glaubensjuden“ erkennbar gewesen sein. Dies änderte sich,
als ab 31. Dezember 1938 ehemalige österreichische Staatsbür¬
ger sich in Un; arn nur noch mit reichsdeutschen Pässen auf¬
halten durften. Das Zeitalter der Zwangsvornamen und der ,,J¬
Pässe“ war nunmehr angebrochen.
Sogenannte „Nichtarier“ konnten die ungarischen Behörden
jedoch bereits vor diesem schicksalhaften Datum erkennen. So
ist einem Schreiben des ungarischen Innenministeriums bereits
im August 1938 zu entnehmen, daß sich schon zu diesem
Zeitpunkt österreichische Juden im Besitz reichsdeutscher Pässe
befanden, die sich von den Pässen „arischer“ Inhaber dadurch
unterschieden, daß ihre Gültigkeit nicht „fünf Jahre“ betrug, s son¬
dern nur zwischen „zwei Monaten und einem Jahr“ lag...
Einer Meldung der „Geheimen Staatspolizei — Grenzposten
Bruckneudorf“ zufolge nahmen zudem die ungarischen
Grenzorgane spätestens seit Januar 1939 den nach Ungarn ein¬
reisenden Juden bei ihren Grenzübertritt die „J-Pässe“ ab. Diese
wurden nach Budapest bzw. „denjenigen Gendarmerieposten“
übersandt, der vom Einreisenden als Reiseziel angegeben wor¬
den war. Diese Maßnahme sollte verhindern, daß die nach Un¬
garn einreisenden Juden vom angegebenen Reiseziel (Auf¬
enthaltsort) abwichen und somit eine lückenlose Überwachung
garantieren.
Für einen illegalen Grenzübertritt besonders geeignet war die
Region zwischen den Städten Köszeg (Güns) und Szentgotthärd
(bewaldetes Gebiet und bis 883 Meter hohe Gebirgsrücken).
Glaubt man der faschistischen Hetzpostille Virradat, so sind auf
den von Schmugglern seit jeher bevorzugten Pfaden dieses
annähernd 60 km langen Grenzabschnittes mehr ,,6sterreichi¬
sche Flüchtlinge“ nach Ungarn gelangt als über sämtliche rest¬
liche Grenzen des Landes. Doch auch die ein wenig nördli¬
cher gelegenen Regionen um Ödenburg und Magyarévar
(Ungarisch-Altenburg) boten fiir so manchen Fliichtling aus
Österreich eine Einlaßpforte.
Daß von der Möglichkeit, unbemerkt die „grüne Grenze“ zu
überschreiten, seinerzeit ausgiebig Gebrauch gemacht wurde,
belegen zahlreichen Berichte über unmittelbar an der Grenze
oder im Grenzhinterland aufgegriffene Flüchtlinge. In der Regel
wurden die aus Österreich „illegal“ aufungarisches Gebiet ge¬
langten Flüchtlinge von den ungarischen Behörden — nach Ver¬
büßung einer mehrtägigen Haftstrafe — wieder zurück über die
Grenze abgeschoben oder, wie es in der Presse beschönigend
hieß, an die Grenze verbracht und dort aufgefordert „nach Hause
zurückzukehren“. Was die Aussicht, in das von den Nazis be¬
setzte Österreich überstellt zu werden, im Einzelfall bedeute¬
te, brauche ich hier nicht zu erläutern.