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trem rechte Ministerpräsident Ungarns, der für den Geschmack von Horthy zu enge Kontakte zu den Deutschen pflegte. Als entdeckt wurde, dass seine Großmutter eine getaufte Jüdin war, wurde er vom Reichsverweser entlassen und überall wurde dieses Liedchen gesungen, das aussagt, auch Imre&dy ist kein Goi, kein Nichtjude. Die Nazis kümmerte das nicht, er wurde nach der Besetzung Ungarns im Mai 1944 wieder Mitglied der Regierung und nach dem Krieg vom ungarischen Volksgericht zum Tode verurteilt und 1946 hingerichtet. In der Jugendbewegung wurde unsere Aufmerksamkeit auf den proletarischen Dichter Attila Jözsef gelenkt, der noch vor dem Krieg Selbstmord begangen hatte. Er war Kommunist gewesen, wurde aber von der Partei ausgeschlossen, um nach dem Krieg dann idealisiert zu werden. Im Sommer 1942, fünf Jahre nach seinem Tod, organisierte seine Schwester eine antifaschistische Gedenkveranstaltung im Vigadö, nicht weit vom Donauufer, und wir von der Bewegung gingen hin und nahmen teil. Am Tag, als die Sowjetunion angegriffen wurde, machten wir einen Ausflug in den Hügeln von Buda. Als wir zurückkamen, hörten wir die Zeitungsverkäufer rufen, Krieg mit der Sowjetunion. Ich war überzeugt, dass die Rote Armee, die Invasoren sofort aus dem Land jagen werde, wurde aber enttäuscht. Zunächst rückte die Wehrmacht in Gewaltmärschen vorwärts. Es muss im Winter 1941/42 gewesen sein, als ich wieder einmal als armer Halbwaise bei der Familie Lessner, mit der ich nicht verwandt war, zum Mittagessen eingeladen war. Sie waren die Besitzer einer der großen Weinkellereien in Ungarn und wohnten in einer herrschaftlichen Wohnung. Beim Mittagstisch sagte ich unverblümt, ich hoffe, dass die Rote Armee in Budapest einmarschieren würde. Onkel Lajos, der nur mit Stock ging, stand aufund wollte mit dem Stock auf mich einschlagen. Seine Frau Anna rettete mich, doch von nun an durfte ich nicht mehr im Wohnzimmer essen, sondern bekam mein Essen bzw. ein Esspaket in der Küche ausgefolgt. 1951 erzählte mir Tante Anna in Wien, wie die Geschichte weiterging. Die „arische“ Schwiegertochter von Lessner lebte mit ihrem Sohn auch in Budapest. Als am 15. Oktober 1944 die Pfeilkreuzler die Macht ergriffen, wurde im Radio verkündet, dass auf der Stelle erschossen werde, wer Juden bei sich beherberge oder verstecke. Die Schwiegertochter verlangte von den Lessners, ihre Wohnung zu verlassen, und sie gingen in den nahen Park und hatten vor, sich mit dem Zyankali, das sie sich besorgt hatten, umzubringen. Doch es kam nicht dazu. Sie hatten in Tapolca, wo ihre Weingärten lagen, einen mittellosen begabten Schüler unterstützt, dessen Studium an der Universität bezahlt. Dieser war Beamter der Stadtverwaltung von Budapest geworden und erinnerte sich seiner Wohltäter. Er suchte sie bei der Schwiegertochter und fand sie im Park. Er verfrachtete die beiden in sein Auto und brachte sie in sein Wochenendhäuschen am Stadtrand von Budapest, wo sie bis zur Befreiung durch die Rote Armee blieben. Als die russischen Soldaten einmarschierten, kochten sie in großen Kesseln Erbsensuppe für die ausgehungerte Bevölkerung. Und Tante Anna erzählte, wie ihr Mann sich nach vordrängte, um dem ersten sowjetischen Soldaten die Hand zu küssen. Ende 1941 Anfang 1942 glaubten er und die überwiegende Mehrheit der Juden, dass die antijüdischen Gesetze nur eingefuhrt worden seien, um Schlimmeres zu vermeiden, dass man dem mächtigen Deutschland entgegenkommen müsse und Horthy sie beschützen würde. Eine solche Politik hätte vielleicht die Chance gehabt, ihr Ziel zu erreichen und die ungarischen 44 Juden zu retten, wenn die Machthaber die extremen Rechten konsequent zurückgedrängt hätten, doch genau das Gegenteil davon geschah. Die antijüdische Gesetzgebung ermunterte die extreme Rechten, und auf deren Druck wurden die Gesetze noch verschärft. Mein Gefühl war widersprüchlich. Einerseits begeisterten uns die Gedichte von Attila Jözsef und die Lieder der sozialdemokratischen Chöre, andererseits sahen wir die Zeichen an der Wand. Antisemitische Filme — die meisten aus Deutschland importiert — wurden in den Kinos gezeigt und die Juden als bequemer Sündenbock für alle Schwierigkeiten angeprangert. Ab Sommer 1942 wusste ich, dass ich Ungarn verlassen würde, und verabschiedete mich von der Familie. Die Verwandten versuchten mich zu überzeugen, in Ungarn zu bleiben. Einige machten mich damals sogar auf einen Ahnen aufmerksam, der schon unter Kossuth 1849 gegen Österreich gekämpft hatte. Zum Glück hegte ich aufgrund meiner Erfahrungen keine Illusion über die Haltung der meisten Ungarn. Allein meine Cousine Juci befürwortete meine Abreise. Am Tag der Abreise trafen wir uns alle in der Nähe des Ostbahnhofs, im Turnsaal der jüdischen Schule, wo ich mich von meinem weinenden Vater verabschiedete. Ich versuchte ihn zu trösten, dass ich und meine Bruder ihn zu uns holen würden, doch seine Tränen versiegten nicht. Juci begleitete mich zum Bahnhof. Ich sollte sie erst im Herbst 1955, zwölf Jahre später, wieder treffen. Karl Pfeifer, Journalist. 1928 in Baden bei Wien geboren. 1938 Flucht mit den Eltern nach Ungarn. 1943 nach Palästina; Kibbuz. 1947-49 in der Elitetruppe Palmach. 1951 Rückkehr nach Österreich. 1982-95 Redakteur der Zeitschrift der Israelitischen Kultusgemeinde „Die Gemeinde“. Korrespondent des israelischen Radios, des antifaschistischen Londoner Magazins „Searchlight“ und der Budapester Wochenzeitung „Hetek“. Jonny Moser Wallenbergs Laufbursche Jugenderinnerungen 19381945 Wien: Picus 2006 — 392 S., geb./Schutzumschlag 7) ISBN 978-3-85452-615-5 23,90 Euro __ Ein Zeitzeugnis iiber Wallenbergs Rettungsaktion für die Budapester Juden. Im April 1938 schoben Nationalsozialisten die jüdische Bevölkerung aus dem burgenländischen Parndorf nach => Ungarn ab, darunter den 13jährigen Jonny Moser. Damit begann die siebenjährige Flucht seiner Familie, die sie in mehrere ungarische Lager führte. Mehrmals entkam sie nur knapp der Auslieferung an die NS-Vernichlurigstnaschinerie. Mosers Farnilie wird im Sommer 1944 Uberraschend aus einem Lager entlassen. Ungarische Freundinnen stellen Jonny in der schwedischen Gesandtschaft Budapests Raoul Wallenberg vor...