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Franz Wurm, geb. 1926 in Prag. 1932-39 Besuch der Deutschen Volksschule und des Gymnase real frangais in Prag. 1939 nach England. 1939-43 Studium am Cheltenham College, anschließend bis 1947 am Queen ’s College in Oxford. 1947-49 in London, danach in Zürich. 1966-69 Leiter des Kulturprogramms von Radio DRS. 1969-71 Aufenthalt in Prag. 1974 Aufenthalt in Tel Aviv; gründete und leitete gemeinsam mit Moshe Feldenkrais das Feldenkrais Institut Zürich. Heirat mit Barbara Z’Greggen. Lebt seit 2003 im Tessin. Übersetzte u.a. Rene Char, Michael Hamburger, Henri Michaux, Moshé Feldenkrais, Vladimir Holan, Vitézslav Nezval, Jan Skacel. Bücher (Auswahl): Anmeldung (Gedichte, Zürich 1957); Anker und Unruh (Gedichte, Frankfurt/M. 1964); Hundstage (Gedichte, mit Zeichnungen von Gisele Celan-Lestrange, Zürich 1986); In diesem Fall (Gedichte, Zürich 1989); Dirzulande (Gedichte, Wien 1990); Briefwechsel mit Paul Celan 1960-70 (Frankfurt/M. 1993); 53 Gedichte (Zürich 1996); Orangenblau (Gedichte, Denklingen 1998); Womit (Gedicht, Denklingen 2006). Michael Freisager „Die Schottenbastei war die Hölle auf Erden“ Aus dem Manuskript „Die Flucht“. Mitgeteilt von Renate Göllner Die Schottenbastei war die Hölle auf Erden. Ich bin sicher, niemand von unseren Eltern hatte eine Ahnung, was uns hier jeden Morgen erwartete. Wir traten ein in eine andere Welt, in der das Gesetz des Stärkeren herrschte, wo gnadenlos auf die Kleineren, Schwächeren eingeprügelt wurde, alle Sorten jugendlichen Sadismus gediehen. Nach der Schule auf dem Heimweg wurde einem aufgelauert, man wurde geschlagen, verhöhnt, die Bücher wurden einem weggenommen. Wenn man in einem fremden Viertel, einer fremden Gasse Buben einer anderen Schule begegnete, wußte man, was einem blühte. Das hatte nicht unbedingt mit Antisemitismus zu tun, der kam dazu, war dann das Tüpfchen auf dem ‚i’. Die Lehrer (Professoren genannt) griffen nie ein, betraten die Klasse spöttisch distanziert, entschwanden nach dem Unterricht in ihre eigene Sphäre. Ich habe auch nie erlebt, daß sie einem schwächeren Schüler in irgendeinem Unterrichtsfach geholfen hätten. Bezeichnend war auch, daß wir diese täglichen Katastrophen zu Hause verschwiegen, in einer uns selbst auferlegten Omerta. Um so erstaunter war ich, als ich später in Frankreich einen völlig anderen Umgang der Schüler untereinander vorfand. Ich erinnere mich an meine ersten Tage in Nizza. Fasziniert vom Meer, wanderte ich tagelang den Strand entlang. Es war Anfang April, graues, aber nicht unfreundliches Wetter. Gegen die VarMündung dünnte sich damals die Bebauung aus. Auf einmal sah ich zwei größere Buben mir entgegenkommen. Zum Ausweichen war es zu spät. Ich dachte: „Das kann ja heiter werden.“ Die beiden waren in ein Gespräch vertieft, gingen an mir vorbei, fast ohne mich wahrzunehmen. Das wäre in Wien undenkbar gewesen. Für mich fand ich, aus purer Verzweiflung, eine Lösung des Problems. Ich entdeckte, daß selbst ein größerer und stärkerer Gegner aus dem Konzept gebracht wird, wenn man die Präliminarien einer Prügelei, will heißen das Wortgefecht, welches ihr vorangeht, durchbricht, sofort zuschlägt, möglichst ins Gesicht... Viel später, an der Kunstgewerbeschule Zürich, war ich dafür bekannt, daß ich, fiel in meiner näheren Umgebung das Wort „Saujud“, zu dem Betreffenden hinging, an ihm hochsprang, wenn er größer war, und ihm eine schallende Ohrfeige gab. Meist war der andere so verdutzt, daß jede Reaktion ausblieb. So wurde ich selbst zum Schläger. Das hatte mich verändert, mich aggressiv gemacht, auch zu Hause war ich nicht mehr der liebe Bub. Vally [das Dienstmädchen, R.G.] fand, sie sei mir nicht mehr gewachsen, kränkte sich, kündigte, verschwand still und lautlos aus meinem Leben. Ich besuchte sie noch einmal an ihrem neuen Arbeitsplatz, aber da war sie schon nicht mehr meine Vally, stand schon Verlegenheit und Fremdheit zwischen uns. Aufhalber Höhe, der schon damals stillgelegten Zahnradbahn Nußdorf-Kahlenberg, inmitten dazugehöriger Weinberge, eine monumentale, herrschaftliche Villa, davor ein riesiger Rosengarten voll Rosenkäfer, wie ich sofort erfreut feststellte. Wie ich später erfuhr, gab es eine unglückliche, einseitige Liebesgeschichte mit dem Sohn des Hauses. Vally wollte dann weg von Wien, nach London, wo damals österreichische Dienstmädchen sehr gesucht waren. Bei uns folgten andere: Die polnische Anna, alt und häßlich und halb verrückt, aber eine fantastische Köchin. Sie kündigte bald: „Die Feinde sind mir auf der Spur, ich muß weiter.“ Dann eine Kleine, an die ich mich kaum erinnere; sie versuchte, sich in unserer Küche mit Gas umzubringen. Ich erinnere mich, wie sie mitten in der Nacht, auf einer Bahre abtransportiert wurde, bei völliger Dunkelheit, aus der Befürchtung, das Haus fliege in die Luft. Der Grund: ein ungetreuer Polizeiwachtmeister. Ein ungetreuer Polizist war auch der Grund, warum uns das nächste Dienstmädchen verließ. Auch ihren Namen habe ich vergessen. Ihre glücklichere Rivalin hieß Agnes, war Kroatin 11