Wo früher die Kohlen lagerten, bekamen wir vierstöckige Schlaf¬
plätze. Man konnte kaum atmen. Ich hatte den letzten Platz oben.
Fünfzig Zentimeter über mir das eiserne Deck. Von einer Weiterfahrt
war keine Rede mehr. Aber es kamen Nachrichten aus Wien, dass ein
großer illegaler Transport von Wien aufdem Donauweg zum Schwarzen
Meer abreisen sollte. Im Herbst erst sahen wir sie an uns vorbeifahren.
Da meine Eltern und Schwester auf diesem Schiff nach Sulina waren,
war unsere Verzweiflung unbeschreiblich. Wir konnten keinen Kontakt
mit ihnen herstellen, da das Schiff nicht stehen blieb. Und viele von
uns hatten Angehörige auf diesem Schiff.’
Dieser illegale Transport wurde von den Briten vor der Küste
Palästinas aufgebracht; auf dem Schiff „Patria“ sollten die Passagiere
in die Internierung nach Mauritius weiterbefördert werden. Durch
eine Beschädigung der „Patria“ wollte die Hagana das Auslaufen
verhindern. Durch eine tragische Verkettung von Umständen - in
Unkenntnis des desolaten Zustandes des Schiffes war die Spreng¬
ladung zu stark bemessen worden - sarık das Schiff. Dabei ertrank
Hertas jüngere Schwester Lilly, die Eltern überlebten und konn¬
ten in Palästina bleiben. Dieses Unglück geschah im November
1940. Im Sommer zuvor war Herta Eisler inmitten von Elend und
schwindender Hoffnung privates Glück beschieden — die Liebe zu
Romek Reich:
In jeder Erinnerung an damals ist Romeks tiefe Seele, seine Hoffnung
und sein Mut — der ganze heifte glückliche Sommer am Strom.’
Im September 1940 musste die Flüchtlingsgemeinschaft Kladovo
verlassen. Im Rahmen der Umsiedelungsaktionen von Volksdeut¬
schen aus der Bukowina und Bessarabien war Kladovo als Station auf
deren Weg in das Deutsche Reich vorgesehen und dabei sollte ein
Zusammentreffen mit jüdischen Vertriebenen vermieden werden.
Die Flüchtlinge des „Kladovo-Transports“ wurden mehr als 200
Kilometer stromaufwärts bis zur serbischen Kleinstadt Sabac an der
Save zurückgeschleppt. Der Kriegseintritt Italiens stärkte die Posi¬
tion der Achsenmächte im Mittelmeerraum und die Führung der
Hagana und ihrer Fluchthilfeorganisation Mossad stand im Dilemma
zwischen Unterstützung der Briten, die zu diesem Zeitpunkt die
alleinige Last der allierten Kriegsanstrengungen zu tragen hatten
und der weiteren Organisierung illegaler Transporte. So war das
im Juni 1940 angekaufte Schiff „Darien II“ ursprünglich für den
„Kladovo-Transport“ bestimmt, sollte aber dann bei gemeinsamen
Aktionen mit den Briten zum Einsatz gelangen. Dazu kam es nicht
und ab Herbst 1940 stand die „Darien II“ wieder dem Mossad zur
Verfügung. Inzwischen war jedoch wertvolle Zeit verstrichen. Diese
Hintergründe waren den in Sabac eingelangten Betroffenen damals
noch nicht bekannt:
Wir wurden in eine verlassene Getreidemühle einquartiert, wieder
mit Holzpritschen übereinander. Da aber nicht Platz für alle war,
erhielt ein Teil der Leute Zimmer bei der Bevölkerung in Sabac. Romek,
Stefek, Hugo und Kuba hatten einen armseligen Raum mit zwei Betten
bei einem Bauern. An der Verpflegung hatte sich nichts geändert. Wir
alle holten das Essen in leeren Konservenbüchsen in der Mühle. Geld
hatten wir nicht. So beschloss ich, als einzige unter uns 1.000 Leuten,
zu arbeiten und etwas zu verdienen. Zuerst in einer Wäscherei und
in zwei Kaffeestuben. Als es kalt wurde, dachte ich, es wäre besser,
irgendwo zu arbeiten, wo ich auch zu essen bekäme. Einmal wollte
ich ein anderes Essen sehen als nur Nudeln und Powidl und Tee mit
Schnaps Tag für Tag. Bei einem serbischen Sägewerksbesitzer mit einer
jüdischen Frau bekam ich eine schwere anstrengende Arbeit, von sechs
Herta Eisler war für anstrengende körperliche Arbeit noch zu
sehr geschwächt, da sie nach der Ankunft in Sabac eine Malaria zu
überstehen hatte. Insgesamt gab es eine leichte Verbesserung der
Lebensbedingungen: Sabac bot als Kleinstadt mit Kinos und einer
Volkslesehalle, wo auch internationale Zeitungen auflagen, mehr
Zerstreuung als die Weltabgeschiedenheit Kladovos. Die Stimmung
der lokalen Bevölkerung war entschieden gegen die Nationalsozi¬
alisten gerichtet. Nicht nur durch private Einquartierungen gab
es auch zahlreiche Kontakte. Dennoch sollten strikte Reglemen¬
tierungen (bloß einmal wöchentlich abendlicher Ausgang) wohl
dafür sorgen, das traditionelle soziale Gefüge und die Mentalitäten
der Ortsansässigen durch mehr als 1.000 Flüchtlinge nicht zu „be¬
lasten“. Kulturelle Aktivitäten und ein geregelter Schulunterricht
wurden von der Flüchtlingsgemeinschaft organisiert; besonders
die zionistischen Jugendgruppen verschiedenster Provenienz gaben
ihren Mitgliedern seelischen Halt. Gegen Ende des Jahres 1940
waren die auf die rettende Weiterfahrt Wartenden einem wahren
Wechselbad an Gefühlen ausgesetzt: Mehrmals wurde der Aufbruch
angekündigt und sogar schon mit der Einschiffung begonnen, ehe
im letzen Moment wieder alles abgeblasen wurde. Einmal war die
„Darien II“ noch auf einer Fahrt mit anderen Flüchtlingen nach
Istanbul unterwegs; auf der anderen Seite wollte der Generalsekretär
der jugoslawischen jüdischen Gemeinden Spitzer den „Kladovo¬
Transport“ erst dann abreisen lassen, wenn das Hochseeschiff an der
Donaumiindung bereitstiinde. Anfang Dezember 1940 war es end¬
lich soweit. Doch da zog die jugoslawische Schifffahrtsgesellschaft
die bereits zur Verfügung gestellten Schiffe mit der Begründung
der vorgerückten Jahreszeit wieder zurück. Als nächstes sollten die
Flüchtlinge mit dem Zug an die rumänische Grenze fahren und
von einem rumänischen Schlepper aufgenommen werden. Zweimal
musste die Bestellung des Sonderzugs storniert werden, weil das
Schleppschiff noch nicht bereitlag. Als der Schlepper endlich an¬
gekommen war, berichteten die Zeitungen über den beginnenden
Eisgang, was der verantwortungsbewußte Sime Spitzer zum Anlass
nahm, abermals die Abfahrt zu stornieren. Damit war die letzte
Chance vorbei. Bis zum 29.Dezember 1940 wartete die „Darien