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Manfred Wieninger In dem 1980 erschienenen Katalog „Die uns verließen. Österreichische Maler und Bildhauer der Emigration und Verfolgung“ der gleichnamigen Ausstellung in der Österreichischen Galerie im Oberen Belvedere in Wien hieß es ebenso vorwurfsvoll wie despektierlich über den Wiener Otto Rudolf Schatz, der nach 1938 als „jüdisch versippt“ galt und bald nach dem sogenannten Anschluss wegen des politischen Druckes seinen Wohnsitz nach Brünn, später nach Prag verlegen musste: „1945 konnte er nach Wien zurückkehren. [...] Schatz betrieb jedoch Raubbau mit seiner Gesundheit, verwahrloste und starb schließlich an Lungenkrebs.“ Damit war hierzulande der absolute Tiefpunkt in der öffentlichen Wahrnehmung eines Künstlers erreicht, der die Tiefen der österreichischen Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts durchschreiten musste und dessen Werk die Verwerfungen der Zeitläufte ganz massiv widerspiegelt. Otto Rudolf Schatz wurde am 18. Jänner 1900 in Wien geboren. Sein Vater war Vorstand des Postamtes in Wien-Alsergrund. Nach der Mittelschule studierte der junge Schatz von 1918 bis 1920 an der Wiener Kunstgewerbeschule bei Oskar Strnad sowie Anton von Kenner. 1921 hatte er seine erste Ausstellung in der Galerie des Wiener Kunsthandlers Max Hevesi. 1922 erschien seine erste Buchillustration, nämlich Holzschnitte zu Johannes von Saaz‘ „Der Ackermann und der Tod“. Ab 1928 war Schatz Mitglied des Hagenbundes, einer der wichtigsten österreichischen Künstlervereinigungen. In den Zwanziger und Dreißiger Jahren machte er sich vor allem als Graphiker und Illustrator einen Namen, er war einer der größten Meister des Holzschnittes, welche dieses Land je hervorgebracht hat. Diese Kraft des Schwarz-Weiß mit Ihemen aus der Industrie- und Arbeitswelt stellte er vor allem der Arbeiterbewegung zur Verfügung,wobei seine ganz eigene, zutiefst pessimistische Sichtweise von Industrie und Moderne weit über den platten Realismus der sogenannten Arbeiterkunst seiner Zeit hinaus ging. „Aus vielen der Holzschnitte spricht unerklärliche Traurigkeit und Melancholie, aus den Illustrationen eine oft Mackabre Fabulierlust und Sinn für schwarzen Humor. Erschütternd und bedrohlich die Industrie- und Städtebilder: Endzeitvisionen, die menschliche Rasse scheint bereits ausgestorben“, urteilte die Kunstkritikerin Liselotte Espenhahn. 1929 entstand sein malerisches Hauptwerk „Die Schaustellung“ als Mittelteil eines Triptychons. Zur Schau gestellt wurde dem PT. Publikum im Wiener Prater in absolut rassistischer Manier ein afrikanisches Paar. Kein bildnerisches Werk der Zwischenkriegszeit hat derart explizit den Finger auf die Wunde des österreichischen Alltagsrassismus gelegt. „Ein ätzend sozialkritisches Bild, das mehr von böser Aggression als von Mitleid bestimmt wird. Hier werden im Wiener Prater Neger ausgestellt wie Krokodile mit zwei Köpfen“, urteilt der wichtigste Schatz-Sammler Wilfried Daim. „Afrikaner, auf ihr Negertum reduziert: Barfuß stehen sie auf dem Podium, die Blicke starr in die Ferne gerichet, ihr Oberkörper nackt, er mit der rechten Hand ihre Brustwarze berührend, verhüllend, um einen letzten Rest Privatheit zu retten? Oder geil, um dem Klischee vom triebhaften Wilden zu entsprechen? Nach den ‚Tierschauen‘ des Vormärz