Männern und Frauen, die den hochgestimmten
Dichter bei seinen ersten Rezitationen vor der
Gruppe 47 gnadenlos ausgelacht hatten.
Bald aber wird der Briefwechsel, durch per¬
sönliche Bekanntschaft unterstützt, privat, bei
Schroers beinahe intim, was bemerkenswert
ist, waren die drei rheinischen Freunde doch
alle Soldaten, Kriegsteilnehmer, und Celan in
diesem Punkt außerordentlich empfindlich. Der
Dichter, der inzwischen aus sieben Sprachen
übersetzt, schreibt in seinen Briefen ein aus¬
gezeichnetes Deutsch, obwohl er in Paris lebt
und seine junge Frau, eine Gräfin aus altem
französischen Geschlecht, nicht deutsch kann.
Der vorliegende Sammelband beruht auf den
Beiträgen einer internationalen Konferenz, die
im Dezember 2008 an der Hebräischen Uni¬
versität in memoriam von Stéphane Mosés,
dem Gründungsdirektor des Franz Rosenzweig
Zentrums für deutsch-jüdische Literatur und
Kulturgeschichte, stattfand.
Sowohl Jakob Hessing als auch Mark H.Gelber
kamen in ihren Beiträgen zum Schluss, dass es
keine Germanistik in Israel gebe. Der öffentliche
Gebrauch der deutschen Sprache war in den
ersten Jahrzehnten nach der NS-Zeit tabuisiert.
Erst 1979 konnte in Tel Aviv das Goethe Institut
eröffnet werden. 1971 gründete der Wiener Wal¬
ter Grab mit Hilfe der Volkswagenstiftung an
der Universität Tel Aviv das Institut für deutsche
Geschichte, 1977 folgte an der Hebräischen
Universität die Abteilung für Deutsche Sprache
und Literatur. Das 1990 an dieser Universität
gegründete Franz Rosenzweig Zentrum für
deutsch-jüdische Literatur und Kulturgeschichte
hatte ursprünglich auch das nicht realisierte Ziel,
Lehrende für diese Abteilung auszubilden. Es
blieb ein Forschungszentrum, dessen wichtigstes
Ergebnis war die Kritische Edition der Werke
und Briefe von Else Lasker-Schiiler.
Es sieht eine Weile gut aus, bis eine vergrämte
und betrogene Witwe auftritt und Celan des
Plagiats an dem Werk ihres Gatten Yvan Goll
bezichtigt.
Die Folgen könnten schlimmer nicht sein.
Heimatlos, zwischen Nationen und Sprachen
hin und her gerissen und für eine kleine Fa¬
milie verantwortlich, beginnt Celan an allem
zu zweifeln, selbst an den Freunden in Wien
und am Rhein. Kein Wort der Zustimmung ist
ihm tiberzeugend genug, keine Intrige durch¬
schaubar. Jeder literarische Angriff erscheint ihm
als antisemitisches Pamphlet, bis in einer Ge¬
sprachsrunde die Gemahlin eines katholischen
Jakob Hessing untersuchte, wie es die Einlei¬
tung formuliert, „wie eine in Israel praktizierte
Germanistik die beiden gänzlich verschiedenen
Lösungsversuche der jüdischen Frage durch das
Deutsch-Jüdische assimilatorische Experiment
und das zionistische Lösungsmodell überbrü¬
cken kann.“
Mark H. Gelber analysierte „die internatio¬
nale Stellung von deutsch-jüdischen Studien
als einer eigenständigen Disziplin, die sich zwi¬
schen der Germanistik, der Exilforschung, der
Holocaustforschung, jüdischen Studien und
anderen Disziplinen positioniert.“ Er beendet
seinen Beitrag zwar mit dem Hinweis: „Die Tat¬
sache, dass es immer noch oder immer wieder
deutsch-jüdische oder österreichisch-jüdische
oder israelische Schriftsteller gibt, die ihre Werke
auf Deutsch schreiben, ist nicht zu verleugnen,
und diese Autoren und ihre Stimmen verdienen
Achtung und Kritik, manchmal auch Lob, aber
darüber hinaus auch den richtigen oder einen
korrekten kritischen Rahmen für die Rezeption
ihrer Werke.“ Dennoch ist es befremdlich, dass
die AutorInnen des von Meir Faerber gegründe¬
ten Verbandes deutschsprachiger Schriftsteller
in Israel an keiner Stelle des Buches erwähnt
Gelehrten vernehmlich äußert, sie könne Juden
nicht riechen!
