Tradition spezifischer österreichischer Kultur in einer Zeit, da
es in Österreich selbst kein Österreich geben durfte.
Diese und andere Aktivitäten sind in Österreich negiert
worden. Genau so, wie nach 1945 nichts unternommen worden
ist, um die vertriebenen Künstlerinnen und Künstler, Wissen¬
schaftlerinnen und Wissenschaftler zurückzuholen, geschwei¬
ge denn, um ihnen Raum zu geben für die Darstellung ihres
vielfältigen Wirkens. Und nicht zu vergessen ein Wirken, von
dem wir heute immer noch zehren.
Womöglich wäre uns die Reflexion auf Geschehenes leichter
gefallen, wäre nicht so lange und beständig versucht worden,
diejenigen zu verneinen, die ein freies und friedliches Öster¬
reich immer bejaht haben.
Denjenigen die trotz allem zurück gekommen sind, stand ei¬
ne Mauer aus Abweisung und Ignoranz gegenüber. Als Einzelne
wie als Kollektiv wurden sie Ziele von bewussten und mani¬
festen Agitationen.
Erst in den vergangenen Jahrzehnten hat das offizielle
Österreich begonnen, sich seiner Vertriebenen und ins Exil Ge¬
flüchteten auf ehrliche Weise zu erinnern.
Und so wird nunmehr auch seit einiger Zeit die Exilfor¬
schung systematisch betrieben: dies drückt sich wohl unter an¬
derem auch darin aus, dass allein die von der Theodor Kramer
Gesellschaft seit 1987 mitgetragene Buchreihe zur antifaschi¬
stischen und Exilliteratur bereits 21 Bände umfasst!
Der vorliegende 21. Band steht unter dem Titel: „In welcher
Sprache träumen Sie?“
Diese Zeile eines Gedichts von Herbert Kuhner macht uns
in besonderer Weise auf die Bedeutung der Sprache für die ins
Exil getriebenen Schriftstellerinnen und Schriftsteller auf¬
merksam:
Einerseits hat ihnen gerade das Wort, gerade die Sprache ei¬
ne Möglichkeit eröffnet, ihre Exilerfahrung auszudrücken,
nachvollziehbar zu machen, vielleicht sogar zu verarbeiten.
Andererseits hat sie ihre Beziehung zur Sprache aber natür¬
lich auch dem Sprach-Verlust des Exils besonders ausgesetzt:
war ihrem Geist die Muttersprache doch das, was Luft für die
Lungen — wie Polgar es ausgedrückt hat.
Nicht weniger als 278 Lyrikerinnen und Lyriker stellt uns das
Buch vor. Die meisten von ihnen sind durch die nationalso¬
zialistische Gewaltherrschaft ins Exil getrieben worden, eini¬
ge in die „innere Emigration“ gegangen. Einige, wie Rose Aus¬
länder und Paul Celan, konnten erst nach dem Ende der NS¬
Blick in den Plenarsaal. Foto: W. Fried/Archiv der TKG
Herrschaft ins Exil gehen und hatten an den traumatischen Er¬
lebnissen der Verfolgung um so mehr zu tragen.
Ich darf Ihnen, meine Damen und Herren, dieses Buch ans Herz
legen. Ich darf aber gleichzeitig auch den Herausgebern und der
Herausgeberin danken, die sich der Mühe unterzogen haben,
auch zum Teil weniger bekannte Texte zusammenzutragen:
— Der Schauspieler Miguel Herz-Kestranek, selbst einer ver¬
triebenen und zurückgekehrten Familie entstammend, be¬
schäftigt sich bereits seit vielen Jahren mit der österreichischen
Exilliteratur. Viele unter uns werden sich noch an seine Lesung
aus Werken der Exilliteratur erinnern, die er im Rahmen des Ge¬
denktages gegen Gewalt und Rassismus 2003 hier im Parlament
gehalten hat.
Ruth Klüger und Harry Kuhner. Foto: W. Fried/Archiv der TKG
— Der Literaturwissenschaftler Konstantin Kaiser hat sich auf
die Erforschung der österreichischen Exilliteratur speziali¬
siert. Er ist Mitbegründer der Theodor Kramer-Gesellschaft und
Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Exilforschung.
— Die Literaturwissenschaftlerin und -kritikerin Daniela Strigl
ist unter anderem durch eine Monographie über die Lyrik
Theodor Kramers hervorgetreten.
Mit großem Interesse sehe ich Ihren Ausführungen zu dem von
Ihnen herausgegebenen Buch entgegen, die nun folgen werden!
Meine Damen und Herren!
Gestatten Sie mir noch eine abschließende Bemerkung:
Wenn wir im Gedenken an die Verbrechen des Nationalso¬
zialismus „Nie wieder!“ sagen, dann sollten wir nicht verges¬
sen, dass Flucht und Exil mit dem Untergang des Nationalso¬
zialismus nicht ihr Ende gefunden haben, sondern auch seither
und bis heute gegenwärtig sind — gegenwärtig insbesondere in
jenen Menschen, die in Österreich Asyl suchen und die auf un¬
sere Gastfreundschaft ebenso angewiesen sind, wie die öster¬
reichischen Exilantinnen und Exilanten der NS-Zeit von der
Aufnahmebereitschaft ihrer Gastländer abhängig gewesen sind.
Gerade im Licht des öffentlichen Diskurses der jüngsten Ver¬
gangenheit ist es mir ein besonderes Bedürfnis, an dieser Stel¬
le zu sagen: Aus der Geschichte gelernt zu haben, heißt auch,
die Menschen, die zu uns fliehen, so aufzunehmen, wie wir
selbst uns wünschen würden, aufgenommen zu werden, wenn
wir die Heimat verlassen müssten.