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Jazz wurde als Musik für die „Fetten“ qualifiziert und in den
Massenmedien scharf kritisiert. Dennoch hatten die während der
NEP-Zeit (Neue Ökonomische Politik) im sowjetischen Rußland
gastierenden Jazz-Orchester großen Erfolg.

Einer der Pioniere des sowjetischen Jazz war der Dirigent, Schau¬
spieler und Sänger Leonid Weißbein (Pseudonym: Utjossow; 1895
- 1982). Dunajewksi komponierte für sein Orchester. Gemeinsam
erstellten sie Konzertprogramme. Dank den Bahnbrechern des
sowjetischen Jazz, Dunajewski, Utjossow und dem Klaviervirtuosen
und Komponisten Alexander Zfassmann (1906 — 1971; ebenfalls
jüdischer Herkunft) fand das Genre in der UdSSR allgemeine
Anerkennung. In den 1960er Jahren pflegte sich Utjossow bei
Konzerten des „Utjossow-Jazzorchesters“ mit einem Orchestermu¬
siker namens Mischa über die Herkunft des Jazz zu unterhalten.
Utjossow: Und wo, sagen Sie, ist der Jazz geboren?

Mischa: In New Orleans, Anfang des 20. Jahrhunderts.

Utjossow: Also in New Orleans, Anfang des 20. Jahrhunderts? Aber
Anfang des 19. Jahrhunderts— merken Sie sich das, Mischa! — existieren
in den kleinen Städten und Flecken Südruflands Ensembles aus drei,
vier, fünf Musikern — Geige, Klarinette, Trompete, Baß, Trommel.
Sie spielten auf Hochzeiten und an Feiertagen. Weil sie keine Noten
kannten, improvisierten sie. Sie taten also dasselbe, was später die
Jazzmusiker machten.

Dann führte Utjossow mit dem Orchester vor, wie aus einem
einfachen jüdisch-russischen Lied „Lebe wohl, Odessa-Mama“ eine
zeitgenössische Jazzkomposition zustande kommt.

Utjossow: Jetzt erkennen Sie, Mischa, die Wurzeln. — Und Sie sagen:
in New Orleans!

Aus bekannten Gründen sagte Utjossow nicht die ganze Wahr¬
heit — nämlich, daß diese Ensembles jüdische gewesen waren
und bei jüdischen Festen gespielt hatten. Das wußten zwar die
meisten Zuhörer, doch alles Jüdische mußte dissimuliert werden.
Deswegen konnte nur ein Utjossow, nicht aber ein Weißbein Leiter
des Jazzorchesters sein. Jedenfalls — man erinnere sich nur an die
glänzenden Jazz-Stücke in dem Film „Lustige Burschen“ —, was
Dunajewski für Jazzorchester komponierte, beruhte auf russisch¬
jüdischer Volksmusik.

Eine „russische“ Operette gab es nicht, nur das ihr verwandte
Singspiel. Um 1900 liebte man in Rußland die Wiener Operette
von Johann Strauß Sohn, Franz Lehär, Emmerich Kälmän und
auch die französische eines Jacques Offenbach. 1924 schrieb Duna¬
jewksi die Musik zum Singspiel „Für unsere und für eure“. Durch
den besonderen Stil der Dramaturgie und die Reichhaltigkeit der
Musik näherte sich dieses Singspiel der Operette an. Dadurch
angespornt, komponierte Dunajewksi 1926 seine erste Operette
„Die Bräutigame“ und, zwei Jahre darauf, „Die Messer“. Es folgten
1929 „Gegensätzliche Leidenschaften“, 1932 „Höllenqualen“. Diese
Operetten stecken voll von Satire, Humor und Ironie. Dunajewksi
wollte einmal auch eine lyrische Operette schaffen: „Das goldene
Tal“ (1937) wurde von ihm 1954 überarbeitet.

Arien und Lieder der besten Operetten Dunajewksis sind denen
Kalmäns gleichzuhalten. „Der Weg zum Glück“, „Freier Wind“,
aufgeführt nach dem Zweiten Weltkrieg, zählen zu seinen besten
Operettenwerken. „Die weiße Akazie“, kurz vor seinem Tode kom¬
poniert, kann man als „Operetten-Konzert“ bezeichnen: Hier ist die
Musik voll verschiedenster instrumentaler und vokaler Nummern.
Neben den Liedern (Solopartien, Duette, Terzette, Quartette) ertönt
ein symbolisches Klangbild des Sturmes am Meer. Viele Jahre nach
der Uraufführung gehörte „Die weiße Akazie“ noch immer zum
Repertoire. Das „Lied über Odessa“ aus ihr wurde zur Hymne

Foto: Archiv Isaak Malach

dieser Schwarzmeerstadt. Vom Glockenspiel des Rathauses ertönen
regelmäßig die ersten Takte.

1927 entstand in den USA der erste Tonfilm in Spielfilmqualität,
„Der Jazzsänger“. Der „Große Stumme“, wie man den Film in
der UdSSR nennen pflegte, begann zu sprechen und zu singen.
Dunajewski begriff sofort die Bedeutung dieser Erfindung: Theater
war populär, aber nur dem Städter zugänglich, der Film hingegen
drang in die entlegensten Dörfer. 1932 entstand der erste sowjetische
Tonfilm, „Die erste Kompanie“, mit Musik von Dunajewski. Durch
die Filmmusik wurde der Komponist auch im Ausland bekannt,
gelangten seine Werke wiederum auf die Bühne, zu Solisten, En¬
sembles, Chören und Orchestern.

Der Film „Lustige Burschen“ in der Regie von Grigorij Aleksandrow
(1903 - 1983) lief 1932 an. Hauptdarsteller waren Utjossow und
der aufgehende Filmstar Ljubow Orlowa (verh. mit G. Alexandrow;
1902 — 1975). „Lustige Burschen“ begeisterte auch ausländisches
Publikum: In Paris standen Schlangen vor dem Kino, in dem der
Film lief. Nach der Vorstellung sangen die Leute Lieder aus dem Film.
Dunajewskis Musik war zweifellos die Hauptattraktion des Films.

Der Film war unpolitisch. Fünf Jahre später gedreht, wäre er
verboten worden, und noch nach dem Krieg hätte man den Pro¬
duzenten des Kosmopolitismus beschuldigt.

Es ist wichtig zu wissen, wie die Staatsmacht zu den Künstlern
stand. Entscheidend war Josef Stalins persönliche Haltung. Stalin
hatte ein gutes Gedächtnis. Er kannte alle Vertreter der kultu¬
rellen Elite namentlich. Stets beobachtete er die Tätigkeit der
Schriftsteller, Maler, Schauspieler, Regisseure und Komponis¬

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