damit internationales Anschen errang, lag in den Händen von
Carl Furtmiiller.°
Aline Furtmiiller war in den zwanziger Jahren als Sprach¬
lehrerin an der bekannten Schwarzwald-Reformschule, einem
Mädchengymnasium, tätig. Von ihrem beruflichen Leben wissen
wir aus späteren Berichten ihrer ehemaligen Schülerinnen, dass
sie mit vielen von ihnen über das schulische Geschehen hinaus
persönliche Kontakte und auch regen Briefverkehr unterhielt.
Etliche der stets mehrseitigen Briefe, in Aline Furtmüllers cha¬
rakteristischer kleiner Handschrift verfasst, wurden von diesen
aufgehoben, manche davon sind heute noch erhalten. Von ih¬
ren Schülerinnen, die aus höherem bürgerlichen und jüdischen
Milieu stammten, wurde sie bewundert und umschwärmt, was
sie sichtlich auch genoss. Später, im Exil, kamen manche die¬
ser persönlichen Kontakte mit ehemaligen Schülerinnen wie¬
der zum Tragen. Für den Anfangsunterricht in französischer
Sprache verfasste Aline Furtmüller ein Schulbuch, mit dem sie
Neuland beschritt: Es war kindgerecht gestaltet und entsprach
den methodischen Grundsätzen der neuen Reformpädagogik.
Später wurde es — was für Schulbücher dieser Art eher eine
Besonderheit ist — ins Englische übersetzt, um als Lehrwerk
für einen reformorientierten Unterricht Verwendung zu finden.
Das Umbruchsjahr 1918 hatte den Frauen das Wahlrecht gebracht.
Erstmals in der Geschichte Österreichs durften sie wählen — aber
auch gewählt werden. Zu den 1919 bei der ersten demokratischen
Wahl für den Wiener Gemeinderat bzw. Landtag gewählten
Frauen gehörte als Vertreterin der Sozialdemokratischen Partei
für den 3. Bezirk-Landstraße auch Aline Furtmüller. 1923, 1927
und 1932 immer wieder gewählt, behielt sie ihr Mandat bis zur
zwangsweisen Auflösung des Wiener Gemeinderats durch den
Austrofaschismus im Februar 1934. Im Gemeinderat gehörte
Aline Furtmüller dem Budget-Ausschuss an, die gesamte Zeit
der Ersten Republik hindurch war sie außerdem auch Mitglied
des Kollegiums des Wiener Stadtschulrats.
Bildungs- und Sozialpolitik, besonders für Frauen, waren die
Schwerpunkte ihrer politischen Tätigkeit; Partei und Schule
wurden so zu Mittelpunkten ihres Leben. Sozialismus und In¬
dividualpsychologie verbanden sich dabei, gaben ihr Ziel und
Inhalt, Erfüllung und Glück.
Aline Furtmüllers privates Leben war durch den Lebensstil der
bürgerlichen „Salonkultur“ geprägt. In ihrer Wohnung in der
Belvederegasse 3 gab es regelmäßig an Sonntagnachmittagen einen
politisch-pädagogischen Gesprächskreis, bei dem auch der alte
Samowar ihres Vaters aus Russland in Gebrauch kam. Zu Aline
Furtmüllers engsten Freundinnen zählte u.a. die Politikerinnen
Käthe Leichter und Frieda Nödl sowie die Individualpsycholo¬
ginnen Raissa Adler und Lilly Wexberg.
Aline Furtmüllers Leben war eng mit Lesen und Schreiben
verbunden. Beide Formen kultureller Tätigkeit nahmen in ihrem
politischen, beruflichen und privaten Leben umfangreiche Zeit
in Anspruch; Schreibtisch und Bibliothek wurden dabei zentrale
Orte. Bereits als Kind las Aline heimlich in der Nacht bei Ker¬
zenlicht im Bett — elektrischer Strom war damals selbst in den
Wohnungen bürgerlicher Familien noch nicht vorhanden. In
den letzten Lebensjahren, in der Zeit der Verfolgung und Not,
wurde ihr Tagebuch zur Zuflucht, in dem sie das Unsagbare
niederschrieb, um es bewältigen zu können.°
Lebensende im Exil in den USA
1934, nach der Machtübernahme durch die Austrofaschisten,
wurde Aline Furtmüller für mehrere Wochen inhaftiert und
zwangsweise pensioniert. Dennoch unterstützte sie in der fol¬
genden Zeit — wie auch ihr Mann Carl Furtmiiller — die Revolu¬
tionären Sozialisten, insbesondere die von Frieda Nödl geleitete
Sozialistische Arbeiter-Hilfe (SAH).