Ein Lapsus, eine Boutade oder eine gezielte
Beleidigung? Bei Celan sind alle Ansätze zu
Glück und Daseinsfrieden zerstoben; er bricht
zusammen, gefährdet selbst Frau und Kind und
geht in der Nacht auf den 20. April 1970 in
die Seine.
Hermann Schreiber
Paul Celan: Briefwechsel mit den rheinischen
Freunden. Hg. von Barbara Wiedemann. Berlin:
Suhrkamp 2011. 772 S. Euro 34,90 (D)/35,90
(A)/SFr 46,90
werden, obwohl ihre Werke in den bisherigen
germanistischen Studien so sehr vernachlassigt
wurden.
Weitere Beiträge befassen sich mit Ludwig
Strauss, Peter Henisch, mit deutsch-jüdischer
Lyrik und der Transformation der deutschen
Sprache bei den ersten beiden Generationen
der Jeckes anhand des Interviewkorpus von
Anne Betten.
Andreas Kilcher formuliert Thesen zur Wis¬
senschaft des Judentums, während Steven
Aschheim in einem englischen Aufsatz die
Faszination der deutsch-jüdischen Hochkul¬
tur von Leo Strauss, Walter Benjamin, Hannah
Arendt, Franz Kafka und Gershom Scholem zu
begründen versucht.
Das Buch enthält zwar einen Index, aber
keinerlei Hinweise zu den Biographien der
AutorInnen.
Christian Kohlross, Hanni Mittelmann (Hg.): Auf
den Spuren der Schrift. Israelische Perspektiven
einer internationalen Germanistik. Berlin, Bos¬
ton: De Gruyter 2011. 273 S. (Conditio Judaica.
Band 80).
Die mittlerweile ‚historisch‘ gewordene Wür¬
digung durch Albert Fuchs 1940 in London,
wonach Jura Soyfer, „dieser sechsundzwanzig¬
jährige Bursch“ und „begabteste österreichi¬
sche Schriftsteller seiner Generation“, diese
„ganz große literarische Hoffnung für die
Zukunft“, nichts gefehlt habe außer „ein paar
Lebensjahre“, eröffnet den gleichermaßen prä¬
zisen wie eleganten werkbiographischen Ein¬
leitungsessay zu einer erfreulichen und überaus
verdienstvollen Edition der fünf Theaterstücke
Soyfers: zur zweisprachigen italienisch-deut¬
schen Ausgabe Teatro I, II, deren Kommen¬
tar und Zustandekommen wir dem in Peru¬
gia lehrenden, aber aus Wien stammenden
Germanisten Hermann Dorowin und deren
Übersetzung ins Italienische wir Laura Masi
verdanken.
Mit dieser Ausgabe, welche die Texte Weltun¬
tergang, Der Lechner Edi schaut ins Paradies und
Astoria im ersten sowie Vineta und Broadway¬
Melodie 1492 im zweiten Band in deutscher
(linksseitig) und italienischer Fassung (rechts¬
seitig) in elegantem Kleinformat mit sorgfaltiger
Bindung versammelt, wofür dem Verlag Mor¬
lacchi Anerkennung gebührt, hat die Soyfer¬
Rezeption in Italien, die bekanntlich bereits
1946 durch einen Beitrag des renommierten
antifaschistischen Kritikers und Lyrikers Franco
Fortini in der Zeitschrift I] Politecnico eingesetzt
und seit den frühen 1980er Jahren durch eine
Reihe von Übersetzungen und Ausgaben, aber
auch durch Theaterprojekte eine erfreuliche Le¬
bendigkeit und Konstanz entfaltet und bewiesen
hat, einen in mehrfacher Hinsicht glanzvollen
Höhepunkt erreicht.
Zu jedem Stück bietet im jeweils die Bände
abrundenden Kommentarteil Hermann Doro¬
win genaue Angaben über die Erstaufführungen
einschließlich die Besetzungen und schlüsselt
in Anmerkungen zum italienischen Text die
zahlreichen Wortspiele auf, die dialektalen Ver¬
fremdungen, die eingearbeiteten intertextuellen
Bezugnahmen (auf Nestroy, Kraus, Raimund,
aber auch Goethe oder zeitgenössische Film¬
Songs), die möglichen literarischen Vorlagen
sowie die offen oder verdeckt erwähnten zeit¬
genössischen Personen, insbesondere aus dem