Urheberin der Relativierungen des Holocausts; Schmidt wört¬
lich: „Im Zweiten Weltkrieg ging es nicht um das Judentum,
um den Völkermord. So leid es uns auch tut: Der Holocaust,
die Ausrottung oder Rettung des Judentums war ein neben¬
sächlicher, sozusagen marginaler Gesichtspunkt, der bei keinem
Gegner das Kriegsziel war.“
Ein Blick in die ungarische Geschichte zeigt allerdings, daß es
für die Volksseele psychologisch schwer verdauliche Ereignisse
gab, die bis heute verhindern, sich unbeschwert im Spiegel der
Geschehnisse zu besehen.
Bereits vor Beginn des Zweiten Weltkrieges erließ nämlich
die ungarische Regierung unter Reichsverweser Admiral
Miklös Horthy antisemitische Gesetze. 1938 und 1939 wurde
mit zwei so genannten Restriktionsgesetzen die Ausgrenzung
der Juden betrieben: Ihr Anteil in der Wirtschaft und in den frei¬
en Berufen wurde zunächst auf 20 und schließlich auf sechs
Prozent beschränkt; schon viel früher, nämlich 1920, hatten da¬
bei „christliche“ Studenten einen Numerus clausus gegen ihre
jüdischen Kommilitonen durchgesetzt.
Ab 1939/1940 wurden Juden gezwungen, als Hilfskräfte des
Arbeitsdienstes (Munkaszolgälat) Zwangsarbeit zu leisten. Diese
Maßnahmen erfolgten in ungarischer Eigenregie, war doch die
„Hungaristen“-Partei der Pfeilkreuzler bereits 1939 die zweit¬
stärkste Kraft im Parlament.
Außenpolitisch hatte sich Ungarn durch den Beitritt zum
„Dreimächtepakt“ (Deutschland, Italien, Japan) im November
1940 der Hegemonialmacht Deutschland verpflichtet. Es folg¬
ten die Teilnahme an der Besetzung Jugoslawiens im April 1941
und der Krieg gegen die Sowjetunion. „Die Ungarn waren
Opportunisten, die sich dem deutschen Lager zum Zweck des
Gebietserwerbs anschlossen“, schreibt dabei Raul Hilberg in dem
Standardwerk „Die Vernichtung der europäischen Juden“
(Fischer Verlag): „Mit deutscher Hilfe wurde eine dreifache
Expansion — nach Norden in die Tschechoslowakei, im Osten
nach Rumänien und im Süden nach Jugoslawien — in weniger
als drei Jahren erreicht.“ Wobei die Ungarn in alledem eine
Revision des Vertrages von Trianon (1920) sahen, durch den
sie nach dem Ersten Weltkrieg große Gebietsverluste hinneh¬
men hatten müssen.
Dennoch: Bis 1944 lebten die 750.000 ungarischen Juden
durchaus auf einer Art Insel inmitten eines zerstörten Europas,
während die deutsche Vernichtungsmaschinerie eine jüdische
Gemeinde nach der anderen auslöschte. Doch in Berlin hatten
die braunen Schreibtischmörder auf ihren relativ unabhängig
agierenden Verbündeten Ungarn dennoch nicht vergessen.
Typisch für die Situation war Horthys Begegnung mit Hitler auf
Schloß Kleßheim/Salzburg im April 1943: Auf deutschen
Wunsch betreffend die Verschärfung der antisemitischen Poli¬
tik reagierte der ungarische Reichsverweser mit der Bemerkung,
er habe den Juden nun schon so ziemlich alle Lebensmög¬
lichkeiten genommen - erschlagen könne er sie doch nicht.
Daraufhin schaltete sich der deutsche Außenminister Ribbentrop
in das Gespräch ein und erklärte, daß die Juden entweder ver¬
nichtet oder in Konzentrationslager verbracht werden müßten...
einen anderen Ausweg gebe es nicht.
Und tatsächlich — genau das geschah: Am 19. März 1944 be¬
setzten deutsche Truppen Ungarn, um ein Ausscheren der
Magyaren aus dem Kriegsbündnis zu verhindern.