Ende 1935 unternahm Aline Furtmüller noch eine besonde¬
re Aktion: Sie erlangte die Erlaubnis, nach Russland reisen zu
dürfen und holte aus Moskau ihre Tochter Lydia’ nach Öster¬
reich zurück, die sich, um der dortigen Arbeiterschaft Hilfe zu
leisten, in die Sowjetunion begeben hatte. Zuvor hatte Aline
Furtmüller noch mit ihrem alten Bekannten Leo Trotzki Kon¬
takt aufgenommen und ihn in seinem südfranzösischen Exil in
Domine nahe Grenoble besucht. Auch Sjewa Wolkow, Trotzkis
Enkelkind, das sich auf der Flucht vor Stalin durch Europa zu
dieser Zeit unter einem Decknamen mehrere Monate in Wien
aufhielt, fand an den Wochenenden immer bei Aline und Carl
Furtmüller Unterkunft, Verpflegung und Zerstreuung.
Als im März 1938 in Österreich die nationalsozialistische Herr¬
schaft begann, wurden die Furtmüllers „zu Juden gestempelt“.
Im Juni 1939 gelang es ihnen, nach Frankreich auszureisen. Paris
wurde ihr neuer Aufenthaltsort, wo sie auch Mitarbeiter der
Exilorganisation der österreichischen Sozialdemokratie, der Aus¬
landsvertretung der österreichischen Sozialisten (AVÖS) wurden.
Mit dem Angriff Hitler-Deutschlands auf Frankreich und
der Besetzung Paris durch die deutsche Wehrmacht begann im
Sommer 1940 die zweite Etappe der Flucht von Aline und Carl
Furtmüller. Nach einem mehrwöchigen Zwischenaufenthalt in
Montauban, wo die AVÖS vorübergehend Unterkunft gefunden
hatte, flüchteten sie weiter nach Marseille, wo die Furtmüllers
durch das amerikanische Emergency Rescue Committee ein von
Präsident Roosevelt ausgestelltes Sondervisum (Emergency-Visum)
erhielten, das von Nazis verfolgten deutschen Intellektuellen und
sozialistischen Politikern eine Einreise in die USA außerhalb der
offiziellen Quotenregelung erlaubte. Beim Versuch, illegal über
die Pyrenäen nach Spanien einzureisen, wurde sie festgenommen
und mehrere Monate lang in spanischen Gefängnissen inhaftiert.
Danach schafften sie es, mit Hilfe ihrer Visa über Lissabon in
die Vereinigten Staaten einzureisen.
Als Lina Furtmüller am 9. Jänner 1941 in New York eintraf,
war sie, ohne es zu wissen, bereits todkrank. Sie hatte Leukämie.
Zwei längere Behandlungen im New Yorker Mt. Sinai-Hospital
blieben vergeblich. Noch im selben Jahr, am 1. Dezember 1941,
starb sie in ihrer Quäker-Unterkunft in Haverford, nahe Phi¬
ladelphia in Pennsylvania. Es war mehr als symbolisch, dass
Aline Furtmüller, als sie friedlich entschlafen tot in ihrem Bett
aufgefunden wurde, in ihren Händen ein Buch hielt.
Bei Aline Furtmüllers Kremation, die am 4. Dezember in Phila¬
delphia stattfand, hielt Otto Leichter eine berührende Abschieds¬
rede, die er teilweise in Englisch, teilweise in Deutsch sprach:
... And now the circle of this well-rounded life has been closed.
She who grew up amidst refugees, she who was a wonderful mo¬
ther, found motherlike care when she herself became the victim of
prosecutions, when she needed help. [...]
Lina Furtmiiller was not only the poor suffering woman she was
in the last year. We do not want to remember her as a terribly sick