werden um die Jahrhundertwende ‚Menschenschauen‘ zum gefragten Freizeitvergnügen. ‚Abnormitäten‘ werden da ausgestellt, Zwer24 ZWISCHENWELT ge und Riesen, Behinderte und Menschen exotischer Herkunft. Für sie wird der Zirkus — d.h. der Verkauf an die Agenturen, die Reisen, die Budenauftritte in diesem und jenem Prater — zu einer neuen Form der Versklavung. Der königliche Mohr, einst als Symbolfigur des Paradieses verstanden, wird dem Gespött des Pöbels ausgeliefert. Und die selbst am Leben zu kurz kommen, ergötzen sich an der Demütigung kolonial unterworfener Völker. [...] Schon schwingt sich der erste Strizzi auf's Podium, zu prüfen, wie sich eine Negerin anfühlt“, beschreibt Walter Sauer das Bild Jahrzehnte nach seiner Entstehung in seinem Buch „Das afrikanische Wien“. Schatz war auch einer der wichtigsten Buchillustratoren der Büchergilde Gutenberg. Leben konnte der engagierte Linke davon aber kaum. Einen dementsprechenden Holzschnitt gestaltete er 1931 — auf dem ebenso kuriosen wie interessanten Blatt hält ihm eine übergroße Hand ein Blatt Papier, wohl eine Rechnung, hin, während er selbst hilflos am Boden sitzt und seine leeren, ausgestülpten Hosentaschen vorzeigt. Als Kopf- und Fußzeile ist folgender Text eingeschnitten: Maler O. R. Schatz leistet am 13. Oktober 1931 um 9 Uhr vormittags beim Exekutionsgericht Wien I Riemergasse 7 Zimmer 78 öffentlich den Offenbarungseid. Er ladet sie hiezu höflich ein. Versandspesen wurden von Architekten und Malern mit knapper Mühe aufgebracht. Der materiellen Not geschuldet war auch eine ganz spezifische Materialwahl bzw. Maltechnik des Künstlers. „Er ging damals in Zeitungs- oder auch andere Druckereien und erbat sich oder kaufte von den Arbeitern Druckerschwärze. Diese verdünnte er mit Öl und malte dann mit kurzgeschnittenem Pinsel. Genau genommen, handelt es sich dabei um Ölmalereien auf Papier, auf keinen Fall um Aquarelle. Diese Arbeiten mit verdünnter Druckerschwärze sind bei ihm häufig von besonders hoher Qualität“, ist bei Wilfried Daim zu lesen. Neben der Zeitkritik umkreist Schatz‘ Kunst aber immer wieder auch religiöse Themen. „Der mystisch-religiöse Bereich war ebenso Bestandteil seines Lebens und seiner Bilder wie seine Kritik an den herrschenden Zuständen“, bestätigt auch Daim. In den frühen Zwanziger Jahren heiratet Schatz eine Juristin, ließ sich jedoch bald wieder scheiden. Seine zweite Frau war eine jüdische Industriellentochter aus Brünn. 1936/37 trat das Ehepaar eine einjährige Amerikareise an. 1937 kehrten die beiden nach Wien zurück, gerade noch rechtzeitig, um nach dem „Anschluss“ sozusagen unter die Räder zu kommen. 1938 lehnte Schatz es ab, sich von seiner jüdischen Frau scheiden zu lassen. Er selbst wurde dadurch „wehrunwürdig“. Um den sozialen und politischen Druck in Wien zu entgehen, zogen die beiden nach Prag, später nach Brünn. Während seiner Emigration malte Schatz aus Mangel an Leinwänden, Farben usw. vor allem Miniaturen. Er signierte mit tschechischen Namen oder ließ die Signatur oft auch weg. In Tschechien malte Schatz auch „gotische Madonnen“ auf alte Bretter. Mindestens eines dieser Werke dürfte nach dem Krieg sogar in den britischen Kunsthandel gelangt sein und dort höchstwahrscheinlich noch immer als Werk eines spätmittelalterlichen Meisters irgendeiner donauschwäbischen Schule firmieren.