Zugleich erreichte die Shoah die ungarischen Juden: Adolf
Eichmann unterteilte das Land in sechs Zonen, aus denen die
Deportationen stattfinden sollten. Die ersten zwei Züge verließen
Ungarn am 27. und 28. April 1944. Bis zum 9. Juli, dem Ab¬
schluß der Säuberungen von fünf Zonen — nur die sechste Zone,
Budapest, blieb vorerst ausgespart —, waren nach Angaben des
SS-Brigadeführers Edmund Veesenmayer 437.402 Juden in
Viehwaggons gepfercht worden. Die Mordmaschine hatte sich
perfektioniert: Noch nie wurden innerhalb so kurzer Zeit so vie¬
le Menschen in den sicheren Tod geschickt. „Aber Ungarn war
das einzige Land, in dem die Täter bereits zu Beginn ihrer Tat
wußten, daß der Krieg verloren war“, schreibt der Historiker
Hilberg dazu.
Nur noch die Budapester Juden blieben bis zum Putsch der
Pfeilkreuzler-Partei am 15. Oktober 1944 von den Deportationen
ausgenommen. Eichmann hatte die Juden in der Hauptstadt so
ghettoisiert, daß sie in der Nähe von vermeintlichen Luftan¬
griffszielen der Alliierten lagen; gleichzeitig waren sie dem zum
Teil außergewöhnlich brutalen Terror der heimischen Pfeilkreuz¬
ler ausgesetzt.
Und es waren ungarische Gendarmen, die zwischen dem 14.
Mai und dem 9. Juli 1944 das Zusammentreiben der Juden
durchführten. Aber immerhin: Bei der Befreiung Budapests
durch die Rote Armee im März 1945 waren noch 120.000 Juden
am Leben.
Die Sache mit der Synagoge
Bei alledem stellt sich die Frage: Kann man Mord und Mord
gleich gewichten?
„Nun — wir haben uns im ‚Museum des Terrors’ deshalb ver¬
stärkt der Aufarbeitung der kommunistischen Ära gewidmet,
weil damals im Regierungsbeschluß sowieso die gleichzeitige
Errichtung eines Holocaust-Museums vorgesehen war“, recht¬
fertigt sich Gäbor Tallai heute. Und tatsächlich wurde am 15.
April 2004 auch ein Holocaust-Museum in Budapest eröffnet
— das fünfte seiner Art weltweit und das erste in Osteuropa.
Aber Tallai verschweigt schamhaft, daß erst der anhaltende
und internationale Protest gegen die einseitige Lesart der un¬
garischen Geschichte a la Maria Schmidt es gewesen war, der
die Regierung Orban so sehr erschreckte, daß sie den Weg für
das Holocaust-Museum überhaupt freimachte. Wobei sich nicht
nur am „Haus des Terrors“, sondern auch am Holocaust-Museum
scharfe Kritik entzündete. Denn die Pava utca, wo sich eine ehe¬
malige Synagoge befindet, ist eine enge Seitenstraße weit außer¬
halb des Stadtzentrums. „Man muß von der Existenz des
Museums schon etwas wissen — ansonsten würde es keinen
Fremden in diese trostlose Ecke der Stadt verschlagen“, kriti¬
siert Richard Chaim Schneider in der Wochenzeitung „Die Zeit“
den Standort des Holocaust-Museums. Mit dieser „Verbannung“,
so die Kritiker, werde zusätzlich und bewußt der Holocaust aus
dem Bewußtsein der ungarischen Gesellschaft verdrängt und
an den Rand geschoben. Imre Kertész, Literaturnobelpreistrager
und Auschwitz-Überlebender, ging seinerzeit so weit, an der
Eröffnung nicht teilzunehmen. Denn er empfand — wie viele an¬
dere Juden in Ungarn und im Ausland auch — das Verhalten der
Regierung als skandalös: Der Holocaust sei eine gesamtge¬
sellschaftliche Angelegenheit und keine Frage des Judentums,
schon gar nicht der jüdischen Religion...
Aber auch im Holocaust-Museum war nach der Eröffnung
zum Beispiel nichts über den Antisemitismus der zwanziger und
dreißiger Jahre zu erfahren, nichts auch über die Ära Horthy....
mittlerweile meinten die blauäugigen Verantwortlichen, daß das
alles noch erwähnt werden würde... bis freilich die aktuelle un¬
garische Parteipolitik den Plan vereitelte. Diesmal war es der