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können nur die Grundlage dafür schaffen, sich zu Verhandlungen
zu setzen. Was die ergeben werden, kann man natürlich nicht vo¬
raussagen.“

Ich werfe die Frage auf, was man bei solchen Verhandlungen
wohl erreichen könne, zu denen die Partner mit derart vorgefa߬
ten Meinungen und festumrissenen Programmpunkten gehen
würden. Die Arabischen Staaten bestehen auf der Anerkennung
der U.N.-Resolutionen von 1947 und 1948 als Grundlage für alle
Friedensverhandlungen. Israel ist jedoch nicht bereit, die beiden
Schlüsselbedingungen zu erfüllen, denn schließlich haben die Araber
selbst den für sie so verlustreichen Arabisch-Israelischen Krieg vom
Zaun gebrochen und damit gegen jene U.N.-Resolution verstoßen.
Wird sich ein Kompromiß finden lassen?

„Ich weiß es nicht“, sagt Martin Buber. „Es muß aber alles versucht
werden. Es ist so, als ob man sich in einem dunklen Raum befände
und nicht sehen könnte, wohin der nächste Schritt führen wird.
Es bleibet einem nur die Wahl, sich im Dunkeln weiterzutasten,
bis man an eine Wand stößt, die man vorher nicht gesehen hat.“

Doch selbst dafür, für dieses blinde Sichvorwärtstasten am Ver¬
handlungstisch, fehlen die Voraussetzungen. Buber beklagt die allge¬
meine „Unfähigkeit miteinander zu reden“ als eines der Hauptübel
unserer Zeit.

Ich erinnere ihn an den Besuch Chruschtschews in den Vereinigten
Staaten, bei dem viel geredet wurde.

„Ich war nicht dabei.“ Zum ersten Mal klingt echte Skepsis in
Bubers Stimme mit. „Wer kann sagen, was dabei wirklich besprochen
wurde? Den Zeitungen glaube ich nicht.“ Offenbar hält er es für
verfrüht, dieses Thema weiter zu verfolgen, denn er schließt mit der
Feststellung, daß vieles vom Ausgang der nächsten Präsidentenwahl
in den USA abhinge.

Ich komme wieder auf mein erstes Thema zurück. „Was läßt sich
für Israel erhoffen?“

„Was erhoffen Sie für Österreich?“, weist Buber meine Frage zurück.

Ich weiß keine Antwort; die Hoffnungen der Israeli für ihren Staat,
der unter so einmaligen und ungewöhnlichen Bedingungen entstan¬
den ist, stehen in keinem faßbaren Verhältnis zu den Hoffnungen
irgend eines westlichen Staates: sie reichen von dem Wunsch, von
den arabischen Nachbarn als Staat akzeptiert zu werden, bis zu un¬
verhüllten Expansionsbestrebungen. Der Staat Israel beansprucht das
Recht, die Zahl seiner Einwohner beliebig zu erhöhen. Zionistische
Führer, die unter den Juden der Diaspora für die Einwanderung nach
Israel werben, sprechen von einer künftigen Bevölkerung zwischen
vier und fünf Millionen. Das Unbehagen der arabischen Nachbarn
angesichts einer solchen Entwicklungsmöglichkeit (heute zählt Israel
rund zwei Millionen Einwohner) ist verständlich.

Bevor sich das Gespräch unseren Hoffnungen für Österreich
zuwendet— Buber ist geborener Wiener, stelle ich eine Frage nach
der Jugend Israels. Die Sabras (in Israel geborene Juden) wachsen
unter Bedingungen auf, wie wir sie in geringer Modifizierung in
jedem Land Westeuropas oder Amerikas finden: sie werden in mo¬
dernen Schulen erzogen und besuchen Jugendklubs; sie bevorzugen
die gleichen amerikanischen Platten und Filme wie wir, sie lehnen
sich gegen Herkömmliche und Traditionelle auf, wie bei uns. Sie
fühlen sich offenbar wohler, ‚normale‘ junge Leute zu sein, als dem
‚auserwählten Volk‘ anzugehören. Besteht nicht die Gefahr, daß
die Jugend Israels den Zusammenhang mit der großen Tradition
verliert, die die Kohärenz der Juden in der Diaspora ausgemacht hat?

Ich hatte geglaubt, den Traditionalisten Buber anzusprechen, doch
ich finde einen Revolutionär: „Die Unzufriedenheit der Jugend ist

die Hoffnung für die Zukunft.“ Martin Buber, achtzigjährig (aber in
diesem Augenblick spielt sein Alter keine Rolle), spricht diesen Satz
mit gleich bleibender Gelassenheit und setzt seine Begründung fort.

„Die Frage des Verlustes der Tradition ist ein internes Problem,
ein lösbares Problem, eine Frage der Schulung.“ Wir kommen auf
die Jugendkriminalität zu sprechen und ich bemerke, daß sie den
Statistiken nach in Israel besonders niedrig sei. Könne man daraus
den Schluß ziehen, daß die Jugend in Israel weniger unzufrieden
sei als anderswo?

„Ich glaubenichtan Statistiken... Die Jugend ist hier genauso. Der
Unterschied, ob jemand ein Verbrechen begeht — oder es unterläßt
und es in seinem Inneren weiterfrißt, ist übrigens nicht sehr groß.
Die Frage des Schadens liegt natürlich auf einer anderen Ebene.“
Das Gespräch geht auf ethische Probleme über. Ich berühre die
Möglichkeit einer freien Entscheidung und wir konstruieren Fälle,
in denen tatsächliche Personen vor eine Wahl gestellt sind. Buber
schließt ab: „Die wenigsten sind zu einer Entscheidung fähig. Ent¬
scheiden können — das ist es, was ich ‚das eigentliche Leben‘ nenne.“

Sooft eine Pause im Gespräch entsteht, mahnt mich das uner¬
bittliche Ticken der Wanduhr, meinen Besuch abzuschließen und
Professor Buber nicht mehr von seiner kostbaren Zeit zu rauben.
Obwohl er offenbar mitten in der Arbeit ist, beantwortet er alle
meine Fragen bereitwillig und ausführlich. Er hat die Überlegenheit
des Wissens, des Alters und der Zurückgezogenheit. Seine Formu¬
lierungen sind prägnant, er hat die Antwort bereit, als ob er meine
Fragen geahnt hätte. Der Übergang von einem Themenkreis zum
nächsten geht nahtlos und wie von selbst vor sich. Man kann, in
eine Pause hinein, nur ahnen, ob ein Ihema erschöpft ist und ob es
Zeit ist, ein neues Stichwort zu werfen. Manchmal unterbricht uns
das Läuten des Telefons; Buber hebt ab, führt lange Gespräche auf
Hebräisch und macht Aufzeichnungen. Einmal legt er den Hörer
beiseite und steht auf, um ein Manuskript vom Tisch zu holen. Zum
ersten Mal sche ich ihn in voller Gestalt und Greisenhaftigkeit. Er
geht langsam, tappend, mit einer gewissen Verwunderung in jedem
Schritt. Dann sitzt er wieder am Schreibtisch, gleichsam körper¬
los, konzentriert, führt das Telefongespräch souverän zu Ende und
setzt unser Gespräch fort, als wäre er nie aus dem Zusammenhang
gerissen worden.

Er erkundigt sich nach mir und es ist Zeit, von Persönlichem zu
sprechen. Ich frage Martin Buber, was er in meinem Alter gemacht
habe. Die Frage überrascht ihn, er sucht sich zu erinnern: er habe
angefangen Philosophie zu studieren und sein in der Zionistischen Be¬
wegung aufgegangen. Ich frage
ihn, ob er Schüler habe-er ver¬
neint. Es gibt zwar junge Leute,
die privatzu ihm kommen, aber
seine Professur für Sozialphiloso¬
phie und allgemeine Soziologie
an der Universität Jerusalem ist
abgelaufen. Zwar hält er noch
regelmäßig ein Seminar für Pro¬
fessoren, aber keine Vorlesungen
mehr, für dieer Material zusam¬
mentragen müßte.

Wir kommen auf Wien und

die Universitat zu sprechen. Bu¬

ber liest die wichtigsten neuen 8

Publikationen und hält sich

Martin Buber, 1950er Jahre.
Foto: Wikipedia. Die freie Enzyklopädie.